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Das verhängnißvolle Gedicht.
sich meistens nur nach der jährlichen Einnahme ihres Zukünf-
tige» erkundige», um zu wissen, ob sie ihn achten müssen oder
nicht. Damals war es Sitte, die Geliebte auch in schönen oder
schlechten Liedern zu verherrlichen.
Auf dem Felde der Dichtkunst hatte ich mich bisher noch
nie versucht. Jetzt mußte ich dasselbe betreten. Da hatte ich
nun bald Gelegenheit zu bemerken, daß ich als Poet hinter
dem elendeste» Stümper zurückblciben müsse. Alle meine Ver-
suche, einen Vers zu drechseln, waren fruchtlos, ich brachte
nichts Gutes zu Stande. Deshalb war ich so vernünftig, meine
Geliebte mit schlechten Gedichten zu verschonen.
Mit diesem Entschlüsse war Therese indessen sehr unzu-
frieden. Sie meinte, ich müsse nicht gleich nach dem ersten
Versuche zurückschrecken, das Auge der Liebe würde die Fehler
nicht bemerken. Kurz, sie gestand mir zuletzt, ich könnte sie
nicht glücklicher machen, als wenn ich sie an ihrem Geburts- j
tage mit einem Carmen überrasche.
Da saß ich in der Klemme! Jetzt mußte ich es noch ein- !
mal wagen, den Pegasus zu besteigen, auf die Gefahr bin,
abgemorfen zu werden.
Acht Tage hatte ich vor mir, eine lange Zeit, für mich
war sie aber viel zu kurz. Da saß ich nun bei verschlossener
Thür und versuchte zu dichten, aber es ging nicht. Endlich
am siebenten Tage hielt ich es nicht länger aus, ich öffnete
die Thür und eilte in's Freie. Mein Glücksstern ließ mich
einen Freund treffe», dem ich meine Norh Klagen konnte. Dieser
erzählte mir, fast alle Dichter: Schiller, Göthe re. hätten sich
stets durch einige Flaschen Burgunder begeistert, ehe sie den
Pegasus bestiegen, vielleicht würde sich auch bei mir eine poetische .
Ader dadurch öffnen.
Jubelnd drückte ich meinen Freund ans Herz und be-
schloß das Mittel sogleich zu probiren. Ein benachbarter Wein-
händlcr pumpt mir einige Flaschen Burgunder und ich eile
damit nach meiner Stube. Diese wird rasch geheizt, Papier,
Diirtc und Feder auf den Tisch gelegt und nun fange ich a», ein
Glas nach dem andern auf das Wohl meiner Geliebten zu trinken.
Mein Freund hatte nicht gelogen, ich spürte bald die
Wahrheit seiner Worte: „Nur der Wein macht den Dichter!"
denn die Verse flogen so rasch auf daö Papier, als hätte ich
nie Prosa geschrieben. Ehe die dritte Flasche geleert war,
schloß ich mein Gedicht mit dem fünf und dreißigsten Verse.
Diese Zahl erschien mir genügend.
Leider habe ich alle Verse bis auf eine» vergessen, aber
damit nicht auch dieser, — es ist der Anfang meines Gedichts —
verloren geht, will ich ihn hier niederschreiben.
Ode an Therese.
„Ja, um Deiner wcrth zu werden,
Flöz' ich über Meer und Erden,
Wär's auch bei dem stärksten Sturm
lieber den Jakobithurm!
Ja ich tanz auf heißen Fliesen,
Kämpfe mit den größten Riese»,
Schwimme durch '»cn Feucrscc,
Wcnn's Dein Wunsch ist, Therese."
So der erste Vers. Die Uebrigen waren nicht schlechten
und es ist gewiß zu bedauern, daß dieses Minoelred für unsere
Literatur verloren ist.
Noch an demselben Abend schrieb ich mein Gcistesprodukt
auf feines Spitzenpapier und steckte es, von einigen zärtlichen
Worten in Prosa begleitet, in den Briefkasten der Stadtpost.
Als ich am folgenden Tage meine Gratulation mündlich wie-
derholte, sagte mir ein zärtlicher Händedruck meiner Geliebten,
daß sic durch diese Ovation gerührt sei. So wagte ich dieses
Liebeszeichen zu deuten.
Eines Abends sitze ich wieder dem Doktor Schnepper
gegenüber und sinne gerade darüber nach, wie ich einen kühnen
Angriff meines Gegners Zurückschlagen kann, als plötzlich Dora,
die mich de» ganzen Abend stets mit großen Augen angeschaut
hatte, die Stille unterbrach und bittend zu mir sagte:
„Du flieg' 'mal!"
„Was? ich soll fliegen?!" — frage ich erstaunt.
„Ja Du, thu es einmal, bitte, bitte, flieg mal, Rudolph."
„Bestes Kind, diese Kunst verstehe ich nicht."
„Nein, Du kannst es recht gut, ich weiß cs wohl, Du
willst nur nicht!"
„Dora, sei doch nicht kindisch!" — schalt der Alte, —
„wie kann ein Mensch fliegen?"
„Doch, doch, Papa," schrie Dora eifrig, „Rudolph kann
stiegen, o — und noch viel mehr!"
„Da bin ich doch neugierig," rief ich lachend.
„Ja, Du kannst fliegen, und auf heißen Fliesen tanzen
und durch's Feuer schwimmen und Niesen prügeln und noch
mehr, Therese braucht eö nur zu wollen!"
„Ich?!" sagte Therese tief erröthend.
„Ja, Du!" — schrie der kleine Naseweis, „er hat sogar
gesagt, wenn Du es wünschtest, wolle er über de» Jacobi-
thurm wcgfliegen, siehst Du ich weiß es recht gut!"
Na, das war eine schöne Geschichte; Apollo fing an, sich
zu rächcin Ich saß da wie ein ertappter Dieb und wagte cs
nicht meine Augen aufzuschlagen. Der Alte sah uns fragend
an. Endlich sagte Therese in Thränen ausbrechend:
„Pfui, das ist nicht wahr, Dora, — o cs ist abscheu-
lich von Dir, so zu flunkern!" —
„Das ist doch wahr, ich will es Dir beweisen!" —
rief das kleine Scheusal und lief aus der Stube.
Therese sprang auf, um ihr nachzncilen, aber der Alte
hielt sie zurück, indem er sagte:
„Dora wird sogleich wieder da sein, Du brauchst sie nicht
erst zu holen."
Gleich darauf erschien unser Dämon mit einem Stück
Papier in der Hand. Ich erkannte sogleich mein Geburtstags-
Gedicht an dem Spitzenpapier und beugte mein Haupt in
Demuth, entschlossen alle Stürme ruhig über mich ergehen zu
lassen. Therese bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und fing
an zu weinen. Dora mochte jetzt wohl cinsehen, daß sie uns
einen schlechten Streich gespielt hatte, denn sic fing an, ihre
Schwester mit Liebkosungen zu überhäufen und als wollte sie
sich rechtfertigen, flüsterte sie:
Das verhängnißvolle Gedicht.
sich meistens nur nach der jährlichen Einnahme ihres Zukünf-
tige» erkundige», um zu wissen, ob sie ihn achten müssen oder
nicht. Damals war es Sitte, die Geliebte auch in schönen oder
schlechten Liedern zu verherrlichen.
Auf dem Felde der Dichtkunst hatte ich mich bisher noch
nie versucht. Jetzt mußte ich dasselbe betreten. Da hatte ich
nun bald Gelegenheit zu bemerken, daß ich als Poet hinter
dem elendeste» Stümper zurückblciben müsse. Alle meine Ver-
suche, einen Vers zu drechseln, waren fruchtlos, ich brachte
nichts Gutes zu Stande. Deshalb war ich so vernünftig, meine
Geliebte mit schlechten Gedichten zu verschonen.
Mit diesem Entschlüsse war Therese indessen sehr unzu-
frieden. Sie meinte, ich müsse nicht gleich nach dem ersten
Versuche zurückschrecken, das Auge der Liebe würde die Fehler
nicht bemerken. Kurz, sie gestand mir zuletzt, ich könnte sie
nicht glücklicher machen, als wenn ich sie an ihrem Geburts- j
tage mit einem Carmen überrasche.
Da saß ich in der Klemme! Jetzt mußte ich es noch ein- !
mal wagen, den Pegasus zu besteigen, auf die Gefahr bin,
abgemorfen zu werden.
Acht Tage hatte ich vor mir, eine lange Zeit, für mich
war sie aber viel zu kurz. Da saß ich nun bei verschlossener
Thür und versuchte zu dichten, aber es ging nicht. Endlich
am siebenten Tage hielt ich es nicht länger aus, ich öffnete
die Thür und eilte in's Freie. Mein Glücksstern ließ mich
einen Freund treffe», dem ich meine Norh Klagen konnte. Dieser
erzählte mir, fast alle Dichter: Schiller, Göthe re. hätten sich
stets durch einige Flaschen Burgunder begeistert, ehe sie den
Pegasus bestiegen, vielleicht würde sich auch bei mir eine poetische .
Ader dadurch öffnen.
Jubelnd drückte ich meinen Freund ans Herz und be-
schloß das Mittel sogleich zu probiren. Ein benachbarter Wein-
händlcr pumpt mir einige Flaschen Burgunder und ich eile
damit nach meiner Stube. Diese wird rasch geheizt, Papier,
Diirtc und Feder auf den Tisch gelegt und nun fange ich a», ein
Glas nach dem andern auf das Wohl meiner Geliebten zu trinken.
Mein Freund hatte nicht gelogen, ich spürte bald die
Wahrheit seiner Worte: „Nur der Wein macht den Dichter!"
denn die Verse flogen so rasch auf daö Papier, als hätte ich
nie Prosa geschrieben. Ehe die dritte Flasche geleert war,
schloß ich mein Gedicht mit dem fünf und dreißigsten Verse.
Diese Zahl erschien mir genügend.
Leider habe ich alle Verse bis auf eine» vergessen, aber
damit nicht auch dieser, — es ist der Anfang meines Gedichts —
verloren geht, will ich ihn hier niederschreiben.
Ode an Therese.
„Ja, um Deiner wcrth zu werden,
Flöz' ich über Meer und Erden,
Wär's auch bei dem stärksten Sturm
lieber den Jakobithurm!
Ja ich tanz auf heißen Fliesen,
Kämpfe mit den größten Riese»,
Schwimme durch '»cn Feucrscc,
Wcnn's Dein Wunsch ist, Therese."
So der erste Vers. Die Uebrigen waren nicht schlechten
und es ist gewiß zu bedauern, daß dieses Minoelred für unsere
Literatur verloren ist.
Noch an demselben Abend schrieb ich mein Gcistesprodukt
auf feines Spitzenpapier und steckte es, von einigen zärtlichen
Worten in Prosa begleitet, in den Briefkasten der Stadtpost.
Als ich am folgenden Tage meine Gratulation mündlich wie-
derholte, sagte mir ein zärtlicher Händedruck meiner Geliebten,
daß sic durch diese Ovation gerührt sei. So wagte ich dieses
Liebeszeichen zu deuten.
Eines Abends sitze ich wieder dem Doktor Schnepper
gegenüber und sinne gerade darüber nach, wie ich einen kühnen
Angriff meines Gegners Zurückschlagen kann, als plötzlich Dora,
die mich de» ganzen Abend stets mit großen Augen angeschaut
hatte, die Stille unterbrach und bittend zu mir sagte:
„Du flieg' 'mal!"
„Was? ich soll fliegen?!" — frage ich erstaunt.
„Ja Du, thu es einmal, bitte, bitte, flieg mal, Rudolph."
„Bestes Kind, diese Kunst verstehe ich nicht."
„Nein, Du kannst es recht gut, ich weiß cs wohl, Du
willst nur nicht!"
„Dora, sei doch nicht kindisch!" — schalt der Alte, —
„wie kann ein Mensch fliegen?"
„Doch, doch, Papa," schrie Dora eifrig, „Rudolph kann
stiegen, o — und noch viel mehr!"
„Da bin ich doch neugierig," rief ich lachend.
„Ja, Du kannst fliegen, und auf heißen Fliesen tanzen
und durch's Feuer schwimmen und Niesen prügeln und noch
mehr, Therese braucht eö nur zu wollen!"
„Ich?!" sagte Therese tief erröthend.
„Ja, Du!" — schrie der kleine Naseweis, „er hat sogar
gesagt, wenn Du es wünschtest, wolle er über de» Jacobi-
thurm wcgfliegen, siehst Du ich weiß es recht gut!"
Na, das war eine schöne Geschichte; Apollo fing an, sich
zu rächcin Ich saß da wie ein ertappter Dieb und wagte cs
nicht meine Augen aufzuschlagen. Der Alte sah uns fragend
an. Endlich sagte Therese in Thränen ausbrechend:
„Pfui, das ist nicht wahr, Dora, — o cs ist abscheu-
lich von Dir, so zu flunkern!" —
„Das ist doch wahr, ich will es Dir beweisen!" —
rief das kleine Scheusal und lief aus der Stube.
Therese sprang auf, um ihr nachzncilen, aber der Alte
hielt sie zurück, indem er sagte:
„Dora wird sogleich wieder da sein, Du brauchst sie nicht
erst zu holen."
Gleich darauf erschien unser Dämon mit einem Stück
Papier in der Hand. Ich erkannte sogleich mein Geburtstags-
Gedicht an dem Spitzenpapier und beugte mein Haupt in
Demuth, entschlossen alle Stürme ruhig über mich ergehen zu
lassen. Therese bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und fing
an zu weinen. Dora mochte jetzt wohl cinsehen, daß sie uns
einen schlechten Streich gespielt hatte, denn sic fing an, ihre
Schwester mit Liebkosungen zu überhäufen und als wollte sie
sich rechtfertigen, flüsterte sie: