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Aus dem Leben einer Vermietherin.

lesen pflegte. Diesem Blatte danke ich es, daß ich heute eine
sorglose Existenz, einen passenden Beruf habe.

Wie elcktrisirt sprang ich auf; mein Plan stand fest. Ich
kündigte meine Wohnung, machte meine Gelder flüssig — über- :
flüssige hatt' ich nicht; — wenige Wochen daraus nahm ich nach j
reiflichem Erwägen einen Wagen, in welchen meine ganze !
Hauseinrichtung verpackt wurde. Während dieser langsam auf
der Landstraße dahinschlich, fuhr ich mit leichtem Herzen und
leichtem Handgepäck nach — München. Wie mir das Herz
schwoll, das Blut quoll, als das Signal erscholl: „München!"

Welch' eine Stadt! Wir waren bei heftigem Gewitter
eingefahren; aber als ich aus dem Bahnhof trat, spiegelte sich
die Abendsonne bereits wieder in dem herrlichen See vor den
Bahngebäuden. So stellte ich mir Venedig vor. Doch ich
hatte nicht Zeit, mir die Herrlichkeiten unserer Hauptstadt zu
besehen, nicht Zeit, die monumentalen Prachtbauten, das Hos-
bräuhaus, die Pinakothek, den Löwenbräukeller zu betrachten.

nicht Zeit zu Betrachtungen, welcher Art sic sein mochten — es
galt, meinen Plan auszuführen.

Leider hatte ich mich schon am ersten Tag mit der Be-
sitzerin des Hotels entzweit; doch, treu meinem Vorsätze, ließ
ich mich so lange herumführen, bis ich im fünften Distrikte
eine herrliche Wohnung fand mit sechs Zimmern. Ich war
im siebenten Himmel und hatte wohl Acht, einen Contract mit
dem Hausbesitzer zu machen, damit er nicht mehr „nein" sagen
konnte und wenn es ihn zehnmal gelüstet hätte.

Vor Allem inserirte ich jetzt in süd- wie norddeutschen
Blättern folgende Annonce:

„Damen, welche die Münchener Kunstschule besuchen
wollen, finden Ateliers und liebevolle Aufnahme bei N. 9f."

Jawohl, liebevolle Aufnahme, denn ich schwärme für Kunst
und Künstlerinnen und malte mir den Gedanken, von Maler-
innen umgeben zu sein, auf das Herrlichste aus.

Und jetzt ging ich mit voller Hingebung und angeborenem
Kunstverständnis; an die Ausstattung der Ateliers, denn das
war mein Plan. Ich war Vermietherin geworden. Tie Zimmer
waren leider theils einförmig grau, theils roth bemalt. Ich
wählte hübsche Tapeten. Eine himmelblaue mit Arabesken,
eine hellgrüne mit Rosenbouquets, eine Landschaft mit griechischer
Staffage, Schafe, Hirten und Ruinen eines Tempels, welche
sich fortlaufend wiederholten. Ich kaufte schöne Oelfarbdruck-
bilder, um das Auge der Künstlerinnen zu erfreuen, welche ich
aufhüngte (nämlich die Bilder, nicht die Künstlerinnen), machte
doppelte Gardinen an die Fenster und — der Nachbarschaft
wegen — sogar kurze Vorhängchcn auf. Möbelüberzug und
Tischdecke nahm ich von geblümtem Kattun und freute mich,
als ich fertig war, wie traulich die großen Räume aussahen,
welch' vortheilhaftes Halbdunkel in den Ateliers herrschte.

Bald stellte sich zu meinem Entzücken eine junge Dame ein,
eine Norddeutsche, deren erste Worte mich einigermaßen in
Verlegenheit setzten.

„Haben Sie Nordlicht?" frug sic nnch.

„Nordlicht?" ich brannte Stearin und Erdöl. Nordlicht
war mir als Brennmaterial unbekannt. Das war, meines
Wissens, eine Natur-Erscheinung, welche Krieg bedeutet und
welche ich im Kriegsjahr 70 zu sehen Gelegenheit hatte. Ich
erinnere mich dessen, als ob es gestern gewesen wäre. Der
Himmel glühte flammenroth, die Glocken läuteten Großfeucr!
Die Feuerwehr fuhr in sausendem Galopp zum Thor hinaus,
bald zurückkehrend, ohne mehr gelöscht zu haben, als ihren
Durst, denn die vermeintliche Feuersbrunst war ein Nordlicht.
Und nun sollte Ich Nordlicht haben! Das begriff ich nicht.
Indes;, dachte ich, die Norddeutschen sind uns in der Intelligenz
so weit voran - - möglich, das; sic sich in Berlin diese Himiiielc--
erscheinung zur Beleuchtung dienstbar gemacht, bei uns das
wußte ich bestimmt — war man noch nicht so weit.

„Nordlicht, liebes Fräulein", sagte ich endlich, „lvcrdcn Sic
in ganz München nicht finden."

„Sic scherzen!" erwiderte die Norddeutsche mit überlegenem
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Leiden und Freuden einer Vermietherin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Weiterer Titel: "Aus dem Leben einer Vermietherin"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsdatum (normiert)
1886 - 1886
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 84.1886, Nr. 2118, S. 66
 
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