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Die Wacht im Osten

Ein Kriegslied in z«»ei Tonarten.

Die brilischen Etaatsmänner fühlen jetzt das
Bediirfnis, ihre überkriegerische Haltung vor
dem Land (und auch ein wenig vor den Neu-
tralen) zu rechtferiigen. Sie versuchen es jeder
auf seine Art: Der Kriegsminister mit falschem
Temperament, der Premier mit echter Tempcra-
mentlofigkeit; Lloyd Eeorge in Dur, Asquith
in Moll. Der Zweck aber ist der gleiche.

Lloyd Eeorge hat die bekannte Demagogen-
neigung zum Übertreiben und die Heftigkeit
dessen, der fürchtet, abtrünnig gescholten zü
werden. Darum zeigte der Heuchler unter der
Weste ein zerrissenes Herz und sprach, was
ebenso bedrohlich wie verheißungsooll klang:
Die Menschenliebe fordere, datz man „bis ans
Ende" kämpfe. Alle Qual dieses Krieges sei
nicht so furchtbar, wie die Folgen eines Frie-
dens, der Deutschland, den Feind der Mensch-
heit, bei Kräften lasse.

Mclleicht war Lloyd Eeorge erstaunt, datz
selbst in England nicht jedermann seiner Ee-
dankenführung voll Ergriffenheit folgte. An-
gesehene Zeitschriften, wie „Manchester Euar-
dian", „Nation" und andere fragten ihn: Ob
denn wirklich nur Deutschland jeder mensch-
lischen Regung unzugänglich sei, und ob ein
offen ausgesprochener Vernichtungswille, weil
England ihn äuhere, von den Völkern des
Erdballs bewundert werde. Die Autzerungen
des führenden deutschen Staatsmannes hätten
doch keineswegs nach eitel Blutdurst und Er-
oberungsgier geklungen.... Nach solchen
Angriffen sagte stch Lloyd Eeorge: datz er bei
Eesahr der Lächerlichkeit nicht umfallen dürfe.
So wiederholte er seine „Erklärung": Veoor
nicht Deutschland am Boden liege, dürfe kein
Jrieden sein.

Asquith, das mutz man zugeben, hat es
schwerer. Wenn man einen Kredit von (nun-
mehr) 64 Milliarden rechtfertigen, die Kriegs-
lage schiidern und auf bestimmte politische
Fragen bestimmte Antworten geben soll, ge-
nügtGrotzspurigkeit nicht. DerMinisterpräsident
muhte den Volksvertretern mitteilen, datz Eng-
land den Bundesgenossen in 16 Wochen 3200
Mill. Mk., in weiteren 10 Wochen 2000 ge-
geben habe. Wüchsen die Ansprüche der Ver-
bündeten und Kolonien so weiter, so werde
man mit den für ein Finanzjahr ihnen zuge-
dachten 9,2 Milliarden Mk. bei weitem nicht
auskommen. Auch erreichen die täglichen Ee-
samtausgaben nicht, wie Asquith sagte, 5, son-
dern, nach der Berechnung des englischen „Eco-
nomift" in einer der letzten Wochen fast 6'/-
Mill. Pfd. Was fich, schlietzlich, von den
Kriegsschauplätzen erzählen läht, ist grötzten-
t«ls Wunsch und Hoffnung: so die eigenartige
Versicherung, Sarrails Offensioe habe das
,Liel , ihre Tätigkeit mit der der russischen
Truppen in Rumänien zu vereinigen. . . .

Einer Leichenrede vollends gleichen die
Worte, die Asquith den kleinen Bundesgenossen
widmet. Das „Pslichtbewutztsein," mit dem
fie untergingen oder unterzugehen im Begriffe
sind, wird gebührend hervorgehoben: nicht
ohne eine grimmig zärtliche Einladung an
Griechenland —.

Eleichwohl aber: Ein Friede, der heute zu-
stande käme, wäre mangelhaft, morsch, ein
„zusammengeslickter, entehrerrder Ausgleich".
Eo spricht die energische Schwäche, die von
jeher der Ton dieses Ministerpräfidenten war.
Er gibt den „Druck" der Kriegslage zu, wie
nicht minder die „Schwierigkeiten," die Eng-
land den Neutralen aufzuerlegen leider ge-
nötigt sei. Und da er dies zugeben muh, bleibt
ihm die Wahl zwischen dem weiteren Zuge-
ständnis eines verstärkten Friedensbedürfniffes,
oder — dem Anschein grimmiger llnbeirrhar-
keit. Er wählte das Letzte.

Der kühle Herr Asquith ist ficher gescheit
genug, um zu wiffen, datz selbst ein, im Sinne
unserer Eegner, „befteites" Europa nichts
weniger als ein Paradies des Friedens wäre.
Rechnen doch russische Eenerale schou heute
aus, datz Rutzland in 10—20 Jahren 40 Mill.
Soldaten brauchen und haben werde. Dies
weih auch Asquith. — Aber er hat fich sest-
gelegt!-- B. R.

Anf der Berfolgung der Rumänen.

Das Zentrum der rumänischen Nordarmee, das
bisher im oderen Tale der Maros, m, Eyergyo-
Becken, harMäckigen Widerstand leistet, hat dem
umsaffenden Angriff der Armee Arz nicht zu wider-
stehen vermocht und weicht zurück. In der Flanke
bedroht, hat auch der rechte Flügel, im Raume
des Kelemengebirgs, seinen Rückzug begonnen, eine
Bewegung, die auch auf di« rumänischen Etreit-
kräste, die an der Dreiländerecke, in der Eegend
von Dornawatra, die FLHlung mit der ruffischen
Karpathenarmee des Eenerals Leschitzki aufrecht
erhalten, nicht ohne Nachwirkung bleiben kann.
Auf der ganzen Ostftont in Siebenