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Bei Königs.
Thalerstücke liefen rascher durch die Finger. Der Strom
wirkte. Sein Muth stieg.
Der Kutscher kletterte vom Bocke herunter, scheinbar an
den Koppeln der Pferde beschäftigt.
Aber er winkte den Umstehenden, Vorübergehenden und
wies auf den Wagen. Bald sammelte sich ein Haufe, und
wuchs und wurde größer und von Mund zu Munde ging's:
„Der König sitzt in der Droschke! der König! er will
fliehen! der König, haltet den König!"
Rathlos, unschlüssig wie ein Bienenschwarm, der nicht
weiß, wohin sich der Weisel gewendet, umwogt die Menge
den Wagen.
Da braust mit Gesang eine neue Menschenwoge heran.
Hinter einer deutschen Fahne ein Haufen Fabrikarbeiter. An
der Spitze Studenten und ein Mann im Rundhut und
schwarzem Bart.
„Platz, Platz!" schreit's. „Zurück — haltet an -
I der König! —"
Weniger Worte bedarf's. Es wird still umher. Der
Mann ini Rundhut öffnet die Wagenthür.
„Steigen Sie aus, Herr König, Sie sind erkannt! —
Sie sind unser Gefangener! Fürchten Sie nichts — wir
haften für Sie — aber Sie dürfen nicht fort —"
Den Rentier König, bleich, erschreckt, steigt schweigend
aus — die Nächsten weichen zurück — die Hüte werden
abgenommen.
„Treten Sie ein in dieses Haus!" — Man führt ihn
in das nächste Gebäude, auf den Hof.
„Besorgen Sie nichts, Majestät, wir stellen Ihnen eine
Wache, wir holen Instructionen."
Die Thüre wird hinter ihm geschlossen. Der Rentier
ist sprachlos, wie im Traume, starr. Er ist jedes Ge-
dankens baar über das, was mit ihm geschehen ist, und ge-
schehen soll. Er sitzt da, regungslos und betäubt, und starrt
in die Lampe vor sich. Die Kanonenschüsse, die von fernher
wieder donnern, fallen wie ebenso viel Axtschläge auf sein
königliches Haupt.
Aber die großen silbernen Thalerstücke fangen an durch
seine Finger zu rollen und nicht erfolglos wirkt der Strom.
Tie Nebel um seine Besinnung schwinden, cs leuchtet um
seine hohe Stirne wie Alpenglühen, seine Lage wird ihm
klar, furchtbar klar. Man hält ihn für den König. Er
j hat gelesen und gehört, was in Revolutionen den Königen
Schlimmes begegnen kann. Bor seiner erregten Phantasie steigt
langsam aber desto deutlicher, drohender ein Schaffot aus der
Erde ans dem Lustgarten. Jeder Laternenpfahl, den er je
und je im Vorübergehen einmal scheel angesehen, winkt ihn
zu sich empor und langt nach ihm mit den eisernen Armen,
mit hänfenen Stricken, die daran baumeln und sich ini
Winde nach Menschenhälsen lüstern schaukeln. Er ruft, als
säße er bereits vor dem Gerichte: „Ich bin ja aber gar kein
König!" Aber die Nachbarn alle aus der Hamburger Straße
sind zum Termin geladen, haben die Generalfragen verneint
und schreien: „ja, er ist doch der König!" Alles Volk schreit:
„es ist der König!" der Hofnarr schreit's, das Prinzeßchen,
die Königin-Wittwe schreit's: „ja, Du bist doch der König,
lüg' nicht, Herr König!"
Da packt ihn die eiskalte Angst. Er blickt verzweiflungs-
voll um sich, ob nicht schon die Instructionen kommen. Er
öffnet die Nebenthüre. Kleider liegen über einem Bett, ein
Fenster steht offen nach dem Gärtchen hinaus. Da reißt er
den Mantel ab, den Ucberrock voin Leibe und fährt in den
Kittel, stülpt den Filz ans, springt zum Fenster hinaus in
den Garten, denn auf dem Hofe hört er's laut sprechen und
lachen und kommen. Das ist das teuflische Lachen der
Instructionen! Aus dem Garten geht's in's Nebenhaus,
durch den Hausflur, auf die Straße, in's dichteste vorüber-
flnthende Volksgewühl, lind nun ist er frei, entgangen den
Verfolgern, den Instructionen. „Hurrah!" schreit er vor
Freiheitslust! „Vorwärts! — Vorwärts!"
Und unaufhaltsam ivird er vorwärts gerissen mit dem
bewaffneten Haufen, der heulend, schreiend die Alexanderstraße
hinauf fluthet, an deren Mündung die Kanonen und die
Gewehre knallen und an der Zerstörung und Bertheidignng
der Barrikade arbeiten. Die Straße ist mit Pulverdampf
gefüllt. Dazwischen knallen und blitzen die Schüsse.
„Hurrah! Vorwärts! Nimm die Fahne, Dicker!" schreit
ihm ein riesiger Schmied zu, „und hier den Säbel!"
Beides ist, ehe er nein zu sagen Zeit hat, in seine
Hände gedrückt und vorwärts stolpert er über aufgerissene
Pflastersteine, umgestürzte Karren, Sandsäcke und Balken die
Barrikade hinauf, mitten in dem rasenden Menschenhaufen.
— Die Trommeln drüben Wirbeln von Neuem.
„Sie rücken an! Aufgepaßt! steht fest Männer, an der
Barrikade! Schießt nicht zu hoch!" schreit ein schlanker Mann
mit flatternden Haaren, in einer Hand eine Flinte, in der
andern eine Holzaxt schwingend. — „Herauf, Du mit der
Fahne, herauf zu mir!" ruft er und hilft dem König über
die letzten Balken zu sich empor. „Halt hoch Dein Panier!
Steh' fest!"
Ihre Blicke treffen sich erstaunt. Es ist der Maler
Milde, sein Schwager, der an dieser Stelle commandirt.
Doch zu Worten ist nicht Zeit.
Vor ihnen blitzt in den Reihen der Garde eine Salve
auf. Die Kugeln pfeifen, von diesseits antworten knatternde
Büchsenschüsse. Steine fliegen. Aus den Fenstern, aus den
Dächern kracht's und schmettert's herunter. Die Soldaten
ziehen sich zurück in Unordnung, verfolgt, verhöhnt.
Aber der Fahnenträger liegt zwischen den Steinen und
Sandkästen der Barrikade am Boden, lautlos, die Fahne
über ihm.
Des Malers rechte Hand ist zerschmettert. Er umfaßt
den König mit der Linken und schleppt ihn die Barrikade hinab.
Unten ruft er ein Paar Männern zu. Sie legen den
Leblosen über eine Leiter und nehmen ihn auf die Schulter.
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Bei Königs.
Thalerstücke liefen rascher durch die Finger. Der Strom
wirkte. Sein Muth stieg.
Der Kutscher kletterte vom Bocke herunter, scheinbar an
den Koppeln der Pferde beschäftigt.
Aber er winkte den Umstehenden, Vorübergehenden und
wies auf den Wagen. Bald sammelte sich ein Haufe, und
wuchs und wurde größer und von Mund zu Munde ging's:
„Der König sitzt in der Droschke! der König! er will
fliehen! der König, haltet den König!"
Rathlos, unschlüssig wie ein Bienenschwarm, der nicht
weiß, wohin sich der Weisel gewendet, umwogt die Menge
den Wagen.
Da braust mit Gesang eine neue Menschenwoge heran.
Hinter einer deutschen Fahne ein Haufen Fabrikarbeiter. An
der Spitze Studenten und ein Mann im Rundhut und
schwarzem Bart.
„Platz, Platz!" schreit's. „Zurück — haltet an -
I der König! —"
Weniger Worte bedarf's. Es wird still umher. Der
Mann ini Rundhut öffnet die Wagenthür.
„Steigen Sie aus, Herr König, Sie sind erkannt! —
Sie sind unser Gefangener! Fürchten Sie nichts — wir
haften für Sie — aber Sie dürfen nicht fort —"
Den Rentier König, bleich, erschreckt, steigt schweigend
aus — die Nächsten weichen zurück — die Hüte werden
abgenommen.
„Treten Sie ein in dieses Haus!" — Man führt ihn
in das nächste Gebäude, auf den Hof.
„Besorgen Sie nichts, Majestät, wir stellen Ihnen eine
Wache, wir holen Instructionen."
Die Thüre wird hinter ihm geschlossen. Der Rentier
ist sprachlos, wie im Traume, starr. Er ist jedes Ge-
dankens baar über das, was mit ihm geschehen ist, und ge-
schehen soll. Er sitzt da, regungslos und betäubt, und starrt
in die Lampe vor sich. Die Kanonenschüsse, die von fernher
wieder donnern, fallen wie ebenso viel Axtschläge auf sein
königliches Haupt.
Aber die großen silbernen Thalerstücke fangen an durch
seine Finger zu rollen und nicht erfolglos wirkt der Strom.
Tie Nebel um seine Besinnung schwinden, cs leuchtet um
seine hohe Stirne wie Alpenglühen, seine Lage wird ihm
klar, furchtbar klar. Man hält ihn für den König. Er
j hat gelesen und gehört, was in Revolutionen den Königen
Schlimmes begegnen kann. Bor seiner erregten Phantasie steigt
langsam aber desto deutlicher, drohender ein Schaffot aus der
Erde ans dem Lustgarten. Jeder Laternenpfahl, den er je
und je im Vorübergehen einmal scheel angesehen, winkt ihn
zu sich empor und langt nach ihm mit den eisernen Armen,
mit hänfenen Stricken, die daran baumeln und sich ini
Winde nach Menschenhälsen lüstern schaukeln. Er ruft, als
säße er bereits vor dem Gerichte: „Ich bin ja aber gar kein
König!" Aber die Nachbarn alle aus der Hamburger Straße
sind zum Termin geladen, haben die Generalfragen verneint
und schreien: „ja, er ist doch der König!" Alles Volk schreit:
„es ist der König!" der Hofnarr schreit's, das Prinzeßchen,
die Königin-Wittwe schreit's: „ja, Du bist doch der König,
lüg' nicht, Herr König!"
Da packt ihn die eiskalte Angst. Er blickt verzweiflungs-
voll um sich, ob nicht schon die Instructionen kommen. Er
öffnet die Nebenthüre. Kleider liegen über einem Bett, ein
Fenster steht offen nach dem Gärtchen hinaus. Da reißt er
den Mantel ab, den Ucberrock voin Leibe und fährt in den
Kittel, stülpt den Filz ans, springt zum Fenster hinaus in
den Garten, denn auf dem Hofe hört er's laut sprechen und
lachen und kommen. Das ist das teuflische Lachen der
Instructionen! Aus dem Garten geht's in's Nebenhaus,
durch den Hausflur, auf die Straße, in's dichteste vorüber-
flnthende Volksgewühl, lind nun ist er frei, entgangen den
Verfolgern, den Instructionen. „Hurrah!" schreit er vor
Freiheitslust! „Vorwärts! — Vorwärts!"
Und unaufhaltsam ivird er vorwärts gerissen mit dem
bewaffneten Haufen, der heulend, schreiend die Alexanderstraße
hinauf fluthet, an deren Mündung die Kanonen und die
Gewehre knallen und an der Zerstörung und Bertheidignng
der Barrikade arbeiten. Die Straße ist mit Pulverdampf
gefüllt. Dazwischen knallen und blitzen die Schüsse.
„Hurrah! Vorwärts! Nimm die Fahne, Dicker!" schreit
ihm ein riesiger Schmied zu, „und hier den Säbel!"
Beides ist, ehe er nein zu sagen Zeit hat, in seine
Hände gedrückt und vorwärts stolpert er über aufgerissene
Pflastersteine, umgestürzte Karren, Sandsäcke und Balken die
Barrikade hinauf, mitten in dem rasenden Menschenhaufen.
— Die Trommeln drüben Wirbeln von Neuem.
„Sie rücken an! Aufgepaßt! steht fest Männer, an der
Barrikade! Schießt nicht zu hoch!" schreit ein schlanker Mann
mit flatternden Haaren, in einer Hand eine Flinte, in der
andern eine Holzaxt schwingend. — „Herauf, Du mit der
Fahne, herauf zu mir!" ruft er und hilft dem König über
die letzten Balken zu sich empor. „Halt hoch Dein Panier!
Steh' fest!"
Ihre Blicke treffen sich erstaunt. Es ist der Maler
Milde, sein Schwager, der an dieser Stelle commandirt.
Doch zu Worten ist nicht Zeit.
Vor ihnen blitzt in den Reihen der Garde eine Salve
auf. Die Kugeln pfeifen, von diesseits antworten knatternde
Büchsenschüsse. Steine fliegen. Aus den Fenstern, aus den
Dächern kracht's und schmettert's herunter. Die Soldaten
ziehen sich zurück in Unordnung, verfolgt, verhöhnt.
Aber der Fahnenträger liegt zwischen den Steinen und
Sandkästen der Barrikade am Boden, lautlos, die Fahne
über ihm.
Des Malers rechte Hand ist zerschmettert. Er umfaßt
den König mit der Linken und schleppt ihn die Barrikade hinab.
Unten ruft er ein Paar Männern zu. Sie legen den
Leblosen über eine Leiter und nehmen ihn auf die Schulter.
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