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Der Cäcilien-Ball.

wirkenden ans dem Chor vom Bischof zu einem großen Nacht-
essen eingeladen, dem eine fröhliche Tanzunterhaltung folgte.

„Der Cäcilienball!" Unser Gottlicb hatte nie im Ent-
ferntesten daran gedacht, solche Lustbarkeit zu genießen. Er
wäre recht gerne einmal dabei gewesen, hätte gerne einmal
genug gegessen, dem fröhlichen Tanzen zugeschaut von ferne
und der lieblichen Musik-Weisen gelauscht. Aber was wollte
er, der arme Teufel, an solch reichbesetzter Tafel in seinem ab-
geschabten Röllchen, neben sich die Mädchen des Chores und
sonstige Mitglieder, die er und die zum Theil ihn mieden, und
dann — er hätte nie die Erlaubniß von seiner Stiefmutter
erhalten.

Jetzt war es anders. Seit der Tag des Balles bestimmt
und jeder Musiker vom Kapellmeister die Einladungskarte er-
halten hatte, ergriff ihn eine unerklärliche Unruhe. „Wird sie
gehen?" fragte er sich hundert Mal des Tages. „Nein, sie ist
zu still zu solch einem Vergnügen — sie fühlt sich zu verlassen,
und hat Niemand, der sich mit ihr abgibt — aber vielleicht
geht sie doch, um sich zu zerstreuen. Die Mädchen sind neu-
gierig — ach, ich möchte nur noch einmal mit ihr sprechen —
noch einmal mit ihr tanzen — —"

Ein Taumel erfaßte ihn und er ging herum wie im
Schlafe. Der Tag rückte näher — da faßte er einen heroischen
Entschluß und sagte zu seiner Stiefmutter Abends: „Mutter,
morgen ist der Cäcilienball, und — ich möchte so gerne ein-
mal dabei sein; ich bin eingeladen, erlaubst Du mir nicht, zu
gehen?" „Was?" rief die Alte, und die Zornröthe stieg ihr bei
der leisen Bitte Gottliebs in das Gesicht. „Du willst auf

den Ball gehen, während wir armen Würmer (der Wurm war

dick wie eine Fleischersfrau) uns das Essen vom Leibe sparen!
Ha, ha, ha. Du willst aus den Ball gehen? Grctel, Liese,
Hans! Kinder, kommt her und schaut Euch den langen Rothen
an — er will tanzen geh'n, er, mit seinen Storchenbeinen und
den großen Füßen. — Hans, wie wird denn der rothe Gott-
lieb tanzen, zcig's einmal!" Und der liebe Hans fing an,

zum großen Ergötzen von Mutter und Kindern, die tollsten
Sprünge und Purzelbäume zu machen, was von diesen mit
brüllendem Gelächter belohnt ward.

Diesmal lachte Gottlicb nicht mit, wie sonst; aber er
sagte leise: „Gute Nacht, Mutter — gute Nacht, liebe Ge-
schwister," und ging hinauf in seine kalte Stube. Die Külte
schnürte ihm das Herz zusammen. Das Wasser in der Flasche
war zu einem einzigen Klumpen gefroren, auch im Waschbecken.
So legte er sich frierend zu Bette, indem er seufzend nach
dem Fenster schaute, das in reicher Formenpracht von den
herrlichsten Eisblumen überzogen war. Er konnte nicht schlafen,
er fror unter der dünnen Decke. So stand er wieder aus und
hob, um sich zu wärmen, eine schwere Kiste auf das Bett,
worunter er mühsam die Beine zwängte und spät, mit Thränen
im Auge, einschlief.

Der Abend kam, an dem der Ball stattfinden sollte.
Gottlieb hatte frühzeitig „Gute Nacht" gesagt und war in seine
Kammer hinaufgestiegen. Heute fror er nicht, er glühte in
aufregendem Feuer. Nachdem er seine Sonntagskleider hinter

dem Tuch an der Wand hervorgeholt, wusch er sich sorgfältig
— er hatte in einem Töpfchen über dem Licht Wasser erhitzt
und damit einen Theil des Klumpens im Waschbecken flüssig

gemacht — dann kämmte und bürstete er seine Haare, ent-

fernte sorglich jedes Stäubchen auf Rock und Weste, und
nach einer halben Stunde stand er fertig angezogen da in
sonntäglichem Gewände. Eine weitere halbe Stunde wartete
er; hierauf nahm er die Stiesel in die Hand und schlich
leise auf den Socken die Treppe hinunter. Als er an der
Kammerthüre seiner Stiefmutter vorbei ging, hustete sie; die
letzte Stufe knarrte und Gottlieb schien dem Umsinken nahe.
Es blieb still, rasch huschte er über die schmale Flur, öffnete
leise die Hausthüre, deren Schloß wohl von Innen, doch nicht
von Außen zu öffnen war — zog dieselbe hinter sich zu und
stand hochklopfenden Herzens aus der Straße, die Stiefel in
der Hand, in die er hineinschlüpfte. Dann ging er, so schnell

er konnte, um sich zu erwärmen, denn die Kälte schnitt durch

das dünne Gewand wie mit Messern in seine Haut.

Hinter der Klosterkirche, an die eine Langseite stoßend,
lagen die ehemaligen Klosterräumlichkeiten, eine großartige An-
lage von Gebäuden, Höfen und Kapellen. An dem Kreuzgangc,
der rings um den großen Hof lief, lag das Refectorium, und
in diesem großen Saale hatten sich die zahlreichen Gäste ver-
sammelt. Eine riesige Tafel zog sich an drei Wänden hin,
bedeckt mit einer Unzahl von gefüllten Tellern und Platten in
aller Form und Größe, von der Forelle aus dein Appenzeller-
land, dem „Felchen" vom Bodensee an bis zum Lachs und zur
geräucherten Seezunge, 'Schinken und Wurst von aller Herren
Länder, Salate, grüne, mit Eier garnirt, Kartoffel und Sellerie
und dazwischen in unendlicher Menge Flaschen rothen und
weißen Weines — ach, das waren Leckerbissen und ungeahnte
Genüsse, und die armen Musikanten und Nähmädchen, die
unten an der Tafel standen, sahen mit lüsternem Blick und
langgestrecktem Hals auf all' die Herrlichkeiten.

Jetzt kam der Bischof, setzte sich oben am Tisch in seinen
Lehnstuhl — ihm zur Rechten und zur Linken die Prälaten und
geistlichen Herrn nach Würde und Rang, nach Alter und An-
sehen in großer Zahl. Das untere Ende des Tisches war für
die Musikanten und Sänger bestimmt. Die armen Mädchen
und die Hungerleider trauten sich gar nicht, mit so vielen
geistlichen Herren an einem Tische zu sitzen. Der Kapellmeister,
Bruder des Bischofs, ein gar leutseliger und freundlicher Herr,
nöthigte die guten Leute und wußte sich nicht anders zu Helsen,
als daß er endlich Eines nach dem Andern bei der Hand
nahm und an einen der Plätze führte.

Gottlieb war eben hineingetreten und stand geblendet ob
all der Pracht und dem Lichterglanze, als er an der Hand
gefaßt wurde. „So, da setz' Er sich nur, Ihr seid wie die
Kinder vor'm Christbaum, sperrt Eure Mäuler aus und seht
nichts vor lauter Lichter."

So saß Gottlieb an der Tafel, links eine arme Näherin.
Er wurde gar kühn und schaute herum, genüber, den Tisch
hinauf, nach seinem Nachbar rechts: es war Jula Groß. Um
Gottlieb schien Alles sich zu drehen; vor seinen Augen flimmerte
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