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Pferdeleben.

Auf dem Lheaterplatze standen die Droschken in dunklen
Reihen. Leise rann der Regen. Das Licht der Laternen
flackerte im Winde und zeichnete wunderlich geformte Schatten
auf dem feuchten Pflaster. Die Pferde senkten den Kopf; sie
fühlten, wie die Nasse langsam durch die dünne Decke drang,
die ihren Rücken bedeckte, — und drüben blieb es immer noch
still, wie wenn die Oper die ganze Nacht dauern sollte.

„Wann wird das Elend enden?" stöhnte ein abgemagertes,
schwaches Pferdchen und schüttelte seine feuchte Mähne.

Sein Nachbar zog die Lippen zurück und zeigte seine
dicken gelben Zähne; ein teuflischer Zug von Ironie lag in
diesem stillen Grinsen. Das war ein altes, philosophisches
Pferd; cs hatte Vieles durchgcmacht und hätte Wunder erzählen
können von der schönen Welt und von den schlechten Menschen.

Jetzt rasselte eine schwere, von zwei Pferden gezogene
Kutsche. vorbei und hielt vor einer Seitenthür des Theaters.
„Das ist der Theaterwagen", Hub das Pferdchen wieder an.
„Die zwei Schimmel haben's gut; fressen Hafer, soviel sie be-
gehren, und haben einen leichten Dienst." „Ich war auch
einmal im Thcaterdienst", erwiderte sein Nachbar. „Warum
bist du nicht dort geblieben?" fragte das Pferdchen. Es bekam
keine Antwort. Immer stärker rann der Regen, und die
Kutscher fluchten. — „Warum bist du nicht dort geblieben?"
wiederholte es. „Wegen der Luise Leina; hast du schon von
der Luise Leina gehört?" „Nein," sagte das Pferdchen und
scharrte mit dem rechten Vorderfuß auf dem glatten Pflaster.
„Das war eine große Schauspielerin, eine sehr große Schau-
spielerin", fuhr der Philosoph fort, den die Erinnerung an
seine Jugend zu erwärmen schien. „Als sie in die Stadt kam,
sprach man nur noch von ihr, und als ich vor dem Theater
stand und zum ersten Male auf sie wartete, war ich stolz, sie
fahren zu dürfen, und hielt mich für etwas Höheres als die
Andern.

Es war eine kalte Decembernacht. Das Schauspiel war
aus, die Equipagen eilten davon, die Menge verlief sich. Es
wurde immer stiller, der Theaterdiener schloß die Thorc und

löschte die Laternen aus, bis aus eine über dem Nebeneingang,
der für die Mitwirkenden bestimmt war. Vor diesem Thor ging
ein junger Mann auf und ab. Die Schauspieler kamen heraus
mit aufgekrempelten Kragen, die Choristinen huschten an ihm
vorbei, ihr Biindelchen am Arm, in ihren leichten Mänteln
vor der Nachtlnft schaudernd. Sie schauten ihn an und kicherten
unter sich, er aber bemerkte cs nicht. Er ging auf und ab,
bis droben die Portiore wieder rauschte und ein schlankes Weib
die steinerne Treppe herabkam. Das war Luise Leina. Der
Mann trat dicht an das Thor und lehnte sich an die Mauer
an, um sic ungesehen zu schauen.

Sic stieg ein, ihren Pelzmantel um sich schmiegend; ich
fühlte, wie der Wagen auf seinen Federn leise bebte, und jagte
mit meiner leichten Last stolz von dannen. Und jedes Mal,
wenn sie gespielt hatte, kam der junge Mann und wartete, bis
sie heraustrat. Der Kutscher und der Theaterdiener spotteten
über ihn. Mich hatte er lieb gewonnen ; er brachte mir immer
Zucker mit und klopfte liebkosend auf meinen Hals. Nach
einiger Zeit blieb er nicht mehr im Dunkeln stehen; er öffnete
den Wngenschlng und reichte ihr hilfreich die Hand; sie dankte
ihm ganz leise, leise. Und als der Frühling kam und die
Gärtner die Orangenbäume aus der Orangerie hervorholten
und auf dem Theaterplatz in den hohen Holzkübeln aufstclltcn,
wollte sie nie mehr nach Hause fahren; auf seinen Arm ge-
stützt, schritt sic in die dunkelblaue Mondnacht hinaus, und
ich trabte langsam fort, an die zwei schönen Menschen denkend.

So vergingen viele Wochen. Ich hatte erzählen hören,
er sei ein Dichter und habe ein Trauerspiel für sic geschrieben,
das in der nächsten Zeit ausgesührt werden sollte. Eines
Abends kam er nicht mehr. Aber schon am zweiten Tage stand
ein schöner Offizier vor dem Thore, an dem er so oft gewartet
hatte. Er öffnete den Wngenschlag und sie dankte ihm ganz
leise, leise, wie sic dem Andern gedankt hatte. Doch in einer
finstern Nacht, in der es wie heute regnete und stürmte, trat
der Dichter plötzlich an den Wagen und faßte sic beim Arm,
als sie einsteigen wollte. Knirschend in verbissener Wuth sprach
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Pferdeleben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Nagel, Ludwig von
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 72.1880, Nr. 1801, S. 34
 
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