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Das Raritäten-Cabinet.
Raritäten-Cabinet überbrachte. — Auch der Neffe ließ es
daran nicht fehlen, trotzdem ihm ein zur Hälfte blos ge-
legener Nagel — zum Jubel der Spaziergänger — die
Freude des Aufhebens versagt hatte, weil er mit der Spitze
in einer Planke stack. — Was thut man nicht einem reichen
Erb-Onkel zu Liebe!
„Und was ist die Moral von meinen Liebhabereien?"
sagte der Alte kurz vor seinem Hinscheiden, „ich beschließe
meinen Lebenslauf damit, womit ich ihn begonnen, und sie
lernen daraus, auch das Geringste schätzen — und werden der-
einst das Raritäten-Cabinet desto besser zu würdigen wissen!"
Es war am 24. December 1861, als von dem Kreis-
Gerichte in Thalheim das Testament des seligen Lebcrecht
Sporn eröffnet wurde, worauf zwei treue Herzen so sehr
gespannt waren, weil deren ganzes Lebensglück davon abhing.
Nachdem der Testator zuerst mehrere Legate an ent-
fernte Verwandte auSgesetzt — auch seinen langjährigen
Diener Kilian in erfreulicher Weise bedacht und an Hanne
den frommen Wunsch hintcrlassen hatte: daß all das Glück,
welches er — Gottlieb Leberecht Sporn — im Leben so
reichlich genossen — auf sie übergehen möge, hieß es in dem
Testamente weiter: „Meinen Neffen, den Buchhändler Gustav
Sporn, bestimme ich zu meinem Haupterben und vermache
demselben mein — Raritäten-Cabinet — wofür er sich
stets so lebhaft interessirt hat."
Und nun waren die Gegenstände — welche dasselbe
enthalten sollte und deren Nutzen — obgleich für den Em-
pfänger ein völlig negativer — in solch' launiger Weise
gepriesen, daß die Gerichtsbeamten nur mit Mühe daö Lachen
unterdrücken konnten.
Der Haupterbe machte — nach dieser Eröffnung —
ein Gesicht, als spiegele er sich in einem Stiele der silbernen
Löffel — welche er so oft — als sein künftiges Eigenthum
— beim seligen Lebcrecht bewundert hatte. Das noch vor
wenig Minuten in seinem Herzen plötzlich aufgclodcrte Freuden-
feuer war ebenso plötzlich erloschen; er wußte nicht, was er
von dem Erblasser halten sollte und zweifelte stark daran,
ob derselbe — bei Abfassung eines solch' curiosen Testaments
— noch bei vollem Verstände gewesen sei.
Gleiche Gedanken hegte auch Hanne — die betrogene
Haushälterin; sie zwang sich, ihre moralischen Leiden in sich
zu verschließen — und verließ mit leisen Flüchen auf den
„alten Narren" den Gerichtssaal, ohne daö Protokoll
unterschrieben zu haben.
„Außer den genannten Gegenständen" — hieß es in
dem Testamente zuletzt: „ist in dem Raritäten-Cabinette noch
ein Werk enthalten, woran ich 50 Jahre hindurch gearbeitet
habe und wozn ich keinen würdigeren Herausgeber finden
konnte, als Dich, meinen lieben Neffen; wenn Du es in
Capitcln herauögiebst, wird man stets auf die Fortsetzung
gespannt sein. — Gott zum Gruß und s ö ds- Weihnacht!"
Da auf besonderen Wunsch des Testa». ' ocsagtcS Rari-
täten - Cabinet unter einem Weihnachtsbaume — weil ein
solcher ihn stets im Leben an die schönste Zeit erinnert und
wozu er auch jetzt noch beim Scheiden von demselben 20 Thlr.
zur reichlichen Ausstattung deponirt hatte — in Gegenwart
von Fräulein Emma Fröhlich und in der Wohnung des
Hauptcrbcn — von diesem selbst eröffnet werden sollte —
so schloß der gerichtliche Act.
Der Buchhändler übernahm den versiegelten Schlüssel,
ließ den verhängnißvollen Raritäten - Kasten hinterhertragen
und schritt schwcrmüthig seiner Wohnung zu. — Hier hatte
Kilian — der vorauögeeilt war — zum feierlichen Empfange
die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet, und Emma eilte
dem längst Erwarteten mit ausgebreitcten Armen entgegen.
„Daß er den Spott soweit treiben würde, hätte ich
nimmer erwartet;" sagte Gustav betrübt. „Da hast Du
die ganze Erbschaft" — und stellte das Raritäten-Cabinet
auf den Tisch.
