! 158 Neues unfehlbares Mittel re. rc.
Aristokratie angchörte. Ich steckte die nöthigen Instrumente
in mein Etui, dieses in meine Brusttasche, stieg in eineMicth-
kutschc, deren einige Dutzend vor meinem Hause standen und
flog nach dem Faubourg St. Germain, wo ich mit Hilfe der
mir vom Bedienten zurückgclasscncn Karte das Hotel meiner
Patientin auch bald auffand. Nach einigen Minuten stand ich
j der wegen ihrer Schönheit damals in Paris gefeierten Gräfin N..
einer unvergleichlich reizenden Brünette gegenüber. Sic lag mit
dem verführerischeste» Morgcnanzug angethan in einem Fauteuil
i hingegossen; mit der Rechten hielt sic ein Fläschchen mit sal
volatil vor die Nase, mit der Linken ein Sacktuch vor den
Mund. Nachdem sie mich freundlich bcwillkommt, klagte sie mir
i mit matter Stimme die unsäglichen Schmerzen, die sie zu
leiden, wie sic des Nachts kein Auge zuthun, bei Tage vor
Schmerzen gar nicht denken könne, kurz, wie sehr, wie un-
endlich sic leide. Nachdem sic mir den schadhafte» Zahn ge-
zeigt, zog ich mein Etui hervor und öffnete cs — doch sic
bebte bei dem Anblicke entsetzt zurück und machte mit der
Hand eine abwehrende Bewegung. „Weg damit!" — rief sie
— „weg damit! auf die gewöhnliche Art gcht's bei mir nicht,
ich bin nervös, unendlich nervös, reizbar wie Wenige, ich
könnte den Schmerz nicht ertrage», ich würde sterben, — etwas
anderes, bester Doktor!" — „Dann, Frau Gräfin," sagte
ich, „dann muß ich zur Narkose die Zuflucht nehmen — Sie
müssen sich chlorofornnrcn lassen, ich bin mit dem dazu Röthi-
gen versehen." — „Ach, das noch viel weniger, bester Doktor,"
unterbrach sie mich etwas erregt, „das schon durchaus nicht,
j — man hat Beispiele, daß nervöse Personen bei der Narkose
gar nicht mehr erwachten, — das würde bei mir auch so enden
— etwas Anderes, bester Doktor, etwas Anderes."
Ich stand ganz verdutzt und verblüfft — meine Kunst
war zu Ende.
„Denken Sic nach lieber Doktor, vielleicht finden Sie
Etwas," hauchte mir die Gräfin ermuthigend zu. Ich sank
in ein Fauteuil, versank in mich selbst und sann und sann
— und sann lange nach. — — Da durchzuckte plötzlich ein
Gedanke wie eine höhere Eingebung mein Gehirn, — ich sprang
auf und rief entzückt: „Ich hab's, ich hab'S, Frau Gräfin!",
„Was haben Sie, bester Doktor" hauchte die Gräfin
leise, — „was haben Sie, sprechen Sic!" und dabei schlug
sic trotz der Schmerzen freudig die niedlichen Händchen zusammen.
„Ich werde Ihnen, Frau Gräfin," so fuhr ich fort, —
| „ich werde Ihnen einen polnischen Namen, den ich dieser Tage
in einer Zeitung gelesen und dessen Drtographic ich mir glück-
licher Weise gemerkt, ausschreiben. — Diesen Namen werde
ich Ihnen Vorhalten und Sie werden ihn, Frau Gräfin, mit
der äußersten Kraftanstrengung, deren Sie fähig sind, so rasch
als möglich auszusprcchen suchen, — denken Sie, daß es eine
j Kraftanstrcngung ist, die — wie ich hoffe — Sie schnell und
auf immer von ihren Leiden befreit. — Dieser Gedanke wird
Ihnen Kraft und Energie verleihen."
Ich stellte ein Lavoir vor sic hin auf ein Tischchen, schrieb
de» Namen groß und deutlich auf ein Stück Papier und
hielt cs ihr vor.
Eine Schmuggelgeschichte.
„Hier der Name:
„LroszarLSzeresriircszorLSzü^."
Und nun ries ich: „Kraft und Muth, Frau Gräfin,
sprechen Sic diesen Namen schnell und rasch aus!"
Was ich erwartet, geschah.
Mit einer Kraftanstrcngung, die ihre schönen Züge zwar
etwas verzerrte, die ich aber bewundern mußte, sprach die j
Gräfin mit überstürzender Raschheit den obigen Namen. Und
siehe da, beim fünften rcsz flog der schadhafte Zahn, der
ohnehin nicht ganz fest saß, einen weiten Bogen beschreibend,
aus der Klause ihres Mundes in das von mir bereit gehaltene
Becken. Die Gräfin sank erschöpft in's Fauteuil zurück. Ich
jubelte über die Herrlichkeit meiner Idee, über den Triumph
und Fortschritt der Kunst. Ich hatte noch vielmal nachher Ge° !
lcgenheit bei nervösen Damen dieses Heilverfahren anzuwcndcn
und immer mit dem besten Erfolge, ja oft flog schon beim
vierten, ja zuweilen auch schon beim dritten rcsz der Zahn
mir entgegen. Um der leidenden Menschheit willen gebe ich
meine Erfindung, mein Geheimniß preis; möge cs recht Vielen
Hilfe bringen, das ist mein innigster Wunsch.
Doch den nervösen reizbaren Polinnen, denen ist nicht
zu helfen, die müssen sich den Zahn ziehen lassen oder sich
der Narkose unterziehen."
Cine Schmuggelgeschichte.
Der Handelsmann Heyum Ehrlich gab in feinem neu-
gebauten Hause einen the dansant. Die Notabilitätcn der
Börse und Kaufmannschaft waren cingcladcn.
Während nun die schwarzlockige Jugend sich den Freuden
der Göttin Terpsichore hingab, sprachen die älteren Herren im
Nebensalon vom Geschäft, die weniger jungen Ehefrauen aber 1
von der schönen Literatur mit mehr oder minder kritischem
Geschmack. ,
Aristokratie angchörte. Ich steckte die nöthigen Instrumente
in mein Etui, dieses in meine Brusttasche, stieg in eineMicth-
kutschc, deren einige Dutzend vor meinem Hause standen und
flog nach dem Faubourg St. Germain, wo ich mit Hilfe der
mir vom Bedienten zurückgclasscncn Karte das Hotel meiner
Patientin auch bald auffand. Nach einigen Minuten stand ich
j der wegen ihrer Schönheit damals in Paris gefeierten Gräfin N..
einer unvergleichlich reizenden Brünette gegenüber. Sic lag mit
dem verführerischeste» Morgcnanzug angethan in einem Fauteuil
i hingegossen; mit der Rechten hielt sic ein Fläschchen mit sal
volatil vor die Nase, mit der Linken ein Sacktuch vor den
Mund. Nachdem sie mich freundlich bcwillkommt, klagte sie mir
i mit matter Stimme die unsäglichen Schmerzen, die sie zu
leiden, wie sic des Nachts kein Auge zuthun, bei Tage vor
Schmerzen gar nicht denken könne, kurz, wie sehr, wie un-
endlich sic leide. Nachdem sic mir den schadhafte» Zahn ge-
zeigt, zog ich mein Etui hervor und öffnete cs — doch sic
bebte bei dem Anblicke entsetzt zurück und machte mit der
Hand eine abwehrende Bewegung. „Weg damit!" — rief sie
— „weg damit! auf die gewöhnliche Art gcht's bei mir nicht,
ich bin nervös, unendlich nervös, reizbar wie Wenige, ich
könnte den Schmerz nicht ertrage», ich würde sterben, — etwas
anderes, bester Doktor!" — „Dann, Frau Gräfin," sagte
ich, „dann muß ich zur Narkose die Zuflucht nehmen — Sie
müssen sich chlorofornnrcn lassen, ich bin mit dem dazu Röthi-
gen versehen." — „Ach, das noch viel weniger, bester Doktor,"
unterbrach sie mich etwas erregt, „das schon durchaus nicht,
j — man hat Beispiele, daß nervöse Personen bei der Narkose
gar nicht mehr erwachten, — das würde bei mir auch so enden
— etwas Anderes, bester Doktor, etwas Anderes."
