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Die Schelmenkappe.

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ist's so eigen und wundersam, daß einem die Augen übergehen
würden, wenn man sie recht ausmachen wollte über dem Ab-
grund von Reichthum und Herrlichkeit. In welcher Eigenschaft
und Figur aber ich dazumal auf jenem Schlosse mich herumge-
trieben. das weiß ich nicht mehr, vielleicht als Ameise, weil ich.
was von den Brosamen jener Tage für mich absiel, so sorgsam
gesammelt und aufgehoben habe für spätere Zeit."

An dem Flügel der Burg, welcher dem Strome zugekehrt
war, ragten auf den Seiten zwei mächtige Thürme. ein runder
und ein viereckiger, bis in die Wogenbrandung hinein, ließen
sich bespülen jahraus jahrein und machten immer dasselbe Ge-
sicht dazu. In der Höhe des runden Thurmes befand sich ein
Söller, gar luftig und hell, traulich und einladend wie ein
Schlupfwinkel des Friedens. Durch das hohe schmale Fenster
blickte man weit über den Strom in die lachenden Gauen
hinaus, in das weite freie jauchzende Leben mit all seiner Lust
und grünen Pracht. An dem Fenster stand auf einem erhöhten
Tritt ein bequemer Sessel, davor ein Spinnrocken; gegenüber
war unter einem kunstvoll gearbeiteten Crucifix, aus fernem
kunstverständigen Land ein Betschemel von geschnitztem Holz,
belegt mit feinem Venetianersammet; auch wohl ein Stück aus
der Fremde, das an den Ufern des Stromes nicht gewachsen,
noch geformt worden war. Sonst bildeten mancherlei würzig
duftende Blumen und etliche schemelartige Sessel die einzige
Ausstattung des freundlichen Gemachs.

Der schönste Schmuck desselben war freilich das schlanke
blonde Frauenbild, das iin knappen dunkeln Sammetkleid müssig
am Fenster saß oder vielmehr lehnte, und die lichtbraunen Augen
auf den Lagerkissen des Abends, den rosigen Wolken und Wölk-
chen. ruhen ließ. Was machte das Mädchen wohl so still und
nachdenklich, da doch auch gegen seinen Willen die schalkhaften
Engelein jugendlicher Lust um die feinen Lippen ihr loses
Spiel trieben? War cs das Lied des schmächtigen Jünglings,
der in der schmucklosen Tracht eines fahrenden Sängers zu
ihren Füßen saß; war es der Aeolsharfenklang. der melancho-
lisch durch den stillen duftigen Sommerabend zog? Wohl Keines
von Beiden, denn auch nicht ein einziges Mal waren ihre
Blicke den schmachtenden Augen des Minstrels begegnet, und
zugleich offenbarte der ganze Ausdruck ihres holden Angesichtes
eine solche Zerstreutheit, daß man unmöglich ihre Seele in
der Gefangenschaft der Natur und ihres leisen Webens und
Lebens wähnen konnte. Entweder sann die streng und klöster-
lich gehaltene Jungfrau darüber nach, wodurch eigentlich in
ihrer letztgenannten Eigenschaft sie von einem Kind sich unter-
scheide, oder sie gedachte des geliebten Blutfinken, der Tags zu-
vor durch des Sängers Ungeschicklichkeit seinen Weg in die
weite blaue Luft gefunden hatte.

Erwin — so hieß der schwarzlockige Jüngling mit den
glanzvollen schmachtenden Augen — saß, wie gesagt, zu Bertha's
Füßen und klimperte gedankenvoll auf einer zierlichen Laute.
Schon geraume Zeit hatte Arnulph, der Burgherr, ein reicher
mächtiger Rittersmann, und weit und breit angesehen wie Einer
der Fürsten des Landes, ihn als werthen Gast auf dem Schlöffe

zurückgehalten, theils um sich und seine Genoffen, so gar häufig
bei ihm cinsprachen. an den anmuthigen Weisen des Gesanges
und Saitenspieles zu ergötzen, theils um dem einsamen Töchter-
lein. das keine Mutter mehr und keine Geschwister hatte, einige
Unterweisung ertheilen zu lassen in der edlen Kunst, die jedes
Menschen Herz erfreut. Erwin also saß da und klimperte, und
weil Bertha seiner nicht achtete, stimmte er abermals ein Lied-
lein in eigener, gar lieblicher Weise an*):

Blickst du dem Vöglein »ach
Bunt von Gefieder.

Ob es die Treue brach,

Ob es kehrt wieder ?

Vöglein kehrt nicht zurück,

Vöglein bleibt draußen:

Sucht sich sein Waldcsglück,

Frei will es hausen.

Anders das Menschenherz:

Gern ist's gcsangen,

Wieget in Lust und Schmerz
Sehnend Verlangen.

Bricht seine Fesseln nicht.

Hegt seine Schmerzen;

Ach! wenn die Fessel bricht,

Brechen auch Herzen!

Da auch jetzt noch Bertha unbeweglich und theilnahmlos
verblieb, so schleuderte der Jüngling in jäher, ungebändigter
Aufwallung die arme Laute zu Boden, daß sie dröhnte und
schrillte, und die erschrockene Jungfrau erbebte wie Espenlaub
bei plötzlichem Windstoß.

„Bei den Heiligen allen und meiner armen Seele!" — rief
Erwin dunkelglühenden Angesichtes aus, indem er zu Bertha's
Füßen niedersank -- „länger ertrag' ich's nicht. Sollte es auch das
Leben mir kosten, ich muß das Schweigen brechen, so mir das
Herz zerfrißt und die Seele bei lebendigem Leibe mir zu Tode
nagt. Wißt Ihr. wie der Thautropfen die Blume liebt, wenn
er in ihrem Schoß sich gelagert hat. wie der Eichbaum die
Epheuranke, die ihn umschlingt, der Fels das Moos, wie die
Nixe des Sees von der Libelle geliebt wird, wenn diese im
letzten Abendscheine über den silberklaren Spiegel dahingaukelt
— wißt Ihr, wie die Sonne die Erde liebt, wenn sie selbige
aus süßem Schluinmer wachküßt zu neuem würzigen Leben —
so, so. Bertha, lieb' ich Euch, und meiner Liebe giebt's keinen
Toö, wenn auch mir Aermsten einen nahen Untergang. Ver-
möcht Jhr's, so liebt mich wieder, reicht mir Eure Hand, seid
mein Weib, wie sich's geziemt vor Gott und Menschen!"

Bertha hatte mit unglaublichem, sprachlosen Erstaunen dem
erhitzten Jüngling zugehört. „Die Heiligen schützen Euch. Meister
Erwin." — erwiderte sie nicht ohne ängstliches Beben in der
Stimme — „denn der Böse ist in Euch. Bei meiner armen
Seele. Ihr redet irre, als wäret Ihr in Aberwitz gefallen."

*) Das Lied ist mit einigen erforderlichen Licenzen in moderne
Weise von mir übertragen worden. Anm. d. Erzählers.
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