„Wie paßte nur der schöne mit Silber und Perlmutter
ausgelegte Kasten zu seinem Inhalte, dem alten Kram.
Auch keinen Groschen — außer diesen 20 Thlr. zum Christ-
baume habe ich erhalten — und doch nennt er mich Haupt-
erben, zum Gespötte des ganzen Gerichts."
„Aber — lieber Gustav — wer weiß, öff'ne doch den
Kasten," bat Emma, „das ist ja ein Pracht-Exemplar —
sollte der nur —" sagte sie mit unsicherer Stimme.
Gustav öffnete; doch man fand nur verrostetes Eisen,
Nägel und Nadeln von allen Sorten, Gußeisen — Knöpfe
zu Dutzenden rc., leider aber kein — Geld, Alles war in
Fächer sortirt; wäre der Buchhändler nicht so bitter getäuscht
worden, er hätte über den Spaß lachen müssen.
Im letzten Fache — in einer alten Decke von
Schweinsledcr lag noch das herauszugebende Werk. Gustav
schenkte ihm keine Beachtung, er glaubte ohnehin zu wissen,
waö es enthielt.
„Das ist der Dank für den Jubel, mit welchem Du
jedes Gefundene überbrachtest," klagte er und rieb sich ver-
drießlich die Nase. „Er hat uns verkannt, denn sonst hätte
er uns nicht in solch' empfindlicher Weise getäuscht!"
„Nimmermehr, Herr!" brummte Kilian hinter dem
Weihnachtsbaume hervor; „vielleicht ist doch etwas Beson-
deres in dem Schweinsleder enthalten!"
„Sein Tagebuch ist's, von dem er immer mit Ent-
zücken sprach — voll Schrullen aller Art, denn er war der
Mann dazu," cntgegnete mürrisch der Buchhändler und streifte
den Bindfaden ab; „hier ist der Beweis" — indem er die
spöttische Einleitung las:
„Geld, Du trügerische Beute,
Die so mühsam sich erficht;
Geld, Du quälest alle Leute,
Die Dich haben — und die nicht!"
„Nun — eine solche Qual hätte ich schon ertragen,
das ist eine ganz verfehlte Rücksichtönahme gewesen," sagte
er bitter. „Wo cr's nur gelassen haben mag!"
Wieder ließ sich ein Brummen hinter dem Christbaume
vernehmen; mechanisch wandte er das Blatt um; doch wer
Das Raritäten-Cabinet.
Raritäten-Cabinet überbrachte. — Auch der Neffe ließ es
daran nicht fehlen, trotzdem ihm ein zur Hälfte blos ge-
legener Nagel — zum Jubel der Spaziergänger — die
Freude des Aufhebens versagt hatte, weil er mit der Spitze
in einer Planke stack. — Was thut man nicht einem reichen
Erb-Onkel zu Liebe!
„Und was ist die Moral von meinen Liebhabereien?"
sagte der Alte kurz vor seinem Hinscheiden, „ich beschließe
meinen Lebenslauf damit, womit ich ihn begonnen, und sie
lernen daraus, auch das Geringste schätzen — und werden der-
einst das Raritäten-Cabinet desto besser zu würdigen wissen!"
Es war am 24. December 1861, als von dem Kreis-
Gerichte in Thalheim das Testament des seligen Lebcrecht
Sporn eröffnet wurde, worauf zwei treue Herzen so sehr
gespannt waren, weil deren ganzes Lebensglück davon abhing.
Nachdem der Testator zuerst mehrere Legate an ent-
fernte Verwandte auSgesetzt — auch seinen langjährigen
Diener Kilian in erfreulicher Weise bedacht und an Hanne
den frommen Wunsch hintcrlassen hatte: daß all das Glück,
welches er — Gottlieb Leberecht Sporn — im Leben so
reichlich genossen — auf sie übergehen möge, hieß es in dem
Testamente weiter: „Meinen Neffen, den Buchhändler Gustav
Sporn, bestimme ich zu meinem Haupterben und vermache
demselben mein — Raritäten-Cabinet — wofür er sich
stets so lebhaft interessirt hat."
Und nun waren die Gegenstände — welche dasselbe
enthalten sollte und deren Nutzen — obgleich für den Em-
pfänger ein völlig negativer — in solch' launiger Weise
gepriesen, daß die Gerichtsbeamten nur mit Mühe daö Lachen
unterdrücken konnten.
Der Haupterbe machte — nach dieser Eröffnung —
ein Gesicht, als spiegele er sich in einem Stiele der silbernen
Löffel — welche er so oft — als sein künftiges Eigenthum
— beim seligen Lebcrecht bewundert hatte. Das noch vor
wenig Minuten in seinem Herzen plötzlich aufgclodcrte Freuden-
feuer war ebenso plötzlich erloschen; er wußte nicht, was er
von dem Erblasser halten sollte und zweifelte stark daran,
ob derselbe — bei Abfassung eines solch' curiosen Testaments
— noch bei vollem Verstände gewesen sei.
Gleiche Gedanken hegte auch Hanne — die betrogene
Haushälterin; sie zwang sich, ihre moralischen Leiden in sich
zu verschließen — und verließ mit leisen Flüchen auf den
„alten Narren" den Gerichtssaal, ohne daö Protokoll
unterschrieben zu haben.
„Außer den genannten Gegenständen" — hieß es in
dem Testamente zuletzt: „ist in dem Raritäten-Cabinette noch
ein Werk enthalten, woran ich 50 Jahre hindurch gearbeitet
habe und wozn ich keinen würdigeren Herausgeber finden
konnte, als Dich, meinen lieben Neffen; wenn Du es in
Capitcln herauögiebst, wird man stets auf die Fortsetzung
gespannt sein. — Gott zum Gruß und s ö ds- Weihnacht!"
Da auf besonderen Wunsch des Testa». ' ocsagtcS Rari-
täten - Cabinet unter einem Weihnachtsbaume — weil ein
solcher ihn stets im Leben an die schönste Zeit erinnert und
wozu er auch jetzt noch beim Scheiden von demselben 20 Thlr.
zur reichlichen Ausstattung deponirt hatte — in Gegenwart
von Fräulein Emma Fröhlich und in der Wohnung des
Hauptcrbcn — von diesem selbst eröffnet werden sollte —
so schloß der gerichtliche Act.
Der Buchhändler übernahm den versiegelten Schlüssel,
ließ den verhängnißvollen Raritäten - Kasten hinterhertragen
und schritt schwcrmüthig seiner Wohnung zu. — Hier hatte
Kilian — der vorauögeeilt war — zum feierlichen Empfange
die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet, und Emma eilte
dem längst Erwarteten mit ausgebreitcten Armen entgegen.
„Daß er den Spott soweit treiben würde, hätte ich
nimmer erwartet;" sagte Gustav betrübt. „Da hast Du
die ganze Erbschaft" — und stellte das Raritäten-Cabinet
auf den Tisch.
„Wie paßte nur der schöne mit Silber und Perlmutter
ausgelegte Kasten zu seinem Inhalte, dem alten Kram.
Auch keinen Groschen — außer diesen 20 Thlr. zum Christ-
baume habe ich erhalten — und doch nennt er mich Haupt-
erben, zum Gespötte des ganzen Gerichts."
„Aber — lieber Gustav — wer weiß, öff'ne doch den
Kasten," bat Emma, „das ist ja ein Pracht-Exemplar —
sollte der nur —" sagte sie mit unsicherer Stimme.
Gustav öffnete; doch man fand nur verrostetes Eisen,
Nägel und Nadeln von allen Sorten, Gußeisen — Knöpfe
zu Dutzenden rc., leider aber kein — Geld, Alles war in
Fächer sortirt; wäre der Buchhändler nicht so bitter getäuscht
worden, er hätte über den Spaß lachen müssen.
Im letzten Fache — in einer alten Decke von
Schweinsledcr lag noch das herauszugebende Werk. Gustav
schenkte ihm keine Beachtung, er glaubte ohnehin zu wissen,
waö es enthielt.
„Das ist der Dank für den Jubel, mit welchem Du
jedes Gefundene überbrachtest," klagte er und rieb sich ver-
drießlich die Nase. „Er hat uns verkannt, denn sonst hätte
er uns nicht in solch' empfindlicher Weise getäuscht!"
„Nimmermehr, Herr!" brummte Kilian hinter dem
Weihnachtsbaume hervor; „vielleicht ist doch etwas Beson-
deres in dem Schweinsleder enthalten!"
„Sein Tagebuch ist's, von dem er immer mit Ent-
zücken sprach — voll Schrullen aller Art, denn er war der
Mann dazu," cntgegnete mürrisch der Buchhändler und streifte
den Bindfaden ab; „hier ist der Beweis" — indem er die
spöttische Einleitung las:
„Geld, Du trügerische Beute,
Die so mühsam sich erficht;
Geld, Du quälest alle Leute,
Die Dich haben — und die nicht!"
„Nun — eine solche Qual hätte ich schon ertragen,
das ist eine ganz verfehlte Rücksichtönahme gewesen," sagte
er bitter. „Wo cr's nur gelassen haben mag!"
Wieder ließ sich ein Brummen hinter dem Christbaume
vernehmen; mechanisch wandte er das Blatt um; doch wer