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Der Champagne-Kamerad: Feldzeitung der 3. Armee — 3. Kriegsjahrgang.1916-1917

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Hefte 68-72, April 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.2812#0461
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K.O.lk.S, veutfche keldpost Nr. S7L

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I.XIX.

Untversität Münster,

Helnrich Srman

Er^ch^EE. «nsiedelung in Kurland au».

Münster t. W., Ende Februar 1917.

Liebe Champagne-Kameraden!

Auf die Anfrage eines Landwehrpioniers
wegen Ansiedelung in Kurland schrieb ich in
Nr. 60 vom 26. November einen ersten Brief
über Kurland im Allgemeinen. Jhm folgt hier
der zweite über die Andsiedlung in Kurland und
über einzelne von dem Pionier in seinen Brtefen
vom 30. Oktober und jetzt vom 28. Dezember
gestellte Fragen.

Die Hofsnung sejnes Dezemberbriefes auf
baldigen Frieden ist ja durch die gehässige Ver«
blendung der Feinde abermals in die Ferne
gerückt worden, und neue, vielleicht noch uner-
yörtere Prüfungen warten Eurer, Jhr grauen
Helden. Jhr werdet sie bestehen, ^renn: „man
kann, was man muß!" sagt Hindenburg. Und
was sagt dazu Jhr, wackre Träger des Affens?
— „Nur Eines: Wir schaffens!"

„Wir schaffens!" das muß aber auch die
Losung sein für unsere künftigen Erenzbauern,
also auch für die in Kurland, wenn und soweit
wir es behalten, denn als Schlaraffenleben in
elegantem Landhause ist die kurländische Bauern-
siedelung natürlich nicht zu denken. Bei den im
vorigen Brtef geschilderten Bauernsiedlungen,
die Stloio Bröderich und die anderen deutschen
Rittergutsbesitzer in den letzten Jahren vor dem
Kriege durchführten, wurden so glänzende Erfolge
erzielt, weil die Siedler an Entbehrungen und
schwere Arbeit gewöhnte Bauern aus den kinder-
und menschenreichen deutschen Dörfern Süd-
rußlands waren. Sie übernahmen als „Stubben-
roder" die ihnen sehr billig überlassenen, abge-
holzten Waldflächen. Zunächst in ErdhÜtten
wohnend machten sie das Land durch Roden
und Pflügen urbar und schlugen in freien Stunden
die Stubben zu Brennholz. Dies fuhren sie
dann während des Winters im Schlitten zur
uächsten Stadt und lösten mehr dafür, als sie
Ar den ganzen Boden hatten bezahlen müssen.
Dann bauten sie etn erstes Vlockhaus für sich
und ihr Vieh, dem sväter eine Scheune folgte
und endlich auch ein Wohn-Blockhaus, während

das erste fortan nur als Stall diente. „Und,
sagt Bröderich mit Necht, das Eefühl der stolzen
Unabhängigkeit, das der Mann empfindet, der
mit wenigen Rubeln in der Tasche ins Land kam
und auf der entholzten Waldfläche in fünf Jahren
einen schönen Hof erstehen ließ, macht einen ganz
anderen Kerl aus ihm, als derjenige ist, den man
in eine fertige Hofstelle setzt — meinetwegen mit
elektrischem Licht und Wasserspülung."

vorm Sturm.

eben reißt mit tausenb Strängen,
Etwas Starkes reißt öagegen.
^ausenß Schmerze mich bedrängen,
Uni övch schießt über tie trägen

)eimkehrträume, kleingeöanken
Etwas Wilöes, Elnfachgroßes
Ghne Wanken, ohne Schwanken,
Nur bereit öes stolzen Stoßes!

nö es zwingt uni macht öoch srei.
venn eln helles, helßes Sehen
Läßt uns schon öurch elnen Nlai
Siegesrelchsten veutschlanö» gehen!

Krgfrw. ?llfred Hrtn.

Wer nun diesen langen Krieg hindurch in
Unterständen und Schützengräben gelebt und
tagaus tagein gegraben, geschanzt und ge-
arbeitet hat, der wird ja für sich selbst an Ent-
behrungen und harter Arbeit für immer gewöhnt
sein, aber — seine Frau? Wird die Frau, die
der Siedelungslustige daheim hat oder nach dem
Kriege heiratet, sich auch für einen kurländischen
Bauern- und Ansiedlerhof eignen?

Schon das bloße halbländliche Wohnen neben
einer deutschen Stadt scheitert oft am Wider-
spruch der Frauen. So traten unlängst in einer
preußischen Provinz von den Kriegsbeschädigten,

! aus der Stadt herausziehen wollten. Anders
denken hierüber allerdings die kinderreichen
Frauen. Dies zeigten dte ergreifenden und
lehrreichen Briefe von etwa 700 Müttern von
7 oder mehr gutgezogenen Kindern, die durch
den unlängst gegründeten Düsseldorfer Verein
Familienwohl eine Ehrengabe von 100 Mark
erhalten hatten. Alle diese Mütter klagten über-
einstimmend über die fast unerträglichen Nöte
des Wohnens und Wohnungssuchens Kinder-
reicher in der Stadt, und sie alle erstrebten oder
erträumten als einzige, wirklich durchgreifende
Abhilfe: das Wohnen auf dem Lande, mit
einem Earten. „Kinderzucht und Viehzucht
gedeihen auf dem Lande!"

Aber auch dte anderen Frauen werden wohl
allmählich umlernen unter den harten Lehren
des Hungerkrieges, wo die Vorteile eigenen
Kartoffel- und Gemüsebaus und eigener Klein-
tierzucht so handgreiflich sind! Dies besonders,
wenn noch eine zielbewußte, zäh geduldige Er-
ziehung hinzutritt, wie sie unlängst auf etner
Bochumer Tagung einer der^erfahrensten Siede-

hinausztehen m'üssen, um zu ernten und „ihr"
Obst im Kinderwagen nach der Stadt zu fahren.
Demnächst kaufen und machen sie ebenso die
„Emte" von Kartoffeln, Rüben oder Kohl auf
geeignet gelegenen und bestellten „Kreisfeldern".
Don diesem ersten Graben und Hacken ist dann
aber nur noch ein Schritt zum Pachten und
Selbstbewirtschaften von Gartenland unter ge-
nossenschaftlicher Förderung und Beratung, die
wiederum der Kreis oermittelt. Und dann entsteht
aus immer neuen Gründen heraus der Wunsch,
„unserem Garten" näher zu wohnen, und so
wird eine wiederum vom Kreis bereit gehaltene,
in der Nähe gelegene Mietswohnung bezogen
und — der Uebergang aufs Land ist fertig!
Dann ist das Selbstankaufen, das erleichtert
wird durch etnen Mietsvertrag mit Kaufanwart-
schaft, nur noch eine Frage der Zeit, und eine
erprobte, die Gewähr des Auehaltens bietende
Draußenwohnerfamilie ist gewonnen.

Wenn aber schon das halbländliche Wohnen
in der Nähe einer deutschen Stadt vielen Frauen
noch so zuwider ist, werden sie sich leider noch
schwerer zu dem oft einsamen und harten kur-
ländilchen Bauemleben entschließen!

Vor der Hand möge jedenfalls der Siede-
lungslustige sich selbst möglichst tüchtig dazu
machen, also sich im Graben, Baumfällen, SSgen
und in jeglicher Zimmermanns- und Bauarbeit
unausgesetzt weiterbilden, denn auf den abge-
legenen, kurländischen Höfen ist natürlich noch
viel mehr als hier auf dem Lande die Art im
Haus, die den Zimmermann ersetzt, von unschätz-
 
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