Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
170 Wozu die Bierm

in weiblichen Arbeiten noch von ihren Schulzeiten her so
manches Wisscnswerthe in ihrem Köpfchen behalten, so zwar,
daß es wahrlich kein Wunder gewesen wäre, wenn man sie
in Dort wegen ihrer vielen Vorzüge als eine höchst ge-
fährliche Nebenbuhlerin aller dortigen schönen und auch nicht
schönen Hcirathscandidatinen sehr gründlich gehaßt hätte.
Zum Glücke wußte aber dort Niemand etwas von der schönen
Wilhelmine und es wurden daher auch wenig Einwendungen
dagegen erhoben, als Fleißner den Familien, mit welchen er
näher bekannt war, seine Ferienreise nach der Hauptstadt
anzeigte und auf sechs Wochen freundlichen Abschied nahm.

Um sich in der nimmer enden wollenden, monotonen
Pappelallee, die von Dort nach München führt, möglichst
die Langweile zu vertreiben, trillerte Fleißner hie und da
ein Liedchen, deren er sehr viele auswendig wußte, da er als
Organist und Chordirigent zugleich Vorstand des dortigen,
ziemlich stark besetzten Gesangvereins war.

Gelegentlich unterbrach Fleißner von Zeit zu Zeit seine
Gesangsübungen auch mit Selbstgesprächen über dieses und
jenes Thema, welches ihm eben durch den Kopf ging und
wobei' nicht selten auch der Name Minchen seinen Lippen
entschlüpfte.

„Das gute, liebe BäSchen!" murmelte er; „sie wird
sich freuen, mich nach so langer Zeit wieder zu sehen; schon
aus ihrem Briefe geht dies hervor. Bin begierig, wie sie
ausschaut; war schon vor zwei Jahren so hübsch! . . . Hm,
hm! das gäbe eine Frau Lehrerin! . . . Narrheit! . . .
Was kommt dir da für ein Gedanke in den Kopf?" unter-
brach er sein Selbstgespräch höchst unwillig über seine ungereimte
Idee, „die einzige Tochter des reichen Schmerler's I So geneigt
mir der Onkel ist, aber sein Minchen gäbe er mir doch
nicht; da ist er sich und sie ihm zu gut. Ein armer Schlucker
wie ich darf sich so hoch nicht »ersteigen."

Und wahrscheinlich um diese verführerischen Gedanken
sich aus dem Kopf zu schlagen, stimmte er wieder ein Lied
an und zwar dieses Mal so laut, so energisch, so luft-
erschütternd, daß die Vögel auf den Zweigen der Bäume
schüchtern verstummten, da solche Riesenwellen mächtiger
Baritontöne nicht zu ihrem Concerte paßten.

Es war dunkel geworden und hie und da sah man
bereits eine matte Münchener Gasflamme glimmen, als
Fleißner in eine Seitenstraße der Altstadt einbog, wo Herrn
Schmerler's stattliches Haus stand, welches sich seit zwei
Jahrhunderten von Vater auf Sohn vererbt hatte und dessen
ersten Stock der reiche Privatier in höchst eigener Person
selber bewohnte.

Schmerler, seit vier Jahren Wittwer, hatte seine fünfzig
Sommer auf dem Rücken, ohne indeß schwer an denselben
zu tragen, denn er war eine kurze gedrungene Gestalt, die
von physischer Kraft und Gesundheit strotzte. Auf einem
dicken, kurzen Halse ruhte ein kugelrunder Kopf mit einer
alten, braunen Perrücke; eine kaum mehr schön zu nennende
Beleibtheit, aus der mit Zuversicht geschlossen werden konnte,
daß d?'' glückliche Besitzer eines solchen Umfanges in Vertilgung

th helfen kann.

des Nationalgetränkcs den Anforderungen seines Berufes als
echter Münchener gewissenhaft nachzukommen suchte, etwas
kurze Beine, dicke Hände mit wulstigen Fingern und vor
Allem das Kainszeichen aller starken Biertrinker — die rothe,
aufgedunsene Nase, constatirten, daß Herr Schmerler keine
Ursache hatte, auf seine äußere Erscheinung eitel zu sein.
Uebrigens war er aber auch in der That nicht der Mann,
der sich viel um sein Aeußeres gekümmert hätte. Ihm war
es ganz gleichgültig wie er aussah, war er ja doch längst
über die Jahre hinaus, etwa noch Eroberungen machen zu
wollen. Was er erobern wollte, war ein gutes Glas Bier;
in allen anderen Dingen ließ er für seine Person seine
Tochter sorgen, der er es auch zu danken hatte, daß sich
wenigstens seine Leibwäsche immer durch große Sauberkeit
auszeichuete, wenn auch seine Röcke hie und da die Spuren
nasser Wirthstische an sich trugen. Herr Schmerler hätte
sich alle Tage neu kleiden dürfen, die Bierfleckcn würden
nichtsdestoweniger seine Toilette beeinträchtigt haben; in dieser
Beziehung war also nichts zu ändern, so sehr Minchen darüber
seufzte, obwohl sie selbst kein Vorwurf treffen konnte, da
man sich ja nur im Hause umzusehen brauchte, um sich zu
überzeugen, wie da alles reinlich und blank war. Wie war
z. B. im Wohnzimmer, wo doch am meisten aus und ein
gegangen wurde, der Fußboden immer so rein! Wie glänzte
die Politur der alten Rococomöbel, wie funkelten die ver-
goldeten Messingschlösser und Handhaben am ehrwürdigen
Kaunitz, der so ernst in der Ecke stand, als ob er sich seines
werthvollen Inhaltes an Banknoten und Staatspapieren be-
wußt gewesen wäre, die Herr Schmerler ihm anvertraute.
Die schneeweißen Vorhänge an den krystallhellen Fenstern,
die ebenso weißen Ueberzüge von Perkal zur Schonung des
gelben Damastes, womit Stühle und Canapo gepolstert
waren: dies Alles lieferte den Beweis, daß hier eine zarte
Frauenhand waltete, die cs verstand, ein Haus in Ordnung
zu halten.

Der Empfang, der dem jungen Lehrer im Hause seines
Onkels zu Theil wurde, hätte nicht herzlicher sein können.
Papa Schmerler drückte und schüttelte ihm die Hand, daß
Fleißner beinahe Ach und Weh geschricn hätte; Minchen aber
hielt ihm sogar mit Ertrabewilligung oder vielmehr nach
erfolgter direkter Aufforderung ihres Vaters geduldig wie ein
Lämmchen ihre rosigen Wangen zum Kusse hin: eine Ver-
traulichkeit, die durch die verwandtschaftlichen Bande berechtigt
erschien und von der unser wackerer Freund Fleißner nach
dem alten Grundsätze: Einen Kuß in Ehren kann Niemand
wehren, ganz herzhaft profitirte. Wäre Papa Schmerler
nicht eben damit beschäftigt gewesen, eine langhalsige, bestaubte
Flasche Wein zu entkorken, so hätte er freilich bemerken
müssen, daß sein Neffe sehr roth und sein Minchen nicht
unnder gefärbt aussah, als die Lippen des Einen mit den
Wangen der Anderen in so nahe Berührung kamen, während
sich bei beiden ein plötzliches Herzklopfen einstellte, welches
das normale Maß von neunzig Pulsschlägen in der Minute
um ein beträchtliches überschritt.
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen