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Drei Hochzeiten durch zwei Droschken.
er schon tausendmal in Romanen gelesen, auf der Bühne
gesehen und im Leben erlebt hat.
Wir sind daher einigermaßen in Verlegenheit, etwas
so alle Tage Geschehendes wie eben der Zufall ist, in Scene zu
setzen, wenn uns nicht die zwei wunderbaren Eigenschaften
des Zufalls, seine Unsichtbarkeit und seine unerschöpfliche
Vielseitigkeit den nöthigen Muth verliehen, auf eine kurze
Zeit die Geduld des verehrten Lesers in Anspruch zu nehmen,
und ihm zu erzählen, wie zwei Droschken — — — doch
zur Sache:
Eins der elegantesten Quartiere auf der ganz neu ge-
bauten Grünstraße vor dem —schen Thore der Haupt- und
Residenzstadt B. bewohnte die Familie des Herrn Regie-
rungsrath Eichfeldt, und wann der freundliche Leser geneigt
ist uns zu folgen, so werden wir Gelegenheit finden, ihm
dieselbe in xlsno vorstellen zu können, denn sie ist gerade in
dem einfachen, aber sehr geschmackvollen Familienzimmer voll-
zählig versammelt. Silbergraue Tapeten, ein Teppich, der
den Fußboden bedeckt, sowie die zugezogencn Fenstergardinen
verliehen dem durch eine prachtvolle Lampe mild erhellten
Raume etwas ungemein Behagliches und Comfortables.
Sanfte Wärme durchströmt das Zimmer und bildet den
angenehmsten Contrast zu dem feinen, kalten Sprühregen, der
draußen sein unleidliches Wesen treibt. Um den runden
Tisch sehen wir eine allerliebste Familiengruppe geschaart; es
sind Eichfeldts. Der Regierungsrath selbst, ein Mann in
den fünfziger Jahren, sitzt in einem bequemen Sestel; im
Schlafrock und Pantoffeln, ein mit Silberpcrlen kunstreich
gesticktes, schwarzes Sammtkäppchen, — das Geburtstagsge-
schenk seiner Tochter, — auf dem Haupte. Aus einer
wundervoll und tadellos braunen Meerschaumpfeife rauchend,
bläst er den blauen wohlriechenden Dampf echt türkischen
Tabaks in künstlichen Ringen empor und liest dabei in aller
Behaglichkeit die Neuigkeiten, welche die Abendblätter der
B—schen Zeitung eben bringen. — Sein Gesicht zeigt jene
Bonhommie und Gutmüthigkeit, die auf das Bewußtsein
schließen lassen, das Haupt einer vom Glück gesegneten,
sorgenfreien und reichen Familie zu sein. Die Frau Räthin,
eifrig mit Stricken beschäftigt, sitzt ihm gegenüber auf dem
Sopha, und obgleich bereits schon in gesetzterem Alter, sieht
man ihr doch noch recht gut die Spuren ehemaliger Schön-
heit an. Ihr verjüngtes, reizendes Ebenbild, Fräulein
Albertine, das holdselige Töchterchen des Herrn RegierungS-
raths ist eben damit beschäftigt, den Thee zu bereiten und
sitzt vor einem riesigen Sommavar, einer auf russische Art
construirten Theemaschine, dem Summen und Singen des
Kessels lauschend und den Moment erwartend, den fertigen
Thee in die bereit stehenden Tasten zu füllen. Albertine ist
ein bildhübsches Mädchen mit blondem Haar und blauen
Augen, aus denen Treuherzigkeit und echt jungfräuliche
Schüchternheit zu lesen war. Noch war das Gefühl der
Liebe in dem reinen Busen dieses Mädchens nicht entbrannt,
aber ihre leisen Vorboten begannen sich wohl zu regen und
sich in träumerischem Sinnen zu offenbaren. Wer Albertinen
ansah, dem mochte es wohl zu Muthe werden, als erblicke
er eine schwellende, liebliche Knospe, die sehnsüchtig den vollen
Strahl der Sonne erwartet, sich zur prächtigen Blume zu
entfalten.
Erich, ihr Bruder, steht hinter ihren: Stuhle und blickt
auf die blauen, züngelnden Flammen, die den Theekessel um-
spielen. Der junge Mann schien etwas ungeduldig und sah
gelangweilt aus. Ein sorgfältig gepflegter blonder Henry-
quatre gab seinem interessanten Gesichte ein recht keckeö,
unternehmendes Ansehen.
Der alte Regierungsrath hielt streng auf eine gewisse
Familienordnung und duldete es durchaus nicht, daß ein
Mitglied der Familie beim allabendlichen Thee fehlte. War
dieser eingenommen, so ging es dann für Erich leichter, sich
unbemerkt davon zu schleichen, um in Gesellschaft einiger Freunde
gleichen Standes und gleicher Sinnesrichtung einen heiteren
Abend zu verleben. Erich war Maler geworden, wozu er
ganz besondere Lust und Neigung in sich fühlte. Mit den
Wünschen des alten Eichfeldt, der mehr Sinn für das Prak-
tische hatte, und gerne gesehen hätte, daß sein Sohn Jurist
geworden wäre, stimmte dies freilich nicht überein, allein er
war nicht geneigt, seinem Sohne Zwang anzuthun, und ihn
einem Berufe zuzuwenden, für den Erich kein Geschick zu !
haben glaubte. Ueberdieß hatte dieser an seiner Mutter,
deren Liebling er war, eine warme und eifrige Fürsprecherin.
„Sapperment!" flüsterte Erich jetzt, „es ist doch schau-
derhaft ennuyant hier, schon halb neun Uhr und Papa liest '
noch immer seine Zeitung! — Du Tine!" — damit klopfte
er seiner Schwester sachte auf die Schulter — „ist Deine
Theesuppe nicht bald fertig?" Albertine drehte sich halb ;
unwillig um und sah ihrem Bruder lächelnd in's Gesicht.
„Willst wohl wieder fort zu Deinen wilden Kamera- !
den? Ich sehe Dir'S an, Du stehst wie auf Kohlen! Sieh'
einmal hier den Theekessel an, der steht auch auf Kohlen, !
gerade so wie Du; ist aber lange nicht so unartig!"
„Ei, ei, Schwesterchen, wie spitz!" antwortete lachend
ihr Bruder, „hätte Dir gar nicht soviel Witz zugetraut, Du
frommes Täubchen!"
„Erich, Du bist recht garstig!"
„Tine, Du bist recht hübsch! Hat Dir das nicht der
lange Moritz auf dem letzten Balle auch schon gesagt?"
Albertine wurde roth vor Aerger.
„Was willst Du denn immer mit diesem abscheulichen
Menschen, der statt der Nase einen glühenden Leuchtthurm
im Gesichte hat und so widerlich nach Tabak riecht; es ist !
mir übel und weh geworden, als ich niit ihm tanzen mußte."
„Nun Papa raucht ja auch, wie Du siehst, ärger wie
ein Schornstein, und Du kannst es recht wohl vertragen!"
meinte Erich.
Albertine gab hierauf keine Antwort und macht sich
mit der Theemaschine zu schaffen. — Erich warf einen unge-
duldigen Blick auf die Stutzuhr, die auf einer vergoldeten
Console über dem Sopha stand, und trat hierauf an das
Fenster, dessen Vorhänge er bei Seite schob, um einmal
Drei Hochzeiten durch zwei Droschken.
er schon tausendmal in Romanen gelesen, auf der Bühne
gesehen und im Leben erlebt hat.
Wir sind daher einigermaßen in Verlegenheit, etwas
so alle Tage Geschehendes wie eben der Zufall ist, in Scene zu
setzen, wenn uns nicht die zwei wunderbaren Eigenschaften
des Zufalls, seine Unsichtbarkeit und seine unerschöpfliche
Vielseitigkeit den nöthigen Muth verliehen, auf eine kurze
Zeit die Geduld des verehrten Lesers in Anspruch zu nehmen,
und ihm zu erzählen, wie zwei Droschken — — — doch
zur Sache:
Eins der elegantesten Quartiere auf der ganz neu ge-
bauten Grünstraße vor dem —schen Thore der Haupt- und
Residenzstadt B. bewohnte die Familie des Herrn Regie-
rungsrath Eichfeldt, und wann der freundliche Leser geneigt
ist uns zu folgen, so werden wir Gelegenheit finden, ihm
dieselbe in xlsno vorstellen zu können, denn sie ist gerade in
dem einfachen, aber sehr geschmackvollen Familienzimmer voll-
zählig versammelt. Silbergraue Tapeten, ein Teppich, der
den Fußboden bedeckt, sowie die zugezogencn Fenstergardinen
verliehen dem durch eine prachtvolle Lampe mild erhellten
Raume etwas ungemein Behagliches und Comfortables.
Sanfte Wärme durchströmt das Zimmer und bildet den
angenehmsten Contrast zu dem feinen, kalten Sprühregen, der
draußen sein unleidliches Wesen treibt. Um den runden
Tisch sehen wir eine allerliebste Familiengruppe geschaart; es
sind Eichfeldts. Der Regierungsrath selbst, ein Mann in
den fünfziger Jahren, sitzt in einem bequemen Sestel; im
Schlafrock und Pantoffeln, ein mit Silberpcrlen kunstreich
gesticktes, schwarzes Sammtkäppchen, — das Geburtstagsge-
schenk seiner Tochter, — auf dem Haupte. Aus einer
wundervoll und tadellos braunen Meerschaumpfeife rauchend,
bläst er den blauen wohlriechenden Dampf echt türkischen
Tabaks in künstlichen Ringen empor und liest dabei in aller
Behaglichkeit die Neuigkeiten, welche die Abendblätter der
B—schen Zeitung eben bringen. — Sein Gesicht zeigt jene
Bonhommie und Gutmüthigkeit, die auf das Bewußtsein
schließen lassen, das Haupt einer vom Glück gesegneten,
sorgenfreien und reichen Familie zu sein. Die Frau Räthin,
eifrig mit Stricken beschäftigt, sitzt ihm gegenüber auf dem
Sopha, und obgleich bereits schon in gesetzterem Alter, sieht
man ihr doch noch recht gut die Spuren ehemaliger Schön-
heit an. Ihr verjüngtes, reizendes Ebenbild, Fräulein
Albertine, das holdselige Töchterchen des Herrn RegierungS-
raths ist eben damit beschäftigt, den Thee zu bereiten und
sitzt vor einem riesigen Sommavar, einer auf russische Art
construirten Theemaschine, dem Summen und Singen des
Kessels lauschend und den Moment erwartend, den fertigen
Thee in die bereit stehenden Tasten zu füllen. Albertine ist
ein bildhübsches Mädchen mit blondem Haar und blauen
Augen, aus denen Treuherzigkeit und echt jungfräuliche
Schüchternheit zu lesen war. Noch war das Gefühl der
Liebe in dem reinen Busen dieses Mädchens nicht entbrannt,
aber ihre leisen Vorboten begannen sich wohl zu regen und
sich in träumerischem Sinnen zu offenbaren. Wer Albertinen
ansah, dem mochte es wohl zu Muthe werden, als erblicke
er eine schwellende, liebliche Knospe, die sehnsüchtig den vollen
Strahl der Sonne erwartet, sich zur prächtigen Blume zu
entfalten.
Erich, ihr Bruder, steht hinter ihren: Stuhle und blickt
auf die blauen, züngelnden Flammen, die den Theekessel um-
spielen. Der junge Mann schien etwas ungeduldig und sah
gelangweilt aus. Ein sorgfältig gepflegter blonder Henry-
quatre gab seinem interessanten Gesichte ein recht keckeö,
unternehmendes Ansehen.
Der alte Regierungsrath hielt streng auf eine gewisse
Familienordnung und duldete es durchaus nicht, daß ein
Mitglied der Familie beim allabendlichen Thee fehlte. War
dieser eingenommen, so ging es dann für Erich leichter, sich
unbemerkt davon zu schleichen, um in Gesellschaft einiger Freunde
gleichen Standes und gleicher Sinnesrichtung einen heiteren
Abend zu verleben. Erich war Maler geworden, wozu er
ganz besondere Lust und Neigung in sich fühlte. Mit den
Wünschen des alten Eichfeldt, der mehr Sinn für das Prak-
tische hatte, und gerne gesehen hätte, daß sein Sohn Jurist
geworden wäre, stimmte dies freilich nicht überein, allein er
war nicht geneigt, seinem Sohne Zwang anzuthun, und ihn
einem Berufe zuzuwenden, für den Erich kein Geschick zu !
haben glaubte. Ueberdieß hatte dieser an seiner Mutter,
deren Liebling er war, eine warme und eifrige Fürsprecherin.
„Sapperment!" flüsterte Erich jetzt, „es ist doch schau-
derhaft ennuyant hier, schon halb neun Uhr und Papa liest '
noch immer seine Zeitung! — Du Tine!" — damit klopfte
er seiner Schwester sachte auf die Schulter — „ist Deine
Theesuppe nicht bald fertig?" Albertine drehte sich halb ;
unwillig um und sah ihrem Bruder lächelnd in's Gesicht.
„Willst wohl wieder fort zu Deinen wilden Kamera- !
den? Ich sehe Dir'S an, Du stehst wie auf Kohlen! Sieh'
einmal hier den Theekessel an, der steht auch auf Kohlen, !
gerade so wie Du; ist aber lange nicht so unartig!"
„Ei, ei, Schwesterchen, wie spitz!" antwortete lachend
ihr Bruder, „hätte Dir gar nicht soviel Witz zugetraut, Du
frommes Täubchen!"
„Erich, Du bist recht garstig!"
„Tine, Du bist recht hübsch! Hat Dir das nicht der
lange Moritz auf dem letzten Balle auch schon gesagt?"
Albertine wurde roth vor Aerger.
„Was willst Du denn immer mit diesem abscheulichen
Menschen, der statt der Nase einen glühenden Leuchtthurm
im Gesichte hat und so widerlich nach Tabak riecht; es ist !
mir übel und weh geworden, als ich niit ihm tanzen mußte."
„Nun Papa raucht ja auch, wie Du siehst, ärger wie
ein Schornstein, und Du kannst es recht wohl vertragen!"
meinte Erich.
Albertine gab hierauf keine Antwort und macht sich
mit der Theemaschine zu schaffen. — Erich warf einen unge-
duldigen Blick auf die Stutzuhr, die auf einer vergoldeten
Console über dem Sopha stand, und trat hierauf an das
Fenster, dessen Vorhänge er bei Seite schob, um einmal