Ich stand ganz verdutzt und verblüfft — meine Kunst
war zu Ende.
„Denken Sic nach lieber Doktor, vielleicht finden Sie
Etwas," hauchte mir die Gräfin ermuthigend zu. Ich sank
in ein Fauteuil, versank in mich selbst und sann und sann
— und sann lange nach. — — Da durchzuckte plötzlich ein
Gedanke wie eine höhere Eingebung mein Gehirn, — ich sprang
auf und rief entzückt: „Ich hab's, ich hab'S, Frau Gräfin!",
„Was haben Sie, bester Doktor" hauchte die Gräfin
leise, — „was haben Sie, sprechen Sic!" und dabei schlug
sic trotz der Schmerzen freudig die niedlichen Händchen zusammen.
„Ich werde Ihnen, Frau Gräfin," so fuhr ich fort, —
| „ich werde Ihnen einen polnischen Namen, den ich dieser Tage
in einer Zeitung gelesen und dessen Drtographic ich mir glück-
licher Weise gemerkt, ausschreiben. — Diesen Namen werde
ich Ihnen Vorhalten und Sie werden ihn, Frau Gräfin, mit
der äußersten Kraftanstrengung, deren Sie fähig sind, so rasch
als möglich auszusprcchen suchen, — denken Sie, daß es eine
j Kraftanstrcngung ist, die — wie ich hoffe — Sie schnell und
auf immer von ihren Leiden befreit. — Dieser Gedanke wird
Ihnen Kraft und Energie verleihen."
Ich stellte ein Lavoir vor sic hin auf ein Tischchen, schrieb
de» Namen groß und deutlich auf ein Stück Papier und
hielt cs ihr vor.
Eine Schmuggelgeschichte.
„Hier der Name:
„LroszarLSzeresriircszorLSzü^."
Und nun ries ich: „Kraft und Muth, Frau Gräfin,
sprechen Sic diesen Namen schnell und rasch aus!"
Was ich erwartet, geschah.
Mit einer Kraftanstrcngung, die ihre schönen Züge zwar
etwas verzerrte, die ich aber bewundern mußte, sprach die j
Gräfin mit überstürzender Raschheit den obigen Namen. Und
siehe da, beim fünften rcsz flog der schadhafte Zahn, der
ohnehin nicht ganz fest saß, einen weiten Bogen beschreibend,
aus der Klause ihres Mundes in das von mir bereit gehaltene
Becken. Die Gräfin sank erschöpft in's Fauteuil zurück. Ich
jubelte über die Herrlichkeit meiner Idee, über den Triumph
und Fortschritt der Kunst. Ich hatte noch vielmal nachher Ge° !
lcgenheit bei nervösen Damen dieses Heilverfahren anzuwcndcn
und immer mit dem besten Erfolge, ja oft flog schon beim
vierten, ja zuweilen auch schon beim dritten rcsz der Zahn
mir entgegen. Um der leidenden Menschheit willen gebe ich
meine Erfindung, mein Geheimniß preis; möge cs recht Vielen
Hilfe bringen, das ist mein innigster Wunsch.
Doch den nervösen reizbaren Polinnen, denen ist nicht
zu helfen, die müssen sich den Zahn ziehen lassen oder sich
der Narkose unterziehen."
Cine Schmuggelgeschichte.
Der Handelsmann Heyum Ehrlich gab in feinem neu-
gebauten Hause einen the dansant. Die Notabilitätcn der
Börse und Kaufmannschaft waren cingcladcn.
Während nun die schwarzlockige Jugend sich den Freuden
der Göttin Terpsichore hingab, sprachen die älteren Herren im
Nebensalon vom Geschäft, die weniger jungen Ehefrauen aber 1
von der schönen Literatur mit mehr oder minder kritischem
Geschmack. ,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Schmuggelgeschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 31.1859, Nr. 750, S. 158
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg