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Die Wacht im Osten: Feldzeitung der Armee-Abteilung Scheffer — 1916 (Januar - Dezember)

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(Nr. 214-244, Juli 1916)
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https://doi.org/10.11588/diglit.2910#1022
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Di« Wacht im vste«

Nach dem Rücklritt Sasonoffs.

Die poliüsche Persönlichkeit Sasonoffs würde
es an und fiir sich nicht rechtfertigen, von
seinem Rücktritt als einem Ereignis von großer
Tragweite zu reden. Nur die llmstände, unter
denen er ersolgte und die Wahl seines Nach-
folgers können dieser Begebenheit eine hoch-
pontische Bedeutung verleihen. Das Verhalten
Sasonoffs vor Ausbruch des Krieges sprach
mcht dafiir, datz man in ihm einen Kriegs-
stister im eigenllichen Sinne zu sehen hatte.
Er gab fich fiir einen Staatsmann westeuro-
päischer Art. Er wutzte mit Parlamentariern
wie Pressevertretern gute Beziehungen zu
unterhalten und gleichzeitig auf die Umgebung
des Zaren einen angenehmen Eindruck zu
machen. Aber die eigentlichen Kriegshetzer
unterhielten wohl mehr mit Zswolski als mit
ihm Fühling. Er war viel zu sehr darauf
angewiesen, Opportunist zu sein, sich den jewei-
ligen Stimmungen am Hofe anzupassen, als
dätz fie sich auf ihn wie auf den starrsinnigen
Jswolski hätten verlaffen können.

Nach Ausbruch des Krieges fand sich Sasonoff
freilich sehr rasch in der Rolle eines leiden-
schaftlichen Vierverbandspolitikers zurecht und
das Eeschick, mit dem er am Hofe wie in der
Duma die Sache des Vierverbandes jeweils
in günstiger Beleuchtung zu zeigen verstand,
trug ihm bald das Lob der englischen wie
französischen Preffe und Diplomatie ein. Die
Petersburger Preffe lätzt deutlich durchblicken,
datz Sasonoff verschwinden mutzte, weil er
völlig abgewirtschaftet hatte und seine Bered-
samkeit die tatsächliche llnfruchtbarkeit seines
Wirkens nicht mehr zu verschleiern vermochte.

Der Umstand, datz der RLcktritt Sasonoffs
so bald nach dem Wschlutz des neuen russisch-
Mianischen Vertrages erfolgte, lätzt vermuten,
datz man ihm für das Zustandekommen dieses
Werkes am Hofe keinen Dank weih. Jn der
Tat ist der Jnhalt dieses Vertrages für Rutz-
land auch nichts weniger als rühmlich. Iapan
«rlangt durch ihn um einen Spottpreis so
wertvolle Zugeständniffe, als hätte es Ruhland
nach einem zweiten siegreichen Kriege drückende
Verpflichtungen auferlegen können. Ein Staats-
mann schwereren und befferen Kalibers als
Sasonoff würde zweifellos Rutzland bei den
Verhandlungen, die dem Abschlutz des Bünd-
nisoertrages voraufgingen, glimpflicher haben
daoonkommen laffen.

Wenn der Ministerpräsident Stuermer zu-
nächst das Ministerium des Auswärtigen mit
Lbernommen hat, so ist das gewitz nur ein
vorübergehender Zustand. Man darf an-
nehmen, datz am Petersburger Hofe das Ver-
langen besteht, den Platz Sasonoffs durch eine
kraftvolle Persönlichkeit ausgefüllt zu sehen,
die sich ganz der Aufgabe widmen könnte,
den verfahrenen Karren der russischen aus-
wärtigen Politik aus dem Schmutz zu ziehen.
Vielleicht bedeutet also Sasonoffs Rücktritt
ein Zeichen begonnener Selbstbesinnung der
politischen Kreise Ruhlands, die bisher ganz
im Banne englischer und französischer Ein-
flüsterungen standen. Das wird davon ab-
hängen, ob sich der rechte Mann findet, der
am Platze Sasonoffs der verworrenen poli-
tischen Lage Rutzlands Herr zu werden ver-
mag- Ob das der Sache des Friedens förder-
kich sein würde oder nicht, ist wieder eine
andere Frage. Wahrscheinlich ist es freilich
nicht, datz ein russischer Minister des Aus-
wärtigen, der in erster Linie den Jntereffen
feines eigenen Landes zu dienen bestrebt wäre,
«iner rllcksichtslosen Kriegspolitik das Wort
reden würde. _

Eine zeitgemätze Warnung.

Aus eigenartige Weise verquickte letzthin ein
sächflscher Bauer die Wahrung des Znteresies seines
Befitzstandes mit einem Appell an das patriotische
Gewisien seinei Zeitgenossen. Er lietz nämlich an
feiner Wiese folgende Warnungstafel anbringen:
„Wer in die Wiese läust, zertritt Fleifch und Butter
und unterstützt den Feind. Er wird gepfändet und
bestraft, entweder sofort mit ungebrannter Holz-
asche oder durch Anzeige und Butze von 3 M. fürs
Rote Kreuz. Bei Felddiebstahl erfolgi Strafantrag.
Wer Hunde in die Wiese laufen läßt, wird gleich-

falls geahndet. Der Befltzer." Es darf wohl ruhig
angenommen werden, dah die erste Warnung, man
„zertrete Fleisch und Butter" mtt argem Schrecken
erfüllt« und jedermann vor Betreten der Wiese
wett eher zurückhielt als di« Angst vor den 3 M.
Straf«. - > .

Wo Negt der Schwerpunkt der „ak»
gemefnen" Berbandsosfenfive?

Wie die Kriegsberichte lehren, entbehrt die „all-
gemeine" Offensive des Bierverbandes, die als eine
einhettliche Belagerungs- und Berennungslinie gegen
die gesamten Verteidigungsautzenwerke der gewal-
tigen „Festung" der Mtttelmächte gedacht war, noch
immer der Geschlossenhett. Der grohe Angriffskrieg
enthült noch manche Lücken, sei es, dah der Änlauf
noch nicht begonnen hat, wie es in Mazedonien der
Fall ist, sei es, datz er fich verzettelt und mehr auf
die Bindung als auf di« Bedrängung des Eegners
gerichtet ist, wi« wir es zwischen Brenta und Etsch,
m den Dolomtten, an der KärnMer Grenze und
im Küstenlande deutlich wahrnehmen können. Der
Schwerpunkt jener „allaemeinen" Offenfive liegt
durchaus aus dem westlichen Schauplatze. Diefe
unsere Beurteiluna wird oon der Äntwort, die der
englische Oberbefehlshaber, General Douglas Haig,
dem franzöfischen Senator Berenger «rteilt hat,
oollauf bestätigt. „Die gewaltigen Entscheidungen
dieses Krieges liegen," so betonte er, „aus den
Schlachtseldern des Westens. Wir müffen hier
einen Frieden schaffen, der die Kosten lohnt, denn
wir werden viel verausgabt haben."

Zn dieser Überzeugung hat der euglffche Feld-
herr verhäünismähig bald auf den mitzlungenen
Eeneralsturm vom 2V. Juli neue Angriffe folgen
laffen. Am Tage darauf hat er zwar nur einzelne
Teiloorstötze, die von unseren Truppen mühelos ab-
gewiesen wurden, unternommen. Dafür waren
aber seine neuen Ängriffe am 22. Zuli schon wieder
desto stärker. RLcksichtslos wurden Telle oon- elf
englischen Divisionen, von denen mehrere aus an-
deren Frontabschnttten in aller Hast herangeholt
worden waren, in einer Brette von 10 km gegen
die Linie Thiepval—Euillemont vorHttrieben, wäh-
rend es zwischen Euillemont und «r Somme bei
Angrfffsversuchen, die schon im deutschen Sperrfeuer
erstickten, setti Bewenden behielt. Wiederum brachte
der rllcksichtslose Einsatz an Menschen den Eng-
ländertt an jener eigenllichen Brennlinie ungewöhn-
lich schwere Berluste. Zu Nahkämpfen kam es nur
in und bei Pozieres, am Foureauxwäldchen und
am Westrande von Longueval. Neuen Ruhm er-
warben fich dabei die brandenburgffchen Eroberer
der Feste Douaumont, Erenadiere vom Znfanterie-
regttnent Nr. 24 (Neuruppin). 68 Maschinengewehre
sind äutzere Zeugen unserer Abwehrerfolge. Schwäch-
licher als die englischen Anstrengungen blieden die
der Franzosen. Trotz stärkster Feuervorbereitung
rafften sie sich am Sonnabend und Sonntag allen-
falls zu Einzelangriffen auf, die sämtlich mitzlangen
und (vornehmlich bei Soyecourt und Vermando-
villers) schon in unserem Feuer schetterten. Unbe-
schadet der englisch-franzofischen Offensive hat die
Zerbröckelung des Berduner Festungsgebietes süd-
lich Damloup neue Fortschrttte gemacht. Wettere
werden folgen, darauf deutet die Steigerung des
lebhasten Arttlleriefeuers hin.

Zm Osten begnügten sich die Ruffen in den
meisten Abschnitten mit einem mehr passiven als
aktiven Eegendrucke. Nördlich des Pripjet dämpften
ihre schweren Berluste bei Riga und bei Skrobowa
jede Angriffslust. Südlich des Pripjet wiederholten
sie täglich ohne Erfolg jene Entlastunasangriffe bei
Berestetschko (im Naume des oberen Styr und der
oberen Jkwa), mtt denen sie die Bedrohung von
Luzk mittelbar zu lähmen versuchen, während sie
unserem Verbündeten oom Dnjestr bis zur rumäni-
schen Erenze erfolglose Gebirgs- und Tellgefechte
liefetten. _ B. R.

„Manneken Pis- — strettt!

Brüffels ältester Mttbürger, der kleine ungeniett«
„Manneken Pis" stteist! Die Belgier haben, so
schreibt das Svenska Dagbladet, ihre eigene An-
sicht Lber die tiefere Bedeutung dieser Arbetts-
einstellung und sehen darin selbsttedend eine Oppo-
sition gegen die deutsche Verwaltung. Der wahre
Sachverhalt aber ist, datz das Poftament der lleinen
Fontäne sich in sehr schlechter Bersaffung befindet
und reparaturbedürstig ist.

Di« G«d«U» der Neutralen.

Man mutz beinahe staunen über die Findigkett,
die die Engländer entwickeln, um immer neue Be-
lästtaungen des neutralen Handels und verletzende
Willkiirmatzregeln gegen die Schiffahtt und die
damtt zusammenhängenden Eewerbe der neuttalen
Staaten in Anwendung zu bttngen. Noch schweben
die Auseinandersetzungen wegen der Wegnahme
der Bttefpost von den neutralen Schiffen durch die
Engländer, noch sind die zahlreichen Einsprüche der

am Krieoe nicht betelligten Staaten wegen der
willküttiche« Behandlung der Bannwarrnfrog«,
«egen der Berweigerung der Bunkerkohlen nicht
ettedigt, noch wettem die neutralen Zeitungen —
neuestens auch die amettkanischen — gegen die
Unterbindung des völkettechtlich gewährleisteten
freien Handels ihrer Länder mtt Deutschland und
feinen Verbündeten durch die sogenannten „schwar-
zen Listen", und schon fügt England seinen bis-
herigen Eewalttaten zur See neue hinzu. Nach so
oielen anderen Dingen möchte es jetzt Deutschland
auch der — Heringe berauben. Den norwegischen
ringsfischem gegenüber wandte es zu diesem
>ecke das Mtttel an, den ganzen norwegischen
,-fang zu erhöhten Preisen aufzukaufen. Da
di« Engländer aber zu ihrem Tee und Wisky mtt
Soda nicht aut Heringe in endloser Zahl vettllaen
können, die Preise für Hering« daher statt sanken,
machte Zohn Bull ein schlechtes Eeschäst. Den
holländischen Heringsflmg hinderten sie dadurch,
datz fie einfach alle errrichbaren holländischen
Fischereifahrzeuge aufbrachten und in englische
Häfen schleppten. Dieser Heringskrieg scheint tat-
sächlich zum Ausgangspunkt energischer Vorkeh-
rungen der Neütmlen gegen die unetträgliche,
jeden Tag unetträglicher werdende Eewaltpolitik
Englands werden zu sollen. Die Holländer riihren
sich mtt Nachdmck und haben gleich den Schweden
erllätt, datz sie chr Land nicht zu einem zwetteN
Griechenland machen laffen würden. Es kommt
ihnen vielleicht zu statten, datz in den Bereinigten
Staaten von Nordamerika ungefähr zu der gleichen
Zett der Widerstand gegen die „schwarzen Listen"
Englands eine kräfttgere Eeftalt anzunehmen be-
ginnt.

