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Eiii guter Kerl.

leer und wir müssen uns in das anstoßende Schlafgemach be-
geben, um ihn zu treffen. Da liegt er denn auch friedlich und
still in den schwellenden Kissen — — aber nein, was ist das?

— wo ist das' heitere, glückliche Antlitz geblieben, das nie
glücklicher als in diesem Zustande nuszusehen pflegte? Den
Kopf unordentlich hintenüber gedreht, während ein Arm mit
geballter Faust auf die Decke, der andere rückwärts auf die
Bettlehne geworfen ist, zeigt er uns entstellte, eingefallene Züge,
in denen nichts mehr an den ursprünglichen Ausdruck erinnert.
Als wäre ein toller Sturm über diese friedsame Flur gefahren,
so hängen die Haare wild und verwirrt um die Stirn, während
die nach chinesischer Art aufwärts gezogenen Brauen und der ge-
sträubte graue Schnurrbart in ihrer stummen Sprache Schreckliches
erzählen. Dazu die fahle, wächserne Farbe, die noch immer auf's
Kissen uiederperlendeu Schweißtropfen und der keuchende Athem.

— Was ist Ihnen nur geschehen, bester Herr Murmel?

Bei dem bewußtlosen Zustande des Gefragten ist die Muse
freundlich genug, die Antwort an seiner Stelle zu übernehmen.
Gestern, nachdem ein friedlich vollbrachter Tag und ein opulentes
Abendbrod seinen Geist zu harmonischer Stimmung empor-
gctragen und, wie noch nie, zum Genuß eines erquickenden
neunstündigen Schlummers disponirt hatten, wird ihm gemeldet,
daß der Doctor Heinrich Knax, sein künftiger Schwiegersohn,
eben in einem öffentlichen Locale die Aeußerung gethan: „Die
Steuerbcamtcn seien doch eigentlich nur Vampyre, die den un-
glückseligen Staatsbeamten das Blut aus den Adern saugten!"

Er! ein Vampyr — im öffentlichen Locale! — sein künftiger'
Schwiegersohn! — das war eine Reihe von Vorstellungen, die
sein Herz auf's Tiefste erschütterten! So etwas war ihm niemals
geboten worden; — was Wunder, daß er sich gereizt fühlte,
wie noch nie! Das Lamm wurde zum Tiger; nachdem er
sich vom ersten Schlage erholt, hatte er angefangen zu toben,
und auf Tische und Stühle zu schlagen, hatte mehrere Vasen
zerbrochen, Frau und Töchter, die ihn beruhigen wollten, zum
Zimmer hinausgejagt und war endlich erschöpft auf sein Lager
gesunken — aber nur, um auch hier keine Ruhe zu finden. Sein
Schlaf war ein qualvoller und zehnmal unterbrochen gewesen,
im Wachen und Träumen hatte ihn nur eine Vorstellung, nur
eine peinigende Empfindung beherrscht.

Auch jetzt murmeln seine Lippen undeutliche, abgebrochene
Worte — da fällt ein Sonnenstrahl durch eine nicht ganz von
der Gardine bedeckte Fensterscheibe und gerade über seine corpulente
Rase hinweg auf das gcröthete Augenlid. Er erwacht, und während
er noch halb bewußtlos um sich blickt, stößt sein Mund bereits
die vernehmlichen Worte aus: „Nichtswürdige Beleidigung! —
gemeiner Kerl!" Dann springt er auf und — mit der Zehe
genau auf die Spitze eines vor ihm stehenden Stiefelknechtes,
so daß er mit lautem Schmerzensschrei auf das Lager zurück-
sinkt. Aber in seinem Innern brennt eine heftigere Wunde, die
eine Empfindung für körperliches Leid nicht um sich greifen läßt,
und gleich darauf stürmt Herr Murmel wieder durch's Zimmer
und auf die ringsum ausgebreiteten Toilettcgcgenstände los.

Er muß heute dem inspicirenden Regieruugsrath zu Ehren
in Gala erscheinen.

Da klopft es Plötzlich an die Thürc, und während Herr
Murmel eilig in die Aermeln seines Schlafrockes gleitet, öffnet
sich dieselbe und herein bewegt sich eine lauge, hagere, schatten-
hafte Persönlichkeit, die mit zwei Ungeheuern Schritten bis zu
dem Insassen des Zimmers gelangt, und den kleinen dicken Steuer-
rath mit unwiderstehlicher Gewalt in ihre Knocheuarme zieht.
Man hört das Geräusch von schallenden Küssen, und dazwischen
die schnarrenden Rufe: „Mein liebster Murmel! — mein Herzens-
bruder! — mein alter, guter Kerl!" — während das stöhnende
und blauroth im Antlitz gewordene Opfer sich umsonst dem Griffe
seines Peinigers zu entziehen strebt. Endlich scheint der Vorrath
an Zärtlichkeit in der Brust des Angekommencn erschöpft zu sein;
die Krebsscheeren lassen in ihrer Umklammerung nach und ihr
Inhaber sinkt mit selbstzufriedenem Lächeln auf den Divan
nieder. „Wie geht Dir's, alte Seele?" fragt er dann, sich

behaglich schaukelnd, „immer noch heiter und sansoouoi, he?"

Mit Herrn Murmel ist eine merkwürdige Veränderung
vorgegangen. Im ersten Augenblick, als er des Eintretendcu
ansichtig ward, schienen die Wolken auf seiner Stirn sich doppelt
dräuend zusammenzuballen; jetzt sitzt er- pustend auf seinem
Lehnstuhl, aber mit jedem Athcmzug, den er aus der keuchenden
Brust hcrausholt, scheint ein Windstoß unter die draußen nuf-
gcthürmten Uugewitter zu fahren. Die Wangen wollen sich
glätten, der Mund versucht zu lächeln und endlich vermag er
ein: „Danke! — Danke!" als Antwort auf die au ihn ge-
richtete Frage zu stammeln.

„Störe Dich früh, nicht wahr, Herzensmurmel?" fährt der
Andere fort, ohne, wie es scheint, die Bedeutung der vor ihm
spielenden Scene zu ahnen. „Hätte noch warten sollen, aber
es drängte mich, zu erfahren, wie mein Mehrtester Freund sich
befindet!"

Murmels Züge werden heiterer. „Sehr verbunden, lieber
Justizrath!" flüstert er.

„Was macht unser Bräutchen?"

Reue Schatten am Horizonte, die aber gleich verschwinden,
während ein stummes Kopfnicken die Stelle der Erwiderung vertritt.

„Noch mit der Ausstattung beschäftigt, he? — Ja, glaub's
gern, muß noch Vieles augcschafft werden in der letzten Woche,
und Dein Dörcheu ist ein propres Mädel, das auf sich hält.
Wahrhaftig, Bruder, ein sauberes Mädel, mie keine Zweite im
Lande; würde sie selber nehmen, hätte ich nicht meine Alte
schon. — Na, mein Heinrich ist auch nicht zu verachten, schlank
gewachsen, wie ich, stattlich, schmuck und liebenswürdig — wie
geschaffen für Deine Kleine. Und gelernt hat er was —
kostet mich freilich ein schönes Stück Geld; aber na, dafür kriegt !
er jetzt eine reiche Frau und kann sich selber ernähren. — Nicht
wahr, Alter, lustig soll's hergehen? Heute ist Montag, noch
eins—zwei—drei—sechs Tage, und der schöne Morgen bricht
an! Nur die Weine nicht geschont — hast ja immer was
Gutes in Deinem Keller; aber wenn man zwei solche Leutchen
glücklich macht, da muß schon was ganz Besonderes her!"

Während so der Strom der Beredtsamkeit von den Lippen
seines Gastes floß, hatte es im Gesichte des Stcuerrathes von
1 Neuem zu wetterleuchten und zu stürmen begonnen. Vergebens
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