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Ciu Proletarier.
(Schluß.)
„ linv wie schwer ist es, dieser Versuchung zu widerstehen!
weiß ich doch selbst einmal, wie ich wenige Tage vor Weih-
nachten einige so erhaltene Pfund Zucker nach Hause brachte,
und sie meiner Frau gab, um sobald als möglich Geld dafür
zu bringen. — „Wilhelm," sagte sie, indem sie auf unsre
Kinder blickte, „es ist Weihnachten, Alles freut sich, sollen
sich unsre Kleinen nicht auch einmal freuen? Zucker haben
wir schon, noch eine kleine Ausgabe, und wir backen Kuchen
für unsre Kinder!" Diese hatten's mit angchört, ihre Augen
strahlten vor Freude, — konnte ich Nein sagen? — wird einer
noch hartherzig sagen können: „zu was braucht das Volk
auch dergleichen zu essen?" — und wäre es denn geschehen?
wer hätte daran gedacht, wenn der verführerische Zucker nicht
schon im Hause gewesen wäre?" —
„Sehen Sie, das ist mein Loos seit vier Jahren, das
ist das Leben von Hunderten ohne Hoffnung auf bessere Zu-
kunft, bis ans Ende! und wenn Sie glauben ich übertreibe,
den Beweis liefte ich jeden Augenblick; Arbeit vom frühen
Morgen bis zum späten Abend, schlechte Kost, nur spärlich
Erholung und Erquickung." —
„Und nun die letzten theuren Jahre — die sündhaft
theuren schlechten Lebensmittel, das Brod klein und kraftlos,
die Kartoffeln halb faul, oft schon keimend, und doch beides
fast unsere einzige Nahrung; ich wurde krank, konnte einige
Wochen nichts verdienen; kaum hatte ich mich erholt, fing
eines meiner Kinder zu kränkeln an, es starb, und, o Gott,
von den Begräbnißkosten hätten wir Zurückbleibenden mehrere
Wochen leben können; das Geld hatte ich nicht, ich mußte
es von gewiffenlosen Leuten gegen wucherische Zinsen eutneh-
men — wieder neue Sorgen, und so wurde die Nacht, die
mich umfing, immer dunkler uud schwärzer. Da kam jener
Unglückstag!" —
„Für den Kaufmann Böse hatte ich eine Arbeit zu fer-
tigen, bis zum Sonnabend Mittag sollte sie geliefert werden;
ich stand die ganze Nacht an der Drehbank, um zu rechter
Zeit fertig zu werden — dennoch kam ich ein paar Stunden
zu spät. „Wo bleiben Sie denn so lange?" riefs mir ent-
gegen, als ich in das Comptoir trat, und schon dachte ich,
es käme das alte Lied vom nicht mehr brauchen können —
aber Gott sei Tank, es kam nicht, es wurde mir der ganze
Bettag Übermacht; draußen öffnete ich das Päckchen — also
doch wieder einige Kreuzer zu wenig, seufzte ich, als ich unter
dem Silbergeld auch einen Dukaten fand. Ich ttat in einen
Kaufladen, um ihn wechseln zu laffen, und erfuhr mit Schrecken,
daß das mir für 5 Gulden 36 Kreuzer angerechnete Goldstück
nicht mehr als 4 Gulden 54 Kreuzer werth sei; — 42 Kreuzer
zu wenig, fast der dritte Theil meines Arbeitslohnes, denn
alles zusammen hatte nicht mehr als 6 Gulden bettagen. Ich
eilte zurück, und brachte das Goldstück wieder; man zuckte wie
gewöhnlich kalt die Achsel; ich machte den geringen Werth
desselben geltend, ich könne nicht so viel verlieren; man habe
es auch eingenommen, und müsse sehen, es wieder anzubringen;
ich wurde immer wärmer, und als es hieß, wenn ich meine
Arbeit um diesen Preis nicht da lassen könne, möge ich sie
immerhin wieder mitnehmen — da schleuderte ich dem Sprecher
das Gold vor die Füße, und mag wohl, als ich so vor ihm
stand mit geballter Faust, drohend genug ausgesehen haben;
ein hinter mir beschäftigter Packer riß mich zurück und in
den Vorplatz, die Hausthüre stand offen, ich taumelte hinaus,
und stteß gegen den dort aufgerichteten Holzstoß; der ihn zu-
sammenhaltende Reif sprang auf, der empfindliche Schlag,
den ich durch denselben erhielt, brachte mich wieder zu mir
selber, ich rannte fort, und lief wohl ein paar Stunden in
Nacht und Regen herum. Zu Hause waren die Meinen ohne
einen Heller Geld, und auch ich kam zurück mit leeren Händen;
ein kleines Stückchen Brod war das Nachtessen eines jeden
von uns, und dann legten wir uns auf unser ärmliches Lager.
Gegen 11 Uhr weckte mich meine Frau aus meinem unruh-
igen Schlafe, eines meiner Kinder lag wie im Fieberftost;
— ach Gott, sagte meine Frau, wenn wir doch nur Holz
zum Einheizen hätten, das arme Kind vergeht uns ja unter
den Händen! — da sprang ich auf — alle Nachbarn schon
im ttefem Schlafe, und zu wem gehen? war doch jeder so
arm als ich — da kam der böse Feind zum zweiten Male
über mich — ich bringe Holz, rief ich und stürzte hinaus."
„Der Holzstoß vor Bösels Haus fiel mir ein — es kann
keine Sünde sein — so übertäubte ich mein Gewissen — der
Reif war abgesprungen — wenn er noch nicht wieder befesttgt
ist, sagte ich zu mir, das soll dir ein Zeichen sein — ich kam
Ciu Proletarier.
(Schluß.)
„ linv wie schwer ist es, dieser Versuchung zu widerstehen!
weiß ich doch selbst einmal, wie ich wenige Tage vor Weih-
nachten einige so erhaltene Pfund Zucker nach Hause brachte,
und sie meiner Frau gab, um sobald als möglich Geld dafür
zu bringen. — „Wilhelm," sagte sie, indem sie auf unsre
Kinder blickte, „es ist Weihnachten, Alles freut sich, sollen
sich unsre Kleinen nicht auch einmal freuen? Zucker haben
wir schon, noch eine kleine Ausgabe, und wir backen Kuchen
für unsre Kinder!" Diese hatten's mit angchört, ihre Augen
strahlten vor Freude, — konnte ich Nein sagen? — wird einer
noch hartherzig sagen können: „zu was braucht das Volk
auch dergleichen zu essen?" — und wäre es denn geschehen?
wer hätte daran gedacht, wenn der verführerische Zucker nicht
schon im Hause gewesen wäre?" —
„Sehen Sie, das ist mein Loos seit vier Jahren, das
ist das Leben von Hunderten ohne Hoffnung auf bessere Zu-
kunft, bis ans Ende! und wenn Sie glauben ich übertreibe,
den Beweis liefte ich jeden Augenblick; Arbeit vom frühen
Morgen bis zum späten Abend, schlechte Kost, nur spärlich
Erholung und Erquickung." —
„Und nun die letzten theuren Jahre — die sündhaft
theuren schlechten Lebensmittel, das Brod klein und kraftlos,
die Kartoffeln halb faul, oft schon keimend, und doch beides
fast unsere einzige Nahrung; ich wurde krank, konnte einige
Wochen nichts verdienen; kaum hatte ich mich erholt, fing
eines meiner Kinder zu kränkeln an, es starb, und, o Gott,
von den Begräbnißkosten hätten wir Zurückbleibenden mehrere
Wochen leben können; das Geld hatte ich nicht, ich mußte
es von gewiffenlosen Leuten gegen wucherische Zinsen eutneh-
men — wieder neue Sorgen, und so wurde die Nacht, die
mich umfing, immer dunkler uud schwärzer. Da kam jener
Unglückstag!" —
„Für den Kaufmann Böse hatte ich eine Arbeit zu fer-
tigen, bis zum Sonnabend Mittag sollte sie geliefert werden;
ich stand die ganze Nacht an der Drehbank, um zu rechter
Zeit fertig zu werden — dennoch kam ich ein paar Stunden
zu spät. „Wo bleiben Sie denn so lange?" riefs mir ent-
gegen, als ich in das Comptoir trat, und schon dachte ich,
es käme das alte Lied vom nicht mehr brauchen können —
aber Gott sei Tank, es kam nicht, es wurde mir der ganze
Bettag Übermacht; draußen öffnete ich das Päckchen — also
doch wieder einige Kreuzer zu wenig, seufzte ich, als ich unter
dem Silbergeld auch einen Dukaten fand. Ich ttat in einen
Kaufladen, um ihn wechseln zu laffen, und erfuhr mit Schrecken,
daß das mir für 5 Gulden 36 Kreuzer angerechnete Goldstück
nicht mehr als 4 Gulden 54 Kreuzer werth sei; — 42 Kreuzer
zu wenig, fast der dritte Theil meines Arbeitslohnes, denn
alles zusammen hatte nicht mehr als 6 Gulden bettagen. Ich
eilte zurück, und brachte das Goldstück wieder; man zuckte wie
gewöhnlich kalt die Achsel; ich machte den geringen Werth
desselben geltend, ich könne nicht so viel verlieren; man habe
es auch eingenommen, und müsse sehen, es wieder anzubringen;
ich wurde immer wärmer, und als es hieß, wenn ich meine
Arbeit um diesen Preis nicht da lassen könne, möge ich sie
immerhin wieder mitnehmen — da schleuderte ich dem Sprecher
das Gold vor die Füße, und mag wohl, als ich so vor ihm
stand mit geballter Faust, drohend genug ausgesehen haben;
ein hinter mir beschäftigter Packer riß mich zurück und in
den Vorplatz, die Hausthüre stand offen, ich taumelte hinaus,
und stteß gegen den dort aufgerichteten Holzstoß; der ihn zu-
sammenhaltende Reif sprang auf, der empfindliche Schlag,
den ich durch denselben erhielt, brachte mich wieder zu mir
selber, ich rannte fort, und lief wohl ein paar Stunden in
Nacht und Regen herum. Zu Hause waren die Meinen ohne
einen Heller Geld, und auch ich kam zurück mit leeren Händen;
ein kleines Stückchen Brod war das Nachtessen eines jeden
von uns, und dann legten wir uns auf unser ärmliches Lager.
Gegen 11 Uhr weckte mich meine Frau aus meinem unruh-
igen Schlafe, eines meiner Kinder lag wie im Fieberftost;
— ach Gott, sagte meine Frau, wenn wir doch nur Holz
zum Einheizen hätten, das arme Kind vergeht uns ja unter
den Händen! — da sprang ich auf — alle Nachbarn schon
im ttefem Schlafe, und zu wem gehen? war doch jeder so
arm als ich — da kam der böse Feind zum zweiten Male
über mich — ich bringe Holz, rief ich und stürzte hinaus."
„Der Holzstoß vor Bösels Haus fiel mir ein — es kann
keine Sünde sein — so übertäubte ich mein Gewissen — der
Reif war abgesprungen — wenn er noch nicht wieder befesttgt
ist, sagte ich zu mir, das soll dir ein Zeichen sein — ich kam
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Proletarier"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 185, S. 134
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg