Der schnelle Condeer.
griff war, sich die Treppe hinauf auf den Boden zu schlep-
pen, wo die blutige Spur seine Verfolger leicht zu ihm ge-
leitet hätte.. Der Förster umfaßte ihn mit starken Armen und
trug ihn leicht, wie ein Kind, hinten zum Hause hinaus, gerade
als die zwei Reiter vor demselben anlangten. Sie warfen
sich von den Pferden, stürzten mit hochgeschwungenen Säbeln
in die Wirthsstnbe und donnerten die betäubten Wirthsleute
an, wo der verfluchte Vaterlandsverräther sich versteckt habe.
Eben als die Lage dieser Leute, die nicht wußten, was sie
sagen sollten, kritisch wurde, stand der Förster neben ihnen;
er war zur vorderen Thüre des Hauses wieder herein getre-
ten. „Sie suchen den Condeer?" sagte er mit der größten
Ruhe zu den über sein plötzliches Erscheinen und die franzö-
sische Anrede verblüfften Franzosen, „er hat sich dort hinten
hinaus geflüchtet, ich will Ihnen den Weg zeigen, den er ge-
nommen hat, folgen Sie mir!" Sie eilten mit ihm hinaus.
Wirklich lief die blutige Spur quer über den Hof und ver-
schwand in einem großen Getreidefeld, das mit hohen, wall-
enden Aehren sich eine sanft ansteigende Anhöhe hinanzog,
die oben von einem Walde gekrönt war. „Allons, suchen
wir ihn, er hat sich im Korn versteckt, er kann nicht weit
weg sein!" riefen die Reiter und wollten sich ans das Korn-
feld stürzen. Der Förster ließ sie ein paar Schritte machen,
dann rief er: „Halt! ich sehe ihn! schauen Sie, dort, dort!"
Richtig, da war er, da floh er hin. Man sah den Tschakko
' mit den weißen Schnüren, sah den grauen Dolman über dem
Getreidefclde siattern. Aber er mußte den Vorsprung, den er
hatte, gut benützt haben, dieser Condeer, er war schon eine
schöne Strecke weit entfernt. Und, alle Wetter, wie lief
er! Die Reiter vergaßen ganz das Nachsetzen, sie thaten
keinen Schritt von der Stelle und folgten dem Con-
( beer immer nur mit den Augen. Das ging wie der
j Wind durch das Getreidefeld hindurch; bald verschwand er
j ganz, bald sah man ihn wieder in unbegreiflich weiter Ent-
fernung auftauchen. So hatte er in unglaublich kurzer Zeit
i die Höhe erreicht, man sah noch einmal den Tschakko winken,
sah den Dolman hoch in die Luft fliegen, dann verschwanden
beide für immer im Walde. Die Chasseure sahen sich an.
Was wollten sie unter diesen Umständen in ihren schweren
Reiterstiefeln machen? Bis sie sich nur durch das Getreide
dnrchgearbeitet härten, wäre der Kerl, wenn er sofortlief, am
Ende der Welt. Und jetzt schon war er im Walde jeder
Verfolgung entzogen. „Diable de coureur!“ rief einer.
„Wer hätte das für möglich gehalten, und vollends bei einem
Verwundeten!" der andere. „Ja," sprach der Förster, „was
man nicht heut zu Tage alles erlebt! Ich bin doch auch kei-
ner von den Langsamen gewesen in meiner Jugend, aber so
wie den habe ich noch keinen laufen gesehen. Der muß Läufer
gewesen sein beim Grafen Artois oder beim Prinzen Conde,
nicht so, ihr Herren? Uebrigens," fügte er bei, „kann's
4!j
ihm leicht gehen, wie dem angeschossenen -Wild: anfangs un-
geheure Geschwindigkeit im Lausen, und dann auf einmal
Mattwcrden und Verblutung. Mag wohl sein, daß ich ihn
in den nächsten Tagen verendet im Walde liegend finde, denn
er schweißte tüchtig!" „Aber kommen Sie, meine Herren,"
schloß er, „Sie werden durstig sein von dem scharfen Ritt,
und der Wirth hat keinen Übeln Trunk im Hanse." Die
Reiter folgten ihm in die Stube. Die unchristliche Hoffnung,
daß der Feind, der auf so unbegreifliche Weise ihren Händen
entkommen war, elend im Walde verenden müsse, tröstete sie
einigermassen für das Fehlschlagen ihrer mörderischen Absich-
ten. Und als der Wirth auf den Wink des Försters ein
paar Flaschen Ausstich, der, im Keller wohlverwahrt, noch
keines Feindes Kehle geletzt hatte, auf den Tisch setzte, gaben
sie sich vollends ganz zufrieden. Man verbrachte eine heitere
Stunde zusammen, und die Chasseure fanden solchen Gefallen
an dem Förster, daß sie ihn mit allen Kräften zu bereden
suchten, in ihr Regiment einzutretcn, wo ihm schnelles Avance-
ment, gewiß sei. Der Förster meinte, dazu sei er zu alt,
auch sei er im Reiten nie stark gewesen. Im Laufen, ja da
habe er früher gemeint, es mit Jedem anfnehmen zu können,
aber der Condeer habe es ihm auch darin abgewonnen. Die
Chasseure wollten beim Abschied sogar den genossenen Wein
bezahlen, aber der Wirth bedeutete sie, auf den Förster zeig-
end, es sei schon alles in Richtigkeit. Höflich dankend schwan-
gen sie sich auf ihre Pferde und ritten fort. Man hörte sie
noch lange über das Erlebniß des Abends laut mit einander
diskuriren.
Der Förster hatte auf die Fragen, mit denen Wirth
und Wirthin ihn bestürmten, keine Antwort gegeben, bis die
Reiter in der Ferne verschwunden waren, dann hieß er sie
folgen und ging hinten zum Hause hinaus, dem Getreidefeld
zu. Er schlug, etwas seitwärts, die Halme auseinander: da
lag der Condeer am Boden. „Sie sind fort," sagte er zu
diesem und half ihm nach dem Hause hingehcn, wo er ihn
auf eine Bank niederließ. Dann zog er eine Pfeife hervor !
und pfiff mehrere Male scharf nach dem Walde hin. Es
dauerte nicht lange, so sah man wieder den Tschakko und Dol-
man sich durch das Korn bewegen, wo möglich noch schneller
als zuvor, und einige Augenblicke darauf sprang der Wolfs-
hund an seinem Herrn empor, der ihm seine erborgte Klei-
dung wieder abnahm und sagte: „Hast Deine Sache brav ge-
macht, Packan! Ja Dich holt kein Chasseur ein, und wenn er !
auch sein Roß unter sich hätte."
Noch oft später, als wieder die alten friedlichen Gäste
die Wirthsstnbe füllten, kam in heiterer Stunde diese Geschichte
auf's Tapet, und allemal wurde noch zum Schluß eine Flasche
von dem Ausstich getrunken und angestoßen aus das Wohl
des „schnellen Condeers."
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griff war, sich die Treppe hinauf auf den Boden zu schlep-
pen, wo die blutige Spur seine Verfolger leicht zu ihm ge-
leitet hätte.. Der Förster umfaßte ihn mit starken Armen und
trug ihn leicht, wie ein Kind, hinten zum Hause hinaus, gerade
als die zwei Reiter vor demselben anlangten. Sie warfen
sich von den Pferden, stürzten mit hochgeschwungenen Säbeln
in die Wirthsstnbe und donnerten die betäubten Wirthsleute
an, wo der verfluchte Vaterlandsverräther sich versteckt habe.
Eben als die Lage dieser Leute, die nicht wußten, was sie
sagen sollten, kritisch wurde, stand der Förster neben ihnen;
er war zur vorderen Thüre des Hauses wieder herein getre-
ten. „Sie suchen den Condeer?" sagte er mit der größten
Ruhe zu den über sein plötzliches Erscheinen und die franzö-
sische Anrede verblüfften Franzosen, „er hat sich dort hinten
hinaus geflüchtet, ich will Ihnen den Weg zeigen, den er ge-
nommen hat, folgen Sie mir!" Sie eilten mit ihm hinaus.
Wirklich lief die blutige Spur quer über den Hof und ver-
schwand in einem großen Getreidefeld, das mit hohen, wall-
enden Aehren sich eine sanft ansteigende Anhöhe hinanzog,
die oben von einem Walde gekrönt war. „Allons, suchen
wir ihn, er hat sich im Korn versteckt, er kann nicht weit
weg sein!" riefen die Reiter und wollten sich ans das Korn-
feld stürzen. Der Förster ließ sie ein paar Schritte machen,
dann rief er: „Halt! ich sehe ihn! schauen Sie, dort, dort!"
Richtig, da war er, da floh er hin. Man sah den Tschakko
' mit den weißen Schnüren, sah den grauen Dolman über dem
Getreidefclde siattern. Aber er mußte den Vorsprung, den er
hatte, gut benützt haben, dieser Condeer, er war schon eine
schöne Strecke weit entfernt. Und, alle Wetter, wie lief
er! Die Reiter vergaßen ganz das Nachsetzen, sie thaten
keinen Schritt von der Stelle und folgten dem Con-
( beer immer nur mit den Augen. Das ging wie der
j Wind durch das Getreidefeld hindurch; bald verschwand er
j ganz, bald sah man ihn wieder in unbegreiflich weiter Ent-
fernung auftauchen. So hatte er in unglaublich kurzer Zeit
i die Höhe erreicht, man sah noch einmal den Tschakko winken,
sah den Dolman hoch in die Luft fliegen, dann verschwanden
beide für immer im Walde. Die Chasseure sahen sich an.