Wir möchten nicht verfehlen, die Neutralen auf
die Wirkung hinzuweisen, die das blotze Eflchetnen
eines gefechtsberetten schwedischen Torpedobootes
auf zwei russische Torpedobootzerstörer ausübte,
die eben im Begriff waren, in den schwedischen
Küstengewäffem oier deutsche Frachtdampfer anzu-
greifen, zu kapem oder zu vemichten. Die beiden
russischen Torpedobootzerstörer nahmen Reitzaus.
Die Verwahrungen der schwedischen Regiemng in
Petersburg gegen frühere Verletzungen der schwe-
dischen Staatshohett und der schwedischen Reutra-
lttät durch mffische SchUe haben, wie der neueste
Vorgang zeigt, nicht das geringste genutzt. Das
schwedische Torpedoboot aber vermochte durch sein
blotzes Erscheinen und seine Drohung, zu schietzen,
die Ruffen zur Veachtung der Nechte Schwedens
zu zwingen. Sollte darin nicht eine beherzigens-
wette Lchre für alle Neutralen liegen?!

Skachtbttd a«s Salonikt.

Eine ziemlich schwermüttg gestimmte Schildemng
der in Salonist .angekommenen Reste des serbischen
Heeres, das, im Eegensatz zu anderen ftanzösischen
Berichten, hier nicht gerade als besonders krast-
oolle Kampstruppe gezeigt wird, findet fich in ei-
nem nächtlichen Stimmungsbild des Salonist-Be-
richterstatters des „Zournal":

„Zn dem dichten Dunkel der Nacht, das das
Lächeln des Mondes noch nicht erbleichen lieh,
herrscht eine emste Stille, die von den Stemen der
Nacht herabzusallen scheint. Die Stadt Saloniki
schläft, das Meer ist tot, kein Segel, kein Schiffs-
mast ist zu erblicken. Es lst eine warme Nacht im
Orient. Plötzlich wird ein Eeräusch hörbar, es ist
wie der dumpfe Lautakkord eines femen Gewäs-
sers. Wir horchen auf und blicken auf die Sttatze.
Zmmer näher kommt der Lärm, immer deutlicher
in semem Trttt erkennbar, und nun wiffen wir, datz
etne Tmppe auf dem Marsch sich nähert, und bald
können wir auch die ersten Männer erblicken. Vor-
an zwei Offiziere zu Pferde, hinter ihnen eine
lange, ftumme Kolonne, ihre Schattengeftatten
schwanken sellsam in der Nacht, als seien es Traum-
figuren einer ttauttgen Legende. Ein Bataillon
nach dem andem zieyt vorbei, Jnfanterie, Kavalle-
rie, dann Einheimische, mü Eepäck beladen, und
schlietzlich ein Trotz von Lastwagen aller Att. Es
ist eine serbische Division, die an die Erenze zieht.
Eewöhnlich singen die Serben, wenn fie marschie-
ren. Jn dieser Nacht aber, unter diesen mtt ge-
sensten Köpsen einherschrettenden Leuten sinat kein
einziger. Sie sind stumm, und nichts ist hörbar
als das Schleifen ihrer Sttesel und Sandalen auf
der Sttatze. Wahrhastig, so sieht eine Armee oon
Geistem aus. Zetzt sollte ich sicherlich eine lang«
Beschreibung folgen laffen Lber die Begeistemng
der geretteten serbischen Armee, ich sollte noch ein-
mal m llangvollen Wotten diese übriggebliebenen
serbischen Tmppen seiem. Doch ich will weniger
legendenreich und poettsch sein und lieber eme
wahre Schildemng geben, di« damm keineswegs
weniger ergreifend ist. Den Blick zu Boden ge-
richtet, schreiten diese Leute einher, niedergedrückt
oon schmerzlicher Erinnemng und dumpferMudigkett,
mechanisch, mtt schlepprnden Fützen, wie Derbrecher,
die zu einem nimmermehr cndenden Weg der Ver-
 
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