Ein Weihnachts morgen.
Kaum quoll die ahnungsvoll erwartete Fülle zu dem
gemachten Einschnitte heraus, als sich von Seite der ganzen
Familie die höchste Befriedigung mit einem lauten Ah kund
gab, der die beiden kleinen Dulder einen höheren Ansdruck
zu verleihen suchten, indem sie mit den Heften ihrer kleinen
Messer und Gabeln ans den Tisch trommelten und ein kräftiges
Hurrah erschallen ließen.
Es war selbstverständlich, daß der köstliche Braten nur
zur Hälfte aufgegessen werden durfte, die andere Hälfte mußte
für morgen zurückgcstellt werden, denn morgen, am ersten
Feiertage, mußte man sich doch nochmal freuen können, mußte
man doch nochmal etwas Gutes zu essen haben.
Nachdem das Souper vorüber war, räumte man ab,
legte das Tischtuch, . . . auch ein Luxus, den man sich im
Hanse Dulder nur bei ganz besonderen Gelegenheiten erlaubte,
. . . sorgfältig zusammen und nahm die Zubereitung des
Punsches in Angriff.
Das aromatische Getränk wurde von, guten Simplicius
selbst gebraut, dann in der Runde versucht und von Allen
vortrefflich gefunden.
Als alle Gläser vollgeschenkt waren, brachte Dulder den
ersten Toast ans.
„Ein fröhliches Weihnachten für uns Alle, meine Lieben,"
sagte er mit bewegter Stimme. „Gott segne es!"
Die ganze Familie stimmte andächtig mit ein und nippte
au den dampfenden Gläsern.
„Und Gott segne Dich, lieber Mann, und die Kinder!"
sprach mit einem Blicke nach oben Frau Dulder.
Simplicius umarmte seine brave Frau und umarmte
die Kinder und die Kinder umarmten die Eltern, und die
feuchten Augen aller verriethen, wie glücklich, wie dankbar, wie
seelcnvcrgnügt sic war, diese arme Familie, die sich redlich durch
Fleiß und Arbeitsamkeit ernährte und einmal im Jahre ein
Fest beging, wofür Sorger der Meinung gewesen war, daß
sein Commis in's Narrenhaus gehöre.
„Glaubst Dil das noch?" fragte das Phantom den
Geizhals, indem cs crrieth, daß er eben an diese unliebsame
Aeußerung dachte.
Sorger hatte keine Zeit zu einer Antwort, denn in
diesem Augenblicke erhob Simplicius Dulder lvicder das
Glas und brachte einen neuen Toast aus.
„Mein Prinzipal soll leben!" sagte er, „stoßt mit mir
auf seine Gesundheit an: Herr Sorger unser Brodherr!"
„Wie kann man aber auch auf die Gesundheit eines so
hartherzigen, geizigen Menschen trinken, wie dieser Sorger
ist?" zankte die sonst so sanfte Barbara. „Du kannst ein Lied
von ihm singen, armer Mann."
„Aber meine liebe Babctt," bat Simplicius, „bedenke doch:
das Christfest . . . darf man da gehässige Gedanken laut
werden lassen."
„Nun, meinetwegen!" sagte die nachgiebige Frau, „ich
will auf seine Gesundheit trinken Dir zu lieb und weil Weih-
nachten ist_ Er soll leben, aber möchte er sich ändern, es
wäre zu seinem eigenen Besten!"
185
Die Kinder tranken mit ihrer Mutter auf Sorgers Ge- '
sundheit, und in dem Moinente, als das Phantom seinen
Begleiter wieder hinwegführte, stimmten die Kinder ein fröh-
liches Weihnachtslied an.
Es war wieder Tag geworden und Sorger befand sich
mit seinem Führer abermals auf offener Straße und zwar
in dem kleinen Städtchen, welches, er bewohnte.
Der Himmel machte ein trübes Gesicht und war grau
wie eine Butte Asche; die Häuser sahen schwarz und unfreund-
lich her, kurz, das Städtchen bot nichts Freundliches und doch
bemerkte man auf allen Gesichtern einen Ausdruck von Heiter-
keit, wie sie der schönste Tag und die glanzvollste Sonne nicht
ungetrübter hätte schaffen können. Es war eben der erste
Weihnachtstag.
Vom Thurme herab ertönten die Glocken und riefen die
frommen Leute in die Kirche. Ans allen Häusern kamen
Andächtige mit ihren Gebetbüchern und in ihren schönsten
Kleidern heraus und füllten die Straßen, in welchen der
Verkehr immer lebhafter wurde.
Der Geist drängte vorwärts, und so erreichten sie jetzt
ein abscheuliches Viertel der Stadt, in dessen schmutzigen und
engen Gassen mit den kleinen halbverfallenen Häusern, die
Noth und das Elend zu Hause waren.
Sie kamen an eine Trödelbude und traten in dieselbe
ein. Altes Eisen, zerbrochenes Glas, Lumpen, Knochen,
Scherben aller Art und sonstiger Unrath waren die Artikel,
die hier aus- und eiugehandelt wurden.
In der Mitte unter diescin Wüste saß auf einer alten,
verrosteten Ofenröhre der Eigenthümer dieser Schätze, ein
alter Jude mit einer wahren Galgenphysiognomie, auf der
alle Kennzeichen eines Gauners verzeichnet waren.
Kaum befanden sich Sorger und der Geist in der Bude, ;
als ein altes häßliches Weib mit einem schweren Bündel auf i
dem Rücken eintrat.
„Ei, Ihr seid ja schwer beladen, meine liebe Huberin," I
sagte der Jude mit einem abscheulichen Grinsen, wobei er
seine gelben, übcrcinanderstehcndcn Zähne wie ein Hund
fletschte, der einem andern einen Knochen abjagcn will. „Was
bringt Ihr mir denn Alles?"
„Ihr werdet's gleich sehen," entgegnete das Weib, „aber j
sperrt nur schnell Euer» Laden ab und führt mich in Euere
hintere Kammer, denn hier wären wir nicht sicher."
Der Jude verriegelte seine Thüre und trat mit dem Weibe
in eine Art Bretterverschlag, wo, wie in dem ersten Gewölbe,
ebenfalls altes Gerumpel aufgcthürmt lag.
„Euer Bündel hat ein schönes Gewicht," bemerkte der
Alte nochmal, als ihn das Weib schwer auf den Boden fallen
ließ. „Ihr habt da, wie es scheint, Gelegenheit gehabt einen
! ordentlichen Griff 311 machen."
„Wozu wäre man denn Leichenfrau und hätte das un-
angenehme Geschäft, die Todten für das Grab hcrzurichteu?"
erwiderte die Frau. „Auch wüßte ich nicht, warum man sich
von einem Todten kein Andenken mitnehmen sollte, besonders
Kaum quoll die ahnungsvoll erwartete Fülle zu dem
gemachten Einschnitte heraus, als sich von Seite der ganzen
Familie die höchste Befriedigung mit einem lauten Ah kund
gab, der die beiden kleinen Dulder einen höheren Ansdruck
zu verleihen suchten, indem sie mit den Heften ihrer kleinen
Messer und Gabeln ans den Tisch trommelten und ein kräftiges
Hurrah erschallen ließen.
Es war selbstverständlich, daß der köstliche Braten nur
zur Hälfte aufgegessen werden durfte, die andere Hälfte mußte
für morgen zurückgcstellt werden, denn morgen, am ersten
Feiertage, mußte man sich doch nochmal freuen können, mußte
man doch nochmal etwas Gutes zu essen haben.
Nachdem das Souper vorüber war, räumte man ab,
legte das Tischtuch, . . . auch ein Luxus, den man sich im
Hanse Dulder nur bei ganz besonderen Gelegenheiten erlaubte,
. . . sorgfältig zusammen und nahm die Zubereitung des
Punsches in Angriff.
Das aromatische Getränk wurde von, guten Simplicius
selbst gebraut, dann in der Runde versucht und von Allen
vortrefflich gefunden.
Als alle Gläser vollgeschenkt waren, brachte Dulder den
ersten Toast ans.
„Ein fröhliches Weihnachten für uns Alle, meine Lieben,"
sagte er mit bewegter Stimme. „Gott segne es!"
Die ganze Familie stimmte andächtig mit ein und nippte
au den dampfenden Gläsern.
„Und Gott segne Dich, lieber Mann, und die Kinder!"
sprach mit einem Blicke nach oben Frau Dulder.
Simplicius umarmte seine brave Frau und umarmte
die Kinder und die Kinder umarmten die Eltern, und die
feuchten Augen aller verriethen, wie glücklich, wie dankbar, wie
seelcnvcrgnügt sic war, diese arme Familie, die sich redlich durch
Fleiß und Arbeitsamkeit ernährte und einmal im Jahre ein
Fest beging, wofür Sorger der Meinung gewesen war, daß
sein Commis in's Narrenhaus gehöre.
„Glaubst Dil das noch?" fragte das Phantom den
Geizhals, indem cs crrieth, daß er eben an diese unliebsame
Aeußerung dachte.
Sorger hatte keine Zeit zu einer Antwort, denn in
diesem Augenblicke erhob Simplicius Dulder lvicder das
Glas und brachte einen neuen Toast aus.
„Mein Prinzipal soll leben!" sagte er, „stoßt mit mir
auf seine Gesundheit an: Herr Sorger unser Brodherr!"
„Wie kann man aber auch auf die Gesundheit eines so
hartherzigen, geizigen Menschen trinken, wie dieser Sorger
ist?" zankte die sonst so sanfte Barbara. „Du kannst ein Lied
von ihm singen, armer Mann."
„Aber meine liebe Babctt," bat Simplicius, „bedenke doch:
das Christfest . . . darf man da gehässige Gedanken laut
werden lassen."
„Nun, meinetwegen!" sagte die nachgiebige Frau, „ich
will auf seine Gesundheit trinken Dir zu lieb und weil Weih-
nachten ist_ Er soll leben, aber möchte er sich ändern, es
wäre zu seinem eigenen Besten!"
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Die Kinder tranken mit ihrer Mutter auf Sorgers Ge- '
sundheit, und in dem Moinente, als das Phantom seinen
Begleiter wieder hinwegführte, stimmten die Kinder ein fröh-
liches Weihnachtslied an.
Es war wieder Tag geworden und Sorger befand sich
mit seinem Führer abermals auf offener Straße und zwar
in dem kleinen Städtchen, welches, er bewohnte.
Der Himmel machte ein trübes Gesicht und war grau
wie eine Butte Asche; die Häuser sahen schwarz und unfreund-
lich her, kurz, das Städtchen bot nichts Freundliches und doch
bemerkte man auf allen Gesichtern einen Ausdruck von Heiter-
keit, wie sie der schönste Tag und die glanzvollste Sonne nicht
ungetrübter hätte schaffen können. Es war eben der erste
Weihnachtstag.
Vom Thurme herab ertönten die Glocken und riefen die
frommen Leute in die Kirche. Ans allen Häusern kamen
Andächtige mit ihren Gebetbüchern und in ihren schönsten
Kleidern heraus und füllten die Straßen, in welchen der
Verkehr immer lebhafter wurde.
Der Geist drängte vorwärts, und so erreichten sie jetzt
ein abscheuliches Viertel der Stadt, in dessen schmutzigen und
engen Gassen mit den kleinen halbverfallenen Häusern, die
Noth und das Elend zu Hause waren.
Sie kamen an eine Trödelbude und traten in dieselbe
ein. Altes Eisen, zerbrochenes Glas, Lumpen, Knochen,
Scherben aller Art und sonstiger Unrath waren die Artikel,
die hier aus- und eiugehandelt wurden.
In der Mitte unter diescin Wüste saß auf einer alten,
verrosteten Ofenröhre der Eigenthümer dieser Schätze, ein
alter Jude mit einer wahren Galgenphysiognomie, auf der
alle Kennzeichen eines Gauners verzeichnet waren.
Kaum befanden sich Sorger und der Geist in der Bude, ;
als ein altes häßliches Weib mit einem schweren Bündel auf i
dem Rücken eintrat.
„Ei, Ihr seid ja schwer beladen, meine liebe Huberin," I
sagte der Jude mit einem abscheulichen Grinsen, wobei er
seine gelben, übcrcinanderstehcndcn Zähne wie ein Hund
fletschte, der einem andern einen Knochen abjagcn will. „Was
bringt Ihr mir denn Alles?"
„Ihr werdet's gleich sehen," entgegnete das Weib, „aber j
sperrt nur schnell Euer» Laden ab und führt mich in Euere
hintere Kammer, denn hier wären wir nicht sicher."
Der Jude verriegelte seine Thüre und trat mit dem Weibe
in eine Art Bretterverschlag, wo, wie in dem ersten Gewölbe,
ebenfalls altes Gerumpel aufgcthürmt lag.
„Euer Bündel hat ein schönes Gewicht," bemerkte der
Alte nochmal, als ihn das Weib schwer auf den Boden fallen
ließ. „Ihr habt da, wie es scheint, Gelegenheit gehabt einen
! ordentlichen Griff 311 machen."
„Wozu wäre man denn Leichenfrau und hätte das un-
angenehme Geschäft, die Todten für das Grab hcrzurichteu?"
erwiderte die Frau. „Auch wüßte ich nicht, warum man sich
von einem Todten kein Andenken mitnehmen sollte, besonders