Was wollten sie unter diesen Umständen in ihren schweren
Reiterstiefeln machen? Bis sie sich nur durch das Getreide
dnrchgearbeitet härten, wäre der Kerl, wenn er sofortlief, am
Ende der Welt. Und jetzt schon war er im Walde jeder
Verfolgung entzogen. „Diable de coureur!“ rief einer.
„Wer hätte das für möglich gehalten, und vollends bei einem
Verwundeten!" der andere. „Ja," sprach der Förster, „was
man nicht heut zu Tage alles erlebt! Ich bin doch auch kei-
ner von den Langsamen gewesen in meiner Jugend, aber so
wie den habe ich noch keinen laufen gesehen. Der muß Läufer
gewesen sein beim Grafen Artois oder beim Prinzen Conde,
nicht so, ihr Herren? Uebrigens," fügte er bei, „kann's
4!j
ihm leicht gehen, wie dem angeschossenen -Wild: anfangs un-
geheure Geschwindigkeit im Lausen, und dann auf einmal
Mattwcrden und Verblutung. Mag wohl sein, daß ich ihn
in den nächsten Tagen verendet im Walde liegend finde, denn
er schweißte tüchtig!" „Aber kommen Sie, meine Herren,"
schloß er, „Sie werden durstig sein von dem scharfen Ritt,
und der Wirth hat keinen Übeln Trunk im Hanse." Die
Reiter folgten ihm in die Stube. Die unchristliche Hoffnung,
daß der Feind, der auf so unbegreifliche Weise ihren Händen
entkommen war, elend im Walde verenden müsse, tröstete sie
einigermassen für das Fehlschlagen ihrer mörderischen Absich-
ten. Und als der Wirth auf den Wink des Försters ein
paar Flaschen Ausstich, der, im Keller wohlverwahrt, noch
keines Feindes Kehle geletzt hatte, auf den Tisch setzte, gaben
sie sich vollends ganz zufrieden. Man verbrachte eine heitere
Stunde zusammen, und die Chasseure fanden solchen Gefallen
an dem Förster, daß sie ihn mit allen Kräften zu bereden
suchten, in ihr Regiment einzutretcn, wo ihm schnelles Avance-
ment, gewiß sei. Der Förster meinte, dazu sei er zu alt,
auch sei er im Reiten nie stark gewesen. Im Laufen, ja da
habe er früher gemeint, es mit Jedem anfnehmen zu können,
aber der Condeer habe es ihm auch darin abgewonnen. Die
Chasseure wollten beim Abschied sogar den genossenen Wein
bezahlen, aber der Wirth bedeutete sie, auf den Förster zeig-
end, es sei schon alles in Richtigkeit. Höflich dankend schwan-
gen sie sich auf ihre Pferde und ritten fort. Man hörte sie
noch lange über das Erlebniß des Abends laut mit einander
diskuriren.
Der Förster hatte auf die Fragen, mit denen Wirth
und Wirthin ihn bestürmten, keine Antwort gegeben, bis die
Reiter in der Ferne verschwunden waren, dann hieß er sie
folgen und ging hinten zum Hause hinaus, dem Getreidefeld
zu. Er schlug, etwas seitwärts, die Halme auseinander: da
lag der Condeer am Boden. „Sie sind fort," sagte er zu
diesem und half ihm nach dem Hause hingehcn, wo er ihn
auf eine Bank niederließ. Dann zog er eine Pfeife hervor !
und pfiff mehrere Male scharf nach dem Walde hin. Es
dauerte nicht lange, so sah man wieder den Tschakko und Dol-
man sich durch das Korn bewegen, wo möglich noch schneller
als zuvor, und einige Augenblicke darauf sprang der Wolfs-
hund an seinem Herrn empor, der ihm seine erborgte Klei-
dung wieder abnahm und sagte: „Hast Deine Sache brav ge-
macht, Packan! Ja Dich holt kein Chasseur ein, und wenn er !
auch sein Roß unter sich hätte."
Noch oft später, als wieder die alten friedlichen Gäste
die Wirthsstnbe füllten, kam in heiterer Stunde diese Geschichte
auf's Tapet, und allemal wurde noch zum Schluß eine Flasche
von dem Ausstich getrunken und angestoßen aus das Wohl
des „schnellen Condeers."
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