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67

Der Fortschr

„Triumph! Triumph!" rief er. „Die himmlische Leonie, fiep
die so reich an irdischen Gütern, haßt Böhmern, den ich bisher
für einen gefährlichen Nebenbuhler hielt. So riecht die Liebe
nicht, so riecht nur der tödtlichste Haß, die erbärmlichste Ver-
achtung !" Octavio Capri ahnte nicht, daß er feinen eigenen Haß
gerochen und daß dieser brennende, intensive Geruch den zarten
Bonillonduft der Liebe, der indeß Leonien's Zimmer durchströmtc,
nicht auf seine Nase wirken ließ. Ja! Hätte er, wie der
einfältige Lauer, unbefangen an der Thüre des Hauses gestanden,
er hätte wohl wie dieser ausgerufen: „Das muß eine köstliche
Kraftbrühe sein, die Frau Felsing heute meinem Herrn servirt!
Ich schmecke sic ordentlich durch die Nase."

V.

Ohngesähr eine Woche fehlte noch bis zu dem Zeitpunkte,
da Böhmer seine theucre Leonie heimführen sollte. Selbstver-
ständlich schien bcu Liebenden jeder Tag gleich einer Ewigkeit;
auch Capri verbrachte sie sorgenlos, wenn er gleich bemerkte,
daß Frau Fclsiug jedes Zusammentreffen mit ihm sorgfältig
vermied. Es genügte ihm, zu wissen, daß sic Böhmern nicht
in Liebe zugethan sei, er also ein freies Operationsfeld vor sich
habe. Und diese Wissenschaft verdankte er ja seiner eigenen,
unfehlbaren Nase. Ja, er wagte es sogar, auf einige Zeit zu
verreisen und seine Fabrik, in welcher er die kunst- und knoten-
vollen „Stricke ohne Ende" verfertigte, auf einige Tage zu be-
suchen. Wie aber war der schlaue Italiener erschreckt, als er
eines Tages in seiner Fabrik erwachte und gemüthlich im Bette
die Zeitung las. Da stand es in großen Lettern deutlich gedruckt:
Siegfried Böhmer und Leonie Fclsiug laden höflichst
zu ihrer am... aus dem Standesamte zu R. stattfindendcn
Trauung ein.

Capri traute seinen Augen nicht — er griff nach seinem
Fernrohre, um es zu untersuchen; durch dieses war ihm ja
der beruhigende Wildpretgeruch zugeströmt.

„Betrug! Betrug!" rief er, und rannte wüthend in der
Stube auf und nieder; plötzlich aber stand er stille. Ein teuf-
lischer Gedanke durchzuckte seine Seele.

„Ja! Leonie!" schrie er wie rasend, „durch Deinen ersten
Gatten will ich Dich gewinnen. Mit Hilfe der vierdimensionalen
Möbel Deines Bräutigams will ich ihn zur Hochzeitstafel
utiren. Er soll Dich vor Böhmer furchtbar warnen. So
gräßlich verzerrt soll er Dich angrinsen und seine Arme nach
Dir ausstrecken, daß Dir der heutige Tag ein Tag des Schreckens,
Dein Hochzeitsmahl ein sicilianisches Vesperbrot» werden soll.
Da ich aber keine Macht über den Geist des entschlummerten
Fclsing habe, will ich mciit eigenes Medium in blutgefärbte
Gewänder kleiden und ihm die Rolle Deines ersten Gatten
übertragen!" Kaum hatte Capri diesen Gedanken aus- und
durchgedacht, so ward es ruhiger in seinem Innern. Er war
zufrieden mit sich, vollendete seine Toilette, und fuhr nach der
Stadt. Hier traf er bereits Wagen auf Wagen, die ihren
Weg nach dem Standesamte nahmen. Er kehrte sich nicht
daran, er hatte keine Zeit zu verlieren, in einer Stunde mußte
man sich zum. Hochzeitsmahlc versammeln. Er schritt geraden
Weges auf Böhmer's Möbellager zu.

»Ist Herr Böhmer anwesend?" fragte er mit verschmitzter

:itt der Nase.

Miene. „Wißt Ihr denn nicht, daß er eben heirathct?" —
erwiderte der alte Lauer, der allein im Geschäfte anwesend war
und eben zuschlicßcn wollte, um dann auch zuin Standesamtc
zu eilen. „Richtig! richtig! Hab's ganz vergessen," entgegnete
Capri, „aber Ihr könnt mir wohl auch eins Eurer Möbel
verkaufen?" — „Gewiß!" sprach Lauer. „Tretet nur ein!"

Als Capri nun im Magazin stand und die Gegenstände
musterte, überkam den alten Lauer, der ivohl wußte, daß Capri
seinem Herrn nachstelle, plötzlich eine ungewöhnliche Furcht und
er dachte, >vic er den Feind in Gewahrsam bringen könne.
Da galt's rasch entschlossen sein. Während Capri die schönen,
vierdimensionalen Fauteuils betrachtete, und nachsann, welcher
wohl für seine spukhaften Zwecke der geeignetste sei, schlich Lauer
aus dem Magazine, schlug die schwere, eiserne Thüre hinter
sich zu, daß sie in den Angeln krachte und erbebte, und legte
das festeste seiner Schlösser davor. Dann sperrte er den Laden
ab, steckte die Schlüssel vorsichtig zu sich und ging, die Hochzeit
seines Herrn mitzufeiern. Bald war die Trauung auf dem
Standesamte beendet, und nun eilten die Freunde des Braut-
paares auf das Land, in Böhmer's Billegiatur, um dort den
Tag festlich zu schließen. Böhmer's Arbeiter und Arbeiterinen
hatten einen dal champetre bereitet, der ganze Park war mit
elektrischem Lichte erleuchtet, das den Abend zum Morgen, die
Nacht zum Tage schuf. Erst gegen Mitternacht zogen sich der
glückliche Böhmer und „Fclsing's Wittwe selig", nunmehr ver-
heirathete Böhmer, in ihre Gemächer zurück, und allmählich
entfernten sich die lustigen Gäste. Als Lauer zur Stadt kam,
lenkte er seine Schritte nach dem Möbelmagazine, vor dem sich
zu seinem Erstaunen viele Menschen versammelt hatten.

„Was ist hier los?" fragte Lauer.

„Der Satan selber ist in Euerem Lager drin!" flüsterten
ein Paar alter Basen, die am ganzen Leibe zitterten. „Das
war ein gräßliches Rumoren, das weit durch die Straßen tönte,
jetzt aber ist's plötzlich todtcustille geworden."

Lauer öffnete das Magazin und als er eine Laterne an-
zündetc, sah man, beleuchtet von dem fahlen Scheine derselben,
Octavio Capri in einem hohen, vierdimensionalen Fensterkreuze
erhcnkt. Da es inzwischen im Volke ruchbar geworden, daß
Capri einen Mordanfall auf Böhmern unternommen hatte, so
erzählte der Spiritisten-Pöbel gar bald, daß der Arm aus dein
Jenseits den Strick des ewigen Richters um den Hals aus dem
Diesseits geschlungen habe. Böhmer und Leonie aber lebten
noch lange in glücklicher Ehe und hatten vier prächtige Kinder,
die den Gustav Jäger, dessen Hauptlehrcn man inzwischen in
niedliche Kinderfibelverse gebracht hatte, so gut recitirten, wie
die Kinder einer dunklen, vergangenen Zeit ihren Struwelpeter.
Ost sah man sie zu den Füßen der Frau Böhmer im Garten
vor dem Landhause spielen, inid weithin tönten die Hellen Kindcr-
stimmen, wenn sie ihr Liedchen sauge», das da lautet:

Jedes seelische Gefühl
Schafft das Eiweiß-Molekül.

Einer edlen Seelen - Neigung
Folgt gar süße Dufterzeugung.

Wenn das Herz in Liebe glüht,

Riecht wie Snppe das Gcmüth;

9*
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