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202

Ein Wcihn

gibst Du mich alsdann schon jetzt der Verzweiflung preis,
indem Du mir diese Dinge zeigst?"

„Noch ist Rettung möglich," erwiderte das Phantom.

„O habe Dank, habe Dank für diesen Trost! Ja, ich
werde fortan ein anderer Mensch sein, ich werde Weihnachten
ans dem Grunde meines Herzens verehren, und nichts mehr
verachten, als nur mein bisheriges Leben! . . . Ich schwöre
cs Dir, o Geist! . . . Hier, hier, nimm meine Hand zum
Pfände."

Sorgcr griff ohne alle Scheu nach der Hand seines
einstigen Affocies und hielt, als er . . . erwachte, eine eiserne
Borhangstange seines Bettes umfaßt.

HI.

Ja, die eiserne Stange seines Bettvorhanges war es,
die Sorgcr in der Hand hielt, als er zu einer neuen Zukunft,
zur Besserung und Umgestaltung seines bisherigen Lebens
erwachte.

„Ich werde mich bessern!" rief er, indem er mit beiden
Füßen zugleich aus seinem Bette heraussprang; ja, ich werde
mich bessern! Die Bilder, die mein Traum mir zeigte, sollen
für mich nicht mehr verloren gehen!" . . .

Er war so angeregt, so durchglüht von guten Vorsätzen,
daß seine Stimme kaum hinreichte, um laut genug die Em-
pfindungen auszudrücken, die ihn erfüllten. Sein Gesicht
schwamm noch jetzt in Thränen, so heftig hatte er während
seines Traumes geweint, und nun waren es Frendenthräncn,
die sich zu den andern mischten.

„Er ist nicht abgenommen," rief Sorgcr, indem er seinen
Bettvorhang heftig schüttelte, „er ist noch hier sammt den
Ringen und Schnüren!"

Inzwischen versuchte er es, sich anzuziehen, aber er
machte Alles verkehrt, fuhr mit den Händen in seine Strümpfe
und mit den Füßen in sein Camisol; in seiner Verwirrung
zerriß er seine Wäsche, ließ sein Hemd fallen, bevor er das
andere anhatte und rief lachend und weinend: „Ich weiß nicht
was ich thue! Ich bin leicht wie eine Feder, fröhlich wie ein
Kind, glücklich wie ein Seliger. Ich fühle mich neu geboren,"
rief er. „Ein frohes Weihnachten der ganzen Welt! Hurrah,
ein glückliches Weihnachten allen guten Christen!"

So rief Sorgcr, während er neue Versuche machte, sich
anzuklcidcn. Zu diesem Jubel seines umgewandcltcn Herzens
läutete wie zur Feier seiner Wiedergeburt, in der That aber,
weil der erste Weihnachtsfeiertag war, die Glocke des benach-
barten Kirchthurmes ihr Kling klang, Kling klang so lustig
hinaus in die frische Morgenluft, wie Sorger es noch nie
gehört hatte.

„Kling klang, ding dang, kling klang! O wie herrlich!
Wie wunderschön!" rief er entzückt und eilte an's Fenster,
um es zu öffnen und hinauszuschen. „Kein Nebel, keine
Wolke am blauen Himmel; eine heitere Luft mit goldenem
Sonnenschein, und die lustigen Glocken! O herrlich, herrlich!
Ein wahrer Festtag des Herrn, ein Tag der Freude für so
viele Millionen Menschen!"

Es war die Stunde, zu der seine Aufwärterin zu kommen

ch t s in o r g e n.

pflegte, um ihm sein Frühstück zu machen und das Zimmer
in Ordnung zu bringen. Sorgcr sah sie mit einigem Miß-
trauen an, denn es kam ihm vor, als gleiche sie dem Weibe
in seinem Traume. Die Person hatte in der That ein recht
unheimliches Gesicht.

„Ein solches Weib paßt zu einem Geizhalse," sagte sich
Sorger im Stillen, „aber zu dem umgewandelten Sorgcr paßt
sie nicht mehr," und er nahm sich vor, ihr den Dienst zu kün-
digen und sich mit vcrläßigcrcn Leuten zu umgeben.

Für jetzt schwieg er davon und lachte nur, als er sah,
wie erstaunt sic ihn anschaute, da sie sich die mit ihm vorge-
gangene Aenderung nicht zu erklären vermochte.

„Sir muß mir heute etwas besorgen," sagte er sodann,
„geh' sie hinüber zu dem Gcflügelhändler Meyer und sag' sie
ihm, daß er mir gleich den größten und schönsten Indian
schicken soll, den er im Laden hat."

„Einen Indian?" wiederholte das Weib ganz verblüfft.

„Ja, einen Indian. Weiß sie etwa nicht, was das ist? . .
Geh' sie schnell, und Herr Meyer soll den Indian auf der
Stelle schicken. Ehe zehn Minuten vergehen, muß er hier sein."

Die Frau, die stark in Versuchung kam, zu glauben,
daß ihr Herr den Verstand verloren habe, ging.

„Ich werde den Indian meinem armen Dulder schicken,"
sagte Sorger zu sich selbst. „Er wird nicht wissen, woher
er äst, aber ich wette, er und seine Frau werden sich den Spaß
gefallen lassen."

In einer kleinen Viertelstunde kam die Aufwärterin mit
dem Lehrlinge des Geflügclhändlcrs zurück, der in einem Korbe
den Indian brachte, ein Thier fast so groß wie ein Kalb.

„Du weißt, mein Junge," fragte Sorgcr den Knaben,
„wo mein Commis Dulder wohnt, nicht wahr?

,Ja," erwiderte der Knabe.

„Nun gut; geh' mit dem Indian hin und stelle ihn vor
seine Hausthüre, dann läute an; mache aber, daß Du fort-
lommst, bevor Dir jemand öffnet, denn ich will nicht, daß
Dulder erfährt, von wem der Indian ist." . . .

Sorgcr kleidete sich nun zum Ausgchen au. Als er damit
fertig war, öffnete er seinen feuerfesten Caffaschrank und nahm
eines der Schüsselchen mit den blanken Goldstücken heraus.

„So," sagte er, „Ihr sollt nun auch an's Tageslicht
kommen; auch Eure Stunde hat geschlagen!" Und er zählte hun-
dert Stücke schöne neue Dukaten heraus, die er in ein blaues
Papier entwickelte und in seine Tasche steckte.

Nachdem er den Schrank wieder versperrt hatte, verließ
er das Haus.

Er fand in den Straßen dieselbe Menge von Leuten,
wie er sie an der Seite des Geistes in seinem Traume ge-
sehen. Sorger betrachtete dieses Wogen und Treiben mit
hoher Befriedigung.

Sein erster Gang war in die Kirche, wo er seit langer
Zeit wieder zum ersten Male einem Hochamte beiwohnte. Wie
dankte er mit wahrer Inbrunst dem Herrn für seinen Traum!

Nach der Messe lenkte er seine Schritte nach dem Hause
seines Neffen. Er ging ein halbes Dutzend Mal vor dem-
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