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Der Steckbrief.

selbe Bild dar, wie gestern: voran, mürrisch und schweigend,
der Assessor, einige Schritte hinterdrein der Praktikant mit dem
zur Ausnahme des Protokolls bestimmten Hefte unter dem Arm.
Schon eine Strecke vor jenem Dorfe kam ihnen der voraus-
geeilte Gendarme wieder entgegen und meldete, daß sich der Ort
des Verbrechens diesmal nicht im Dorfe selbst, sondern in jenem
dazu gehörenden, abgelegenen einzelnen Bauerngute befinde.

Hierbei deutete der Gendarme auf ein am Wege liegendes
Haus, bei dessen Anblick der Praktikant vermeinte, in die Erde
sinken zu sollen, denn — das war ja dasselbe Haus, dessen
erleuchtetes Fenster ihn gestern Abend zu der verunglückten
Privatnntersuchung veranlaßt hatte! Das zerbrochene Fenster
aber wurde vom Gcndarmc als diejenige Stelle bezeichnet, wo
der Einbruch stattgefunden habe.

Dem Praktikanten ward cs immer unheimlicher zu Muthe
und nur mit Mühe behielt er die nöthigc Fassung.

Viel ruhiger nahm natürlicher Weise der Assessor die
Sache. Er begab sich in das Haus, dessen Bc-
sitzerinen, eine Wittwe mit ihrer Schwester, die
Commission heulend und wehklagend empfingen. In
den beiden Frauen erkannte F. sofort seine Fcnster-
bekanntschaften von gestern Abend, was durchaus nicht
zu seiner Beruhigung beitrug.

Nach den Aussagen der Frauen, welche F. zu
Protokoll nehmen mußte, war also gestern Abend ein
furchtbar aussehender Kerl an jenem Fenster erschienen,
habe dasselbe mit einem Beile oder irgend einem
andern Mordinstrumente eingeschlagen und sich schon
zum Sprunge in die Schlafkammer bereit gezeigt, als
er durch vereintes Hilfcgeschrei der beiden Schwestern
in die Flucht gejagt worden sei. Von Werthsachen
fehle außer einem Unterrocke der älteren Schwester
nichts, überhaupt aber schiene, daß der Kerl wahrscheinlich die
beiden Frauen habe ermorden und ihres Vermögens berauben
wollen.

Der Praktikant schwitzte fast Blut, als er alle diese doch
nur gegen seine eigene Person gerichteten Aussagen niederschreiben
mußte, doch er bezwang sich. Nur als die Alte behauptete,
der Kerl habe ihr einen Unterrock gestohlen, wollte F. fast auf-
springen und rufen, daß dies eine ganz gemeine Lüge sei.

Es blieb jetzt nichts weiter übrig, als nach den Aussagen
der beiden Frauen eine möglichst genaue Personalbeschreibung
des Verbrechers festzustellen, um einen Steckbrief erlassen zu
können. Dies war jedoch auch keine leichte Aufgabe, denn die
Schlvestcrn waren in ihren Aussagen durchaus nicht überein-
stimmend; die ältere beschrieb den Verbrecher als ein wahres
Ungeheuer, während die jüngere viel gemäßigtere Angaben
machte — ans diesem Grunde schenkte auch ihrer Beschreibung
der Assessor viel mehr Glauben und Beachtung. Während
nämlich die ältere Schwester behauptete, der Verbrecher habe
ganz seuerrothe Haare gehabt, sagte die jüngere: ihr sei es
mehr blond erschienen, so etwa wie das Haar des Herrn
Praktikanten dort. Auch über des Verbrechers Bart gingen die
Ansichten der Schwestern schnurstracks auseinander; die ältere

wollte einen rochen, furchtbar struppigen Bart bemerkt haben,
während die jüngere meinte: ihr sei der Bart gar nicht so
abschreckend erschienen, derselbe habe vielmehr auch Aehnlichkeit
mit dem Barte des — Herrn Praktikanten gehabt. Diese absichts-
losen, vergleichenden Bemerkungen versetzten unscrm F. stets einen
gewaltigen Stich, aber ohne Widerrede mußte er dem steckbrief-
lich zu verfolgenden Verbrecher einen Theil seiner eigenen
Personalbeschreibung widmen.

Endlich war die Untersuchung zu Ende. Der Steckbrief
ward sogleich dem Gendarme zur Veröffentlichung und Ver-
breitung übergeben. Der Praktikant aber wischte sich den Angst-
schweiß von der Stirne, doch war er froh, daß er als Urheber
des ganzen Vorfalles unentdeckt geblieben war. Heute ließ er
auch den Herrn Assessor allein im Dorfwirthshaus Stärkung
und Labung suchen; unter dem Vorwände eines Unwohlseins

trat F. den Rückweg nach der Stadt sofort allein an.

Der Steckbrief, den er hinter sich selbst hatte erlassen
müssen, erschien aber bald in allen Amts- und Kreisblättcrn,
hatte jedoch zur größten Befriedigung des Praktikanten keinerlei
Erfolg, denn hätte man vielleicht einen Unschuldigen ergriffen,
so würde F.'s Ehrlichkeit nicht länger die Geheimhaltung der
Wahrheit ertragen haben.

Was nun den angeblich gestohlenen Unterrock betraf, so
erschien schon am Tage nach der Untersuchung der Gendarme
wieder üeinr Herrn Assessor und meldete, daß sich das vermißte
Kleidungsstück wiedergefunden habe. Die jüngere Schwester
hatte nämlich in der Verwirrung nicht nur ihren eigenen, sondern
auch noch einen Unterrock der älteren Schwester angezogen. Durch
diese Entdeckung war der Verbrecher wenigstens vom Verdachte
des Diebstahls gereinigt.

Nach einiger Zeit hatte der Praktikant die Freude, aus
der Diätenkasse die übliche Vergütung für die gegen seine eigene
Person eingelcitetc Untersuchung ausgezahlt zu erhalten.

Nach dem steckbrieflich verfolgten Einbrecher forschte die
Gendarmerie noch lange Zeit, glücklicher Weise aber vergeblich.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Der Steckbrief"
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Serientitel
Fliegende Blätter
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Entstehungsort (GND)
München

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Publikation

Fund/Ausgrabung

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Restaurierung

Sammlung Eingang

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Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 72.1880, Nr. 1822, S. 202
 
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