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18

Rothe Nasen.

sagte der Spitaler mit Würde, „sie kommt nicht vom stillen
Trünke, wie die der vornehmen Leute — (Gemurr im Pub-
likum) — „sondern vom Frost. Ich war srüher Küfermeister
und habe mich zu verschiedenen Malen bei der 'Ausübung
meines schönen, aber gefahrvollen Berufes in den kühlen Kellem
erkältet: das erste Mal trug ich einen anhaltenden Schwindel
davon, das zweite Mal wackelige Beine, das dritte Mal glasige
Augen und zuletzt — das war anno 65 — diesen verdammten
Rothlaus im Gesicht —"

„Schon gut!" sagte der Magier und zog den beredten
Spitalmcnschen in sein Zimmer, aus dem sic nach lvcnigen
Minuten schon wieder in den Salon heraustraten. In Bezug
auf Gestalt war die Nase des Spitalers noch die alte, aber in
der Farbe hatte sie sich wirklich wunderbar zunr Guten ver-
ändert. Sie schimmerte im fleckenlosesten Weiß.

„Na, mein Freund," sagte der Doctor, noch unter der
Thüre triumphirend, „das ist jetzt doch ein ander' Bild —
was? Saget Euren Leidensgenossen, wie köstlich Euch zu Muth
ist!" — „Es war' schon recht, wenn die Geschichte nur nicht

so pappig wäre!" — „S-t! Ruhig! Sonst müßt Ihr

bezahlen!" — „Ferner will es mir Vorkommen," fuhr der
Mann fort, indem er mit dem Zeigfinger an den kurirten
Gegenstand tupfte, „als ob das Ding abfärbte —"

„Schweig!" — „Und sehr unangenehm nach Oel röche!"
— „Verdammter Hund!" flüsterte Lockvogel. „Wenn Du
noch ein solches Wort sagst, lass' ich Dich von meinen bösen
Geistern zerreißen!"

Der arme Teufel erschrack über diese Drohung so sehr,
daß er darauf gehorsam lächelnd alle die rühmenden Aussagen
des Doktors bestätigte, und als die Anwesenden das hörten und
die prächtige Nase sahen, die mit dem bleich gewordenen Gesichte
des Eigcnthümcrs rührend harmonirte, riefen Alle zusammen,
wie einst die verheiratheten Zuschauer, als ein bekannter Taschen-
spieler seine Frau „verschwinden" ließ: „Herr Professor, die
meinig' auch! Die mcinig' auch!"

„Ein's um Andere, meine Herren und Damen — das heißt,
immer zwei auf einmal, da meine liebe Gattin auch mithilft!"
Sofort wandten sich einige feurige Jünglinge gegen die Dame,
um sich von ihr in Behandlung nehmen zu lassen. „Halt,
meine Herren! Halt!" schrie Lockvogel, „im Interesse der Moral
haben wir die Anordnung getroffen, daß meine Gattin die
Damen und ich die Herren kurire."

Die Gesellschaft zog jetzt Hälmchen wegen des Vortritts,
und bald wickelte sich Alles in schönster Ordnung ab. Die
Angehörigen des stärkeren Geschlechts hielten gewöhnlich nach der
Heilung ihre Taschentücher vor's Gesicht und die des schöneren
ließen ihre Schleier fallen. Den ganzen Tag ging's ans und
ein, immer erschienen wieder neue Kranke. Es fing schon an
zu dämmern, da traten zu gleicher Zeit aus den beiden einander
gegenüber liegenden Thüren die beiden letzten Patienten heraus.
Erstaunt sahen sie sich in's Gesicht und näherten sich gegenseitig.

„Wahrhaftig, der Herr Gustav!" sagte die Dame. „Ich
erkannte Sic nur an Ihrem häßlichen Vogel." — „Wie? Sie
sind cs, Fräulein Emma!" Und Beide brachen in ein schallen-

des Gelächter aus. „Verzeihen Sie, Herr Gustav, daß ich
lache — dieser Magier hat Sie schön curirt! Ihre Nase sticht
von ihrem Kupfergesicht ab, wie ein Schnceball von einem
Purpurmantel." - „Und die Ihrige, Fräulein Emma, gleicht
einer Lilie unter Rosen." — „Die Ihrige sicht aus, wie
Columbus bei den Indianern, oder wie die weiße Dame in
einer Versammlung rothgeröckter Offiziere." — „Und die Ihrige
wie der Mond bei Sonnenuntergang, oder ein Stiickchcn Zucker
in einem Teller voll Erdbeeren." — „Sie müssen sich Vor-
kommen wie eine Sennerin, Herr Gustav!" — „Wie so?"
— „Nun, weil Sic immer die nächste Aussicht auf einen
Gletscher haben." — „Und Sie, Fräulein Emma, könnte
Einer, der blos Ihren Gesichtserker sähe, für die Marmorbraut
halten." — „Naseweiser Bursche!"

Statt aller Antwort führte Gustav die Jungfrau vor einen
Spiegel. Aergerlich lachend zog diese ihr Taschentuch und wischte
sich die Farbe vom Gesicht, was mit gar keiner Schwierigkeit
verknüpft war. Gustav that dasselbe. Da ging die Thüre
von des Doktors Zimmer, wo man seither emsig hatte Geld
zählen hören, auf, und der Letztere streckte den Kops heraus.

„Ah, hier sind noch Hilfsbedürftige!" rief er. „Nur
herein, meine Herrschaften, nur herein! Soeben beginnt eine
neue Serie von Wunderkuren!" — „Wir danken, Herr Doktor!"
sagte Emma kalt. — „Uns haben Sie schon angeschmiert!"
rief Gustav, der bereits an der Thüre war.

„Wie? Sic wagen cs," fragte Lockvogel, erbost auf die
Dame zutretend, „die Spuren meines Zaubers wegzuwischen?"
„Mein Herr —" — „Sie wollen einem ehrlichen Mann sein
Brod nehmen durch elendes Verächtlichmachen seiner hervorragenden
Leistungen!" Lockvogel legte seine Hand schwer auf Emma's
Schulter, worauf die geängstigte Dame in Thränen nusbrach.
Das hörte zum Glücke Gustav noch auf der Treppe. Er eilte
zurück und gab dem Doktor einen Stoß, daß derselbe zu Boden
stürzte und aus dem weißen Talar die Beine gen Himmel streckte,
wie ein Paar Ausrufungszeichen um Hilfe gegen rohe Gewalt.
Dann bot der Ritter der Dame den starken Arm, und Beide
gingen miteinander der Hcimath zu. Unterwegs fiel Gustav
Emma's blasses Gesicht auf, das vorher nur der Zorn geröthet
hatte, und ein Zug von sanfter Trauer, den er zum ersten
Mal in ihren Augen sah, drang ihm zu Herzen. Sie war
eben doch ein schönes, interessantes Weib — wenn sie ihn nur
nicht aus so unzarte Weise beleidigt hätte!

„Ich begreife gar nicht, Fräulein Emma," sagte er gnt-
müthig, als sic an der Jungfrau Wohnung ankamcn, „weßhalb
Sie überhaupt zu Dr. Lockvogel gingen?" — „Das sagen Sic
mir, nachdem Sie allein mich aus diese Nothwendigkeit nnf-
merksam gemacht haben!" — „Ich? Allerdings habe ich mir
gestern Morgen beim Vorübergehen an Ihrem Fenster eine rohe
Anspielung im Affect erlaubt." — „Gestern Morgen? Im
Affect? Nein, gestern Abend haben Sic mir ja doch in kalter
Ueberlegung die Adresse dieses Menschen in einem Zeitungs-
ausschnitt in's Hans geschickt!" — „Das muß ein Mißver-
ständnis; sein, Fräulein Emma; darf ich Sic in Ihre Wohnung
begleiten, damit wir darüber klar werden?" — „Natürlich!"
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