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Eine Geschichte von der Zeder glauben kann was er mag.

(Schluß.)

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„Weg war alle Müdigkeit bei Janosch und er griff
aus mit einer Hast, daß ich kaum folgen konnte. Eine
Stunde waren wir bereits hinaufgekrochen oder geschli-
chen , da hörte plötzlich das Weitergehen auf. Vor
uns lag eine Schlucht, wohl an die paartausend Fuß
tief und über hundert breit, und neben uns erhob sich
senkrecht der Felsen, auf dem mußte der Bock sein, wenn
nicht Alles täuschte. Ich blickte um mich her und sah,
daß die Wand so glatt war, wie der Tisch da, und
daß wir nicht weiter konnten, außer wir hätten Flügel,
wie die grünen und goldenen Käfer, die uns um-
schwirrten oder die blauen Bergdohlen, die sich von Zeit
zu Zeit au dieselbe hefteten und dann kreischend wieder
aufflogen und spielend über dem Abgrund sich über-
schlugcn, uns gleichsam verspottend. Ich warf mich auf
den Boden nieder und schaute. lachend die glatte
Wand an, indem ich sagte: „Bin doch begierig, Ja-

nosch, wie du da hinauf kommst, aber beim heiligen
Hubertus, ich denke du wirst allein gehen müssen."

„Das glaub' ich selbst," erwiederte er, „du Narr,
wenn ich da hinauf wollte; aber es gibt noch einen
andern Weg, der euren Glotzaugen bis jetzt entgan-
gen ist," und damit wickelte er das dünne Seil ab,
das jeder von uns bei sich trug und band es an einer
Latschen fest, die über die Tiefe hing, vorsichtig daran
ziehend, ob der Knoten auch fest saß.

„Da schau jetzt hinunter," sagte er, „siehst du den
schwarzen Streifen da unten an dem einzelnen Gras-
büschl hängen, das ist unser Weg."

„Teufel", rief ich entsetzt, „den kann ja kaum ein
Mauerspecht gehen."

„Das meint' ich anfangs auch," entgegnete er ganz
kaltblütig, „aber ich habe dir schon gesagt, daß ich
: ihn bereits gegangen bin und werde ihn auch heut wie-
der gehen." Mit diesen Worten faßte er das dünne
j Seil mit beiden Fäusten und glitt von der Höhe an
die fünfzig Fuß nieder. Ich sah ihn unten stehen
mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Büchse
um den Hals gehängt, die Arme ausgespreizt, so
schob er sich langsam vorwärts auf einem Raum, wo die
Fußspitzen, über den Abgrund von ein paar tausend Fuß, hin-
ausragtcn. Ich weiß selbst nicht, wie mir in demselben Au-
genblicke eigentlich war. Es hatte mich eine Art Vergnügen
über die Tollkühnheit meines Gefährten ersaßt und kaum war
die Stelle unter dem Seile frei, so folgte ich. Das war
ein Weg, den nicht jeder gehen kann. Ein leichtes Schwanken
des Körpers, ein leichtes Schwimmen im Gehixn nur den
hundertsten Theil einer Secunde lang, ein einziger abbröckeln-
der Stein, sogar das schnelle Vorüberfliegen einer Schwalbe
und das unwillkührliche Zucken des Augenliedes konnte ge-
fährlich werden. Ein paar hundert Schritte schoben wir uns
j so weiter, lautlos den Schall der eigenen Stimme fürchtend,

da ward der Rand allmählich breiter und wir konnten wieder
aufwärts steigen wie andere Menschenkinder.

„Droben," sagte Janosch flüsternd, „ist eine Klamme,
zu der führt ein Grat, der fällt links und rechts gleich tief
ab. Aus der einen Seite ist eine steile Graslahne, die endet
an einer Wand und links sind schiefhängende Steinplatten,
eines so schlimm als das andere, denn steckt der Bock d'rin-
nen im Kamine und nimmt uns an, ehe wir drüben sind, so
stürzt er einen von uns gewiß ab. — Wir kamen an den Grat;
den zu überschreiten war die reinste Seiltänzerarbeit. Frisch
gewagt, dacht' ich und trat rasch hinüber, Janosch dicht hinter
mir. Aber da stand auch der Bock, stampfend vor Wuth,
mit glühenden Lichtern, die gewaltigen Krickeln gegen uns ge-
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine Geschichte von der Jeder glauben kann was er mag"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gebirge <Motiv>
Furcht <Motiv>
Felsblock
Grat
Abgrund
Jäger <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 37.1862, Nr. 895, S. 70

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