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Leiden und Freuden einer Vcrmietherin.

hinderten mich eigenthümliche Umstände, der Ungarin gefällig
zu sein, denn im Begriff, nach meinem Zimmer zu gehen,
mache ich erstaunt vor dem dritten Atelier Halt.

Es gibt Tage, an welchen sich die Ereignisse häufen. So
dieser. Kaum erst hatte ich mich von dem Schrecken über das
weinende Kind erholt, was ich hier höre ist noch unerklärlicher,
denn — wahrhaftig es ist das Brüllen eines Kalbes und dazu
ertönt ganz deutlich eine rauhe, gleichwohl weibliche Stimme:
„Rindvieh, miserablig's! Hältst d' oder hältst d' nit!"

Das war weder das Organ noch auch ganz die Aussprache
der Hannoveranerin, welche das Atelier iune hatte und es ist
wohl verzeihlich, daß ich, ohne anzuklopfen, eintrete, die Thüre
hastig aufreißend, unter welcher ich entsetzt stehen bleibe.

Ein schon dem Backfischalter entwachsenes Kalb wird von
einer stämmigen Bäuerin mühsam am Frackslügel, vulgo Schweif,
gehalten und zerstampft in jugendlicher Ungeduld mit den Hufen
mein schön gewichstes Parquet.

Ehe ich Worte fand, mein Erstaunen auszudrückcn, rief
mir die Bäuerin zu: „Machen ©’ die Thür' zu, aber g'schwind!"

Das Kalb gilt allgemein für dumm, doch sehr mit
Unrecht, denn der durchtriebenste Mensch könnte nicht rascher
den günstigen Moment erfassen, als das vierfüßigc Landkind,
welches, kaum die Thüre offen sehend, mich zur Seite rennt
und hinausspringt.

„Jesses, mei' Kaibl!" schreit das Weib, dem befreiten
Thiere nachsetzcnd. Jetzt beginnt eine wilde Jagd, der ich mich
erschreckt anschlicße, denn das verschmitzte Vieh ist in den schön
angelegten Garten des Hausherrn geflohen, den nicht einmal
die Miether betreten dürfen, um wie viel weniger ein fremdes
Vieh. Vergeblich müht sich die Bäuerin, das lustig in den
Beeten herumtollcndc Kalb zu fangen, vergeblich ruft sie mir
zu: „Halten Sie's, halten Sie's!" Ich stelle mich zwar in
den Weg; das Kalb ist mir aber kaum nahe, so springen wir
Beide — das Vieh und ich — gleichzeitig scheu zur Seite.
Der Hausherr und sein Hund eilen bellend heraus. Es ist ein
Höllenlärm. Endlich gelingt es der Landdame, ihr Eigenthum
bei seinem natürlichen Lcitscil zu erwischen und unter Püffen
und Stoßen vor sich herzutreiben.

Ich näherte mich dem Hausherrn, ein paar entschuldigende
Worte zu sagen; dieser aber sah so grimmig d'rein, schimpfte
so derb bei'm Anfrichten der zertretenen Blumen, daß ich cs
gcrath'ner fand, seinem Zorn aus dem Weg zu gehen, um dem
meinigen Luft zu machen.

Erschöpft, außer mir, kehre ich in das Atelier zurück. Meine
Hannoveranerin sitzt ruhig an der Arbeit, als ob nichts vor-
gefallen wäre.

„Nun", fragt sie liebenswürdig, „haben Sic das Thicrchcn
gefangen?"

Thierchen nennt sie das Thier! In mir kocht es. „Fräu-
lein", beginne ich mühsam athmcnd, „es thnt mir leid. Ihnen
erklären zu müssen, daß ich Besuche von dieser Art, eine Un-
sauberkeit, wie sie hier herrscht, nicht dulden kann!"

Mein Mädchen hatte jedenfalls den ganzen Mittag zu thun.

die Visitenkarten wegzuräumen, ivclchc der vierfüßigc Besuch
hinterlassen.

„Ich hatte keine Ahnung", fuhr ich erregt fort, daß der-
artige Dinge Vorkommen könnten; Sic sagten, Sic seien Lnnd-
schastsmalerin und zu einer Landschaft braucht man doch wahr-
haftig keine —"

„Entschuldigen Sie", unterbrach mich die Künstlerin, „das
ist nicht richtig, ich sagte Ihnen bei'm Micthcn ausdrücklich,
daß ich mehr Vieh- als Landschnftsmnlerin bin. was Ihnen
auch meine Studien beweisen werden!" In der Thnt waren
die Wände mit Thierstücken aller Art beklebt. „Wenn ich nun
leider Ochsen oder Pferde nicht hierher bekommen kann, so müssen
Sic mir doch gestatten, solch' niedliche Thierchen, wie Kälber,
Schafe oder Schweinchen hier zu malen."

„Nein, das kann ich nicht gestatten, durchaus nicht!"

„Nicht?" frag die Malerin sichtlich bestürzt. „So wollen
Sie, daß ich ausziche?"

Ausziehen! Wie ein Donnerschlag traf mich das Wort.
Der Gedanke war mir unerträglich und beunruhigte mich so
sehr, daß ich plötzlich ruhig ward. „Davon kann keine Rede
sein, liebes Fräulein!" rief ich, nachdem meine erste Hitze
verflogen, mit dem ganzen Feuer meines Kunstsinnes, „nein,
lieber lasse ich einen eigenen Viehstall für Sic ganz allein
bauen!"

Gerührt reichte sic mir die Hand, mich an sich ziehend; so
kam ich plötzlich neben sic zu stehen. Ein Ausruf slnnimcr
Bewunderung entringt sich meinen Lippen bei'm Anblick des
Bildes, an dem sie malte. Es war nur der Kopf des Kalbes,
aber von frappanter Aehnlichkeit. Ein Bild, wie cs der beste
Portraitmaler unserer Zeit nicht charakteristischer hätte ausführen
können. „Unübertrefflich!" sage ich nochmals begeistert. Die
Künstlerin crröthetc, als ob das Lob ihres .Kalbskopses ein
persönliches gewesen wäre.

„Wollen Sie sich nicht die Sachen ein wenig anschen!"
sagte sic, nach der Wand zeigend.

Zum ersten Male sehe ich inich um und bleibe endlich
überrascht vor einem kleinen Oelbildc stehen, lvclchcs ein Pferd
zeigt, so schön, so wild, so naturwahr, wie man cs in der
Natur selten sieht. Die Hannovcrancrin, mein Zögern be-
merkend, sagt einfach: „Das ist ein Adam."

Erstaunt sehe ich um mich. Kühe, Pferde, Schafe, allcs
möglichc Gcthicr, doch nirgends erblickt mein suchend Auge einen
Adani oder eine Eva.

„Wo?" frage ich endlich.

„Nun, wo Sie stehen!"

Ah, jetzt begriff ich. Das Pferd hieß Adam und war
vermnthlich der Urvater seines Geschlechtes, wie Adam, der
Mensch, der Uns'rige gewesen.

Doch ich hatte nicht Zeit, diese neue Bereicherung mcines
Wissens ausznbcutcn, sondern eilte aus mein Zimmer, ein Paar
entschuldigende Zeilen an den Hausherrn zu schreiben. Eben
wollte ich den höflichen, aber kurzen Brief couvertircn, als mir
mein Mädchen einen ebenso kurzen aber minder höflichen dcS
! ehemaligen Metzgermeisters brachte. Er schrieb:
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