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Die Leichenräuber.

möchte dieser jedoch verleitet werden, den Doktor für ein Wunder
von Muth, Entschlossenheit und Charakterfestigkeit zu halten, da
er trotz der verweigerten Einwilligung von Waterton, dennoch
auf seiner Absicht bestand, und jetzt sogar eine Leiche bei Nacht
und Nebel stehlen wollte — ein Geschäft, vor dem selbst der
kühnste Jäger jener Wälder zurückgeschreckt sein würde. Dem
war aber gar nicht so; — Doktor Mac Botherme hatte aller-
dings, was auch schon sein „Geschäft" mit sich brachte, keine
Furcht vor Leichen — der menschliche Körper war ihm etwa
dasselbe, was einem eifrigen Botaniker die Pflanze ist, die er
zerlegt und nach ihren inneren Theilen classifizirt; er würde also
auch das Stehlen der Leiche an sich selbst als etwas sehr Un-
schuldiges, ja vielleicht Interessantes betrachtet haben, wäre nicht
noch ein anderer Umstand dazu gekommen, der allerdings der
ganzen Sache eine Schattenseite gab, und ihn sogar mit einem
Gefühl erfüllte, das, er mochte sich dagegen sträuben so viel
er wollte — der Furcht ungemein ähnlich sah. Die Leiche lag
nämlich im Wald — eine Meile von jeder menschlichen Woh-
nung entfernt, und erst vor wenigen Tagen hatten die Jäger
von Waterton gerade dort einen Panther gejagt und nicht
erwischt. Der Panther mußte also noch nothwendiger Weise
im Walde sein, denn es war nicht einmal auf ihn geschossen wor-
den, so daß man sich vielleicht damit hätte beruhigen können,
er sei verwundet und später irgendwo verendet.

Außerdem schienen auch die Einreden der Bewohner von Water-
ton einen nicht unbedeutenden Eindruck auf ihn gemacht zu haben,
daß sich nämlich in letzter Zeit wieder mehrere Indianer, und zwar
von den Winnebagoes eben in der Gegend gezeigt hätten, die, wenn
sie von dem Leichenraub eines ihres Stammes hören sollten, nie
im Leben eine solche That vergessen, sondern sie an dem Thäter
und seiner ganzen Nachbarschaft rächen würden, indem sie, wenn
sie nicht dieser selbst habhaft würde, doch wenigstens ihre Mais-
felder und Häuser in Brand steckten und ihnen vielleicht auch
noch außerdem mit heimlicher Kugel im Walde auflauerten.

Das Alles blieb zu bedenken, die Versuchung zeigte sich
aber hier zu stark, Mac Botherme konnte nicht widerstehen, und
beschloß nun, der äußeren Vorsicht und der Bequemlichkeit im
Allgemeinen wegen, seinen eben angenommenen Diener Patrik
O'Flaherti zu Schutz und Hilfe mitzunehnien und die Sache
wo möglich vollkommen geheim zu halten.

, O'Flaherti, ein wahres Muster eines Irländers der nie-
deren Klaffen, mit brennendrothem Haar und ordentlich Funken
sprühender Nase — starkknochig und keck, mit unverwüstlichem
Humor und nicht zu ermüdender Dienstfertigkeit, war denn auch,
besonders noch durch die zugesicherte reichliche Belohnung ge-
lockt, gern bereit, dem Doktor, wie er sich ausdrückte „durch dick
und dünn zu folgen" heißt das, wenn sie es nur „mit wirklich
todten" Personen zu thun hätten, und nicht etwa gar der Geist
des „seligen Rothfells" neben dem Grabe säße und aus seinem
Tomahawk schlechten Tabak rauche. Auch hatte Patrik — der
sonst keinen Menschen fürchtete, eine nicht unbedeutende Scheu vor
den Wilden selbst, da ihm schon in der Heimath die fürchter-
lichsten Schilderungen von diesen gemacht waren, die dort als

Cannibalen und wahre Teufel verschrieen wurden. Das was
er, in Illinois angekommen, hie und da über die letzten Ein- j
fälle und Gräuelscenen gehört, diente ebenfalls nicht dazu, ihm
einen besseren Begriff von ihnen beizubringen, und so äußerte
er denn auch diese Befürchtung ziemlich frei und offen gegen !
seinen neuen Herrn. Mac Botherme, obgleich er ihm im Innern
vollkommen recht gab, hütete sich jedoch wohl, ihm davon etwas
merken zu lassen; im Gegentheil suchte er mit dem unbefangen-
sten Lächeln von der Welt jede etwa aufsteigende Furcht in ihm
zu beschwichtigen. Das gelang ihm denn auch vollkommen, und
die Ausführung des Unternehmens wurde auf den nächsten Abend
festgesetzt, da an diesem, als an einem Sonntag, nicht zu fürch-
ten war, daß vielleicht irgend Jemand von Waterton auf der
Jagd draußen sei, und zufällig in die Nähe des Indianischen
Mound kommen könnte. Alle nöthigen Vorbereitungen wurden
nun getroffen, und der Plan schien sich auch leicht und gefahr-
los ausführen zu lassen. Der Doktor bewohnte nämlich ein
eigenes kleines Haus mit zwei Abtheilungen, in deren einer er
und der Diener schlief, während er die andere zu seinem Wohn-
und Studierzimmer erhoben hatte. In das erstere nun sollte
die Leiche geschafft und dort zubereitet werden, bis sich später
einmal eine Gelegenheit fand, das hergerichtete Gerippe ohne
Aufsehen an den Ort seiner Bestimmung zu schaffen.

Patrik mußte sich dabei Hacke und Schaufel zurecht legen,
und der Doktor nahm die alte Muskete vom Hacken, schnallte
seinen breiten, bis dahin zu Schutz und Trutz über dem Bett
hängenden Hirschfänger um, steckte ein Brecheisen und ein kleines
Bei! zu sich, um ohne weitere Mühe den Sarg öffnen zu kön- j
neu, und während er noch das Letzte — einen großen grauen
Leinwandsack über seine Schultern hing, um darin den Leichnam ;
desto leichter fortschaffen zu können, brachen an demjbezeichneten
Abend die Beiden, als der Mond eben unterging (und das war j
etwa gerade um neun Uhr) vorsichtig auf, wobei sie, um jedes
Aufsehen zu vermeiden und nicht etwa von einem noch zufällig
auf der Straße Weilenden bemerkt zu werden, das kleine Haus !
umgingen, die nächste Fenz, die des Gastwirths Maisfeld ein- !
schloß, übersprangen, und dann durch dieses hin, und von den
hohen breitblättrigen Maisstöcken vollkommen verdeckt, dem
Walde zueilten. Es war dieß allerdings ein ziemlich bedeutender
Umweg, den sie machten; sie hatten ja aber die ganze Nacht
vor sich, und setzten so, leise und geräuschlos, ihren dunkeln un-
heimlichen Weg fort.

Indessen saßen in der Schenke von Waterton die vier ein-
zigen nicht religiösen Männer, die, außer dem Doktor und
Patrik, in dem kleinen Städtchen zu finden waren, fröhlich bei-
sammen, und thaten dem erst frisch von Vincennes eingetroffenen
Biere alle nur mögliche Ehre an. Diese viere waren aber
erstlich James Glaffy, der Wirth selbst, ein seit der frühesten
Gründung von Waterton hier eigewanderter Pensylvanier, und
kurzweg von seinen Bekannten und Gästen Jim genannt, dann
Josy, der Schmied, Weppel, ver Schulmeister, und Shark,
der Krämer.

Eines nur. wie sie so friedlich und heiter beisammen saßen.

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