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Zum Schnepsenkogel.

schiedmheit eines schier Verzweifelnden. „Dort treffen die
meisten Staatshämorrhoidarier, meist einflußreiche Männer, Hof-
räthe und sonstige Räthe ein. Wenn ich da keine Bekannt-
schaft, wie ich sic brauche, anknüpfe, dann, alter Freund, dann
lasse ich mich in's nächstbeste, erbärmliche Joch ■ cinspannen, nm
als höchstes Ziel mein Heu zu bekommen, das der Mensch,
der bestimmt ist, zu ochsen, eben braucht, um, fragt nur
nicht wie? zu — existiren!" Nicht ohne Wehmnth nahmen
wir Abschied von einander.

Nun muß ich die gütigen Leser bitten, mein Geschäft des
Erzählens an den jungen Zweckelmaier selber abtreten zu dürfen,
der so gtitig ist, die Fortsetzung dieser Geschichte, deren Held
er ja ist, zu übernehmen. Zweckelmaier's Mittheilnng lautet also:

„In Rüppingen wimmelte cs von Rüthen aller Art; es
gab dicke Räthe, magere Räthe, zinnobcrrothe und wachsgelbe,
spaßhafte und bärbeißige, leutselige und hochmüthige, ledige,
vcrwittwete und verheirathete, mit und ohne Familie, kurz —
Räthe von allen Sorten, so daß ich mir vor lauter Räthen
nicht Rath wußte, nach welchem von ihnen ich meine Operation
zu lenken habe, denn darüber war ich im Klaren, daß ich, um
eine Wirkung zu erzielen, meine Kraft nicht zersplittern durfte,
sondern einzig und allein nach einer Richtung concentriren mußte.

Vergebens studirte ich die Physiognomieen sämmtlicher an-
wesender Hof-, Staats-, Commerzien- und sonstiger Räthe,
nm die entsprechendste herauszulesen, denn je mehr ich mich in
diese eigentlich gar nicht amüsante Lcctürc vertiefte, desto wirrer,
hicroglyphischer erschien mir der Inhalt.

Ich entschloß mich endlich zu einem abenteuerlichen Aus-
kunftsmittel, wie cs aber schon öfter in vielen Dingen weit
mehr zum Heile ausschlug, als cs die reiflichste und begründete
Ueberlegung jemals zu Stande brachte. Ich schrieb nämlich
die Namen sämmtlicher kurgebrnuchender Räthe, jeden einzeln,
auf kleine Zettel, warf diese in den Porzellankrng des Wasch-
kastcns und zog dann auf gut Glück einen der Zettel heraus.
Der darauf geschriebene Name' lautete: „Hosrath Krimpel."

„So soll es der Krimpel sein" ! rief ich mir ermuthigend
zu und fand mich dabei ziemlich befriedigt, da Hofrath Krimpel
wirklich ein sehr einfacher, schlichter und jovialer Mann schien,
eine sehr freundliche, wohlwollende Gemahlin, und, was gar
sehr in die Wagschale fiel, eine hübsche, heitere Tochter von
etwa 18 Jahren besaß.

Ich ging. Dank meiner erworbenen Routine, so entschieden
auf mein Ziel las, daß ich in wenigen Tagen ans ziemlich
gutem Fuße mit dieser Familie stand. Zu einer intimeren
Annäherung, wie ich es doch eigentlich anstrebte, war es aber,
das konnte ich mir nicht verhehlen, noch immer ziemlich weit.

Da sprach der liebe Hosrath den Wunsch aus, mit Weib
und Kind den nahen Schncpfcnkogel zu besteigen, der durch
seine herrliche Fernsicht, seine romantische Zerklüftung, seine
gehcimnißvollen Höhlen, zauberhaften Mulden und rauschenden
Wasserstürze Stoff genug bot, um ein paar Tage daselbst in
angenehmster Weise zu verbringen.

„Wenn ich nur eingeladen würde, die Partie mitzu-
machen!" seufzte ich im Stillen, denn, calculirte ich, ein paar

Tage mit den Krimpel'schen beisammen, brächten mich mit
Riesenschritten in vertrauliche Beziehung zu denselben.

„Man sagt übrigens," meinte der Hofrath, „ohne
Führer solle man die Bergpartie nicht unternehmen, aber
ich bin ein Feind dieser sogenannten „Führer", welche un-
verschämt genug in ihren Forderungen sind, stets nur ihren
Bortheil im Auge haben, niemals aber das Interesse der
Reisenden. Mit einem Worte," schloß der Hosrath, „wir be-
suchen den Schnepfenkogel nur dann, wenn Einer von der
Bndegcsellschaft mitgeht, der des Weges kundig ist." — Das
fiel mir in die Seele, wie ein Funke in eine Pulverkammer.
„Wenn es Ihnen angenehm ist, Herr Hosrath, so wird es
mir zur Ehre gereichen, Sic und Ihre werthe Familie zu be-
gleiten und zu führen!"

„Ah, junger Mann, Sie sind also bekannt in hiesiger
Gegend?" — „O, ich kenne sie wie meine Heimath, und
namentlich den Schnepfenkogel kenne ich in- und aus-
wendig!" fiel ich rasch ein. Hier muß ich aber dem Leser
sagen, daß ich zum ersten Male und erst seit ein paar Tagen
in Rüppingen war, und, zu meiner Schande sei's gestanden,
vorher niemals etwas von dem verdammten Schnepfcnkogcl auch
nur gehört hatte! Wohl war ich mir sogleich der Unverschämt-
heit meiner Aussage, noch mehr der Größe des Wagnisses
bewußt, welches nothwendig daran geknüpft werden mußte,
aber der Stein war einmal im Rollen, so ließ ich ihn in
Gottesnamen rollen!

Am folgenden Morgen traten wir die Wanderung an.
Das Wetter war günstig, wie schon lange nicht. Das
erschien mir als ein vielversprechendes Omen, und ich gewann
jene Gemüthsfrische wieder, die mir die Sorge um den Aus-
gang meiner kühnen Unternehmung erdrücken zu wollen schien
und die ich so nothwendig brauchte, um mich immer mehr
bei den Krimpel'schen einzuschmeicheln. Während des Anstieges,
der ziemlich gut war, hatte ich bald Papa, Mama und Mizi
Krimpel in die heiterste Stimmung gebracht. Ich dankte den
guten Göttern aufrichtig und bat sic wahrhaft inbrünstig, mir
auch ferner beizustehen. Nicht lange darnach aber kam eine
jener Stellen, welche, man weiß selten warum, die Wahl nach
zwei Wegen frei läßt, von denen man nach dem ersten An-
schein eben so gut den einen, wie den andern einschlagen
kann. Dennoch hatte ich das dunkle Gefühl, daß nur einer
der richtige sei, aber welcher? Das war die Frage, die
ich nicht ohne Unruhe im Stillen an mich stellte. Bei der
Entschiedenheit, mit welcher ich mein genaues Vertrautsein mit
dem gesummten Terrain des Schnepfcnkogcls betheuert hatte,
durfte ich mich folgerichtig nicht einen Augenblick im Zweifel
über die Richtung zeigen, welche nun einzuschlagen sei. Ich
wählte ans gut Glück den Weg nach rechts, und hier war cs,
wo sich die guten Götter von mir abwandtcn.

Immer beschwerlicher wurde der Weg, immer steiniger,
immer sonderbarer gewunden, immer gähnendere Schluchten
thaten sich dabei zu unseren Füßen auf, und als ich an dein
nach und nach eintretenden Schweigen der hinter mir folgenden
Gesellschaft merkte, wie fatal ihr die Situation zu werden be-
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