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Jost H
Es versteht sich von selbst, daß der ebenso kluge als
tapfere Welf keineswegs die Schuhe zerschnitt, um die Brief-
schaften herauszunehmen. Wenn sie ihm nützen sollten, muß-
ten sie ja nach Herford in Brifsac's Hände kommen. Der
Herzog ließ einen Compagnieschuster kommen, um die Sohlen
kunstgerecht zu trennen und später wieder zusammen zu nähen.
Die Papiere fanden sich vor und enthielten den ausführlichen
Schlachtplan, sowohl was den Angriff Brissac's gegen den
jüngeren Braunschweiger, als was die Bewegungen unterhalb
der Porta betraf. Nun mochte der Herzog von Braunschweig
allerdings diesen Plan des Feindes im Großen und Ganzen
durchschaut haben; nichtsdestoweniger mußte ihm willkommen
sein, genau zu wissen, wo er bisher nur berechnet und ge-
rathen. Auch erfuhr er kostbare Einzelheiten, wie selbst der
beste Kundschafter sie nicht hcrausgebracht hätte.
Nachdem der Feldherr befohlen, die Briefschaften abzu-
schreiben und dann wieder einzunähcn, langte er ein Röllchen
mit Goldstücken hervor, um den Schiffer mit einem Trinkgeld
zu bedenken. Der aber nahm das gnädige Anerbieten krumm.
Zwei Schritte zurücktretend brummte er:
„Ist das mein Lohn für solchen Dienst?"
„Männchen," sagte der Herzog, „es sind Friedrichsd'or
und nicht etwa silberne Kopfstücke, kannst auch mehr haben."
„Ich pfeife Ihm auf sein Geld," fuhr der Schiffer fort.
„Bin kein Spion."
Sein Gold wieder einsteckend, ließ sich der Herzog ver-
nehmen: „Nur nicht verkehrt sein, Männchen. War ja nicht
böse gemeint. Wir Prinzen werden von Kindsbeinen auf
dazu erzogen, Trinkgelder herzugeben."
„Mir wäre das Trinken schon lieber als das Geld,"
sagte Hinnek darauf; „Durst habe ich alleweil."
Alsbald wurde dem Uebel durch einen wackern Tropfen
edlen Gewächses abgcholfcn, denr sich ein Imbiß zugesellte.
Nach der Mahlzeit machte Hinnek sich wieder auf die Sohlen,
erreichte auf Schlcifwegen Gohfeld, wo Franzosen standen,
und langte bei einbrechender Dunkelheit zu Herford an, wo
er die Schuhe an den Herzog von Briffac vorschriftsmäßig
abliefertc. Niemand fragte, weßhalb er nicht früher einge-
troffen, doch hätte eine solche Frage ihn nicht in Verlegenheit
gesetzt, da er schon die Ausrede in Bereitschaft hielt, daß die
große Hitze am Nachmittag ihn bewogen, in einem Gebüsch
zu rasten, wobei er unwillkürlich cingenickt sei und dann sich
verschlafen habe.
Hinnek sprach bei seinem Vetter Jsbrand vor, der ihn
zwar keineswegs erwartet hatte, aber dcßhalb nicht minder
freundschaftlich aufnahm. Der Schiffer hielt für klug, einst-
weilen von Minden wegzubleibcn; weit davon sei gut vor-
dem Schuß, meinte er.
Am dritten Tage danach (am 1. August 1759) wurde
die glorreiche Doppelschlacht bei Minden und Herford geschlagen,
worin die Franzosen eine so reichliche Tracht von deutschen
Hieben erhielten, wie wir sie ihnen demnächst wiederum wünschen.
Es verstand sich von selber, daß der Feind die Stellung
zu Minden nicht übermäßig lange mehr behauptete. Die
i n n e k.
Weserbrücke hatte keinen Nutzen weiter für ihn. Eines schönen
Morgens war weit und breit kein Franzose mehr zu scheu,
oder wie man's heutzutage nennt: keine „Rothhose;" diese
Benennung würde indesien um 70 Jahre der Zeit voraus
sein, denn die rothen Hosen sind unter dem Bürgerkönig
Ludwig Philipp, also erst nach dem Jahre 1830 eingeführt
worden. Doch fehlte es darum nicht an Kricgsvolk in Min-
den; der Herzog von Braunschweig hatte eine Besatzung
hineingelegt, nicht sehr stark, aber ausreichend den Platz vor
einem Handstreich zu bewahren, insofern die Führer Auge und
Ohr gebührend offen hielten. Das aber stand zu erwarten,
denn der Braunschweiger kannte seine Leute und war nicht
der Mann, einen schläfrigen Bärenhäuter hinzustclle», wo er
eines munteren Wächters bedurfte.
Die „Ordiuari" kam an. Schwerfällig rumpelte der
plumpe Kasten über die Zugbrücken und durch die Pforten.
Innerhalb des letzten Thores stieg ein Reisender ab, nachdem
er deni Schirrmeister ein Trinkgeld verabreicht und gesagt
hatte: „Mein Felleisen mag er zu meinem Vater hinschicken."
Der Schirrmeister, ein Mindener Stadtkind, nickte mit
freundlichem Grinsen. „Ich werde das Felleisen selber bringen,"
sagte er, „und bei der Gelegenheit dem Herrn Bürgermeister
meinen Kratzfuß machen. Der wird sich freuen, seinen Sohn
wieder zu sehen."
Der junge Mann gab keine Antwort. Raschen Schrittes
bog er in eine Seitenstraße ein. „O Jemine!" rief eine
Stimme, „das ist ja unser junger Herr Ferdinand." Die
Stimme gehörte dem Markthelfer des Hauses Schräder.
„Ich bin's, mein guter Anton, wohlgerüttelt und ge-
schüttelt, wie mich die Ordiuari eben ausgeworfen," sagte
Ferdinand Schräder. „Wie geht's meinem Vater?"
„Der Herr Vater ist auf's Rathhaus gegangen," be-
richtete Anton.
„Gibt's etwas Neues?" fragte Ferdinand.
Der Markthelfer erzählte von den Begebenheiten der
jüngsten Zeit, von der großen Schlacht, von den kleinen Stadt- I
begcbcnheiten, und schloß mit den Worten: „Der Jost Hinnek
sitzt in Ketten und Banden."
Ferdinand wurde kreideweiß und schnappte nach Luft.
„Was hat er denn gethan?" keuchte er aus athem-
loser Brust.
Anton ließ die Bewegung des jungen Herrn gänzlich
unbemerkt; vertieft in seinen Gegenstand, wie er eben war,
berichtete er:
„Solche Niederträchtigkeit hätte dem ehrsamen Schiffcr
keine Christenscele zngetraut. Er hat den Spion für die
Franzosen gespielt und sich dann aus die Flucht begeben.
Heute Morgen haben sie ihn von Herford gefangen eingc-
bracht. Er wird den Abend schwerlich mehr erleben."
In der That: Hinnek der Schiffer war in heiler Haut
gefährlich krank. Die Leute meinten ihn schon am Galgen
zu sehen. Im großen Rathssaale war das Kriegsrecht ver-
sammelt: ein Oberst, mehrere Offiziere und Unteroffiziere,
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Jost H
Es versteht sich von selbst, daß der ebenso kluge als
tapfere Welf keineswegs die Schuhe zerschnitt, um die Brief-
schaften herauszunehmen. Wenn sie ihm nützen sollten, muß-
ten sie ja nach Herford in Brifsac's Hände kommen. Der
Herzog ließ einen Compagnieschuster kommen, um die Sohlen
kunstgerecht zu trennen und später wieder zusammen zu nähen.
Die Papiere fanden sich vor und enthielten den ausführlichen
Schlachtplan, sowohl was den Angriff Brissac's gegen den
jüngeren Braunschweiger, als was die Bewegungen unterhalb
der Porta betraf. Nun mochte der Herzog von Braunschweig
allerdings diesen Plan des Feindes im Großen und Ganzen
durchschaut haben; nichtsdestoweniger mußte ihm willkommen
sein, genau zu wissen, wo er bisher nur berechnet und ge-
rathen. Auch erfuhr er kostbare Einzelheiten, wie selbst der
beste Kundschafter sie nicht hcrausgebracht hätte.
Nachdem der Feldherr befohlen, die Briefschaften abzu-
schreiben und dann wieder einzunähcn, langte er ein Röllchen
mit Goldstücken hervor, um den Schiffer mit einem Trinkgeld
zu bedenken. Der aber nahm das gnädige Anerbieten krumm.
Zwei Schritte zurücktretend brummte er:
„Ist das mein Lohn für solchen Dienst?"
„Männchen," sagte der Herzog, „es sind Friedrichsd'or
und nicht etwa silberne Kopfstücke, kannst auch mehr haben."
„Ich pfeife Ihm auf sein Geld," fuhr der Schiffer fort.
„Bin kein Spion."
Sein Gold wieder einsteckend, ließ sich der Herzog ver-
nehmen: „Nur nicht verkehrt sein, Männchen. War ja nicht
böse gemeint. Wir Prinzen werden von Kindsbeinen auf
dazu erzogen, Trinkgelder herzugeben."
„Mir wäre das Trinken schon lieber als das Geld,"
sagte Hinnek darauf; „Durst habe ich alleweil."
Alsbald wurde dem Uebel durch einen wackern Tropfen
edlen Gewächses abgcholfcn, denr sich ein Imbiß zugesellte.
Nach der Mahlzeit machte Hinnek sich wieder auf die Sohlen,
erreichte auf Schlcifwegen Gohfeld, wo Franzosen standen,
und langte bei einbrechender Dunkelheit zu Herford an, wo
er die Schuhe an den Herzog von Briffac vorschriftsmäßig
abliefertc. Niemand fragte, weßhalb er nicht früher einge-
troffen, doch hätte eine solche Frage ihn nicht in Verlegenheit
gesetzt, da er schon die Ausrede in Bereitschaft hielt, daß die
große Hitze am Nachmittag ihn bewogen, in einem Gebüsch
zu rasten, wobei er unwillkürlich cingenickt sei und dann sich
verschlafen habe.
Hinnek sprach bei seinem Vetter Jsbrand vor, der ihn
zwar keineswegs erwartet hatte, aber dcßhalb nicht minder
freundschaftlich aufnahm. Der Schiffer hielt für klug, einst-
weilen von Minden wegzubleibcn; weit davon sei gut vor-
dem Schuß, meinte er.
Am dritten Tage danach (am 1. August 1759) wurde
die glorreiche Doppelschlacht bei Minden und Herford geschlagen,
worin die Franzosen eine so reichliche Tracht von deutschen
Hieben erhielten, wie wir sie ihnen demnächst wiederum wünschen.
Es verstand sich von selber, daß der Feind die Stellung
zu Minden nicht übermäßig lange mehr behauptete. Die
i n n e k.
Weserbrücke hatte keinen Nutzen weiter für ihn. Eines schönen
Morgens war weit und breit kein Franzose mehr zu scheu,
oder wie man's heutzutage nennt: keine „Rothhose;" diese
Benennung würde indesien um 70 Jahre der Zeit voraus
sein, denn die rothen Hosen sind unter dem Bürgerkönig
Ludwig Philipp, also erst nach dem Jahre 1830 eingeführt
worden. Doch fehlte es darum nicht an Kricgsvolk in Min-
den; der Herzog von Braunschweig hatte eine Besatzung
hineingelegt, nicht sehr stark, aber ausreichend den Platz vor
einem Handstreich zu bewahren, insofern die Führer Auge und
Ohr gebührend offen hielten. Das aber stand zu erwarten,
denn der Braunschweiger kannte seine Leute und war nicht
der Mann, einen schläfrigen Bärenhäuter hinzustclle», wo er
eines munteren Wächters bedurfte.
Die „Ordiuari" kam an. Schwerfällig rumpelte der
plumpe Kasten über die Zugbrücken und durch die Pforten.
Innerhalb des letzten Thores stieg ein Reisender ab, nachdem
er deni Schirrmeister ein Trinkgeld verabreicht und gesagt
hatte: „Mein Felleisen mag er zu meinem Vater hinschicken."
Der Schirrmeister, ein Mindener Stadtkind, nickte mit
freundlichem Grinsen. „Ich werde das Felleisen selber bringen,"
sagte er, „und bei der Gelegenheit dem Herrn Bürgermeister
meinen Kratzfuß machen. Der wird sich freuen, seinen Sohn
wieder zu sehen."
Der junge Mann gab keine Antwort. Raschen Schrittes
bog er in eine Seitenstraße ein. „O Jemine!" rief eine
Stimme, „das ist ja unser junger Herr Ferdinand." Die
Stimme gehörte dem Markthelfer des Hauses Schräder.
„Ich bin's, mein guter Anton, wohlgerüttelt und ge-
schüttelt, wie mich die Ordiuari eben ausgeworfen," sagte
Ferdinand Schräder. „Wie geht's meinem Vater?"
„Der Herr Vater ist auf's Rathhaus gegangen," be-
richtete Anton.
„Gibt's etwas Neues?" fragte Ferdinand.
Der Markthelfer erzählte von den Begebenheiten der
jüngsten Zeit, von der großen Schlacht, von den kleinen Stadt- I
begcbcnheiten, und schloß mit den Worten: „Der Jost Hinnek
sitzt in Ketten und Banden."
Ferdinand wurde kreideweiß und schnappte nach Luft.
„Was hat er denn gethan?" keuchte er aus athem-
loser Brust.
Anton ließ die Bewegung des jungen Herrn gänzlich
unbemerkt; vertieft in seinen Gegenstand, wie er eben war,
berichtete er:
„Solche Niederträchtigkeit hätte dem ehrsamen Schiffcr
keine Christenscele zngetraut. Er hat den Spion für die
Franzosen gespielt und sich dann aus die Flucht begeben.
Heute Morgen haben sie ihn von Herford gefangen eingc-
bracht. Er wird den Abend schwerlich mehr erleben."
In der That: Hinnek der Schiffer war in heiler Haut
gefährlich krank. Die Leute meinten ihn schon am Galgen
zu sehen. Im großen Rathssaale war das Kriegsrecht ver-
sammelt: ein Oberst, mehrere Offiziere und Unteroffiziere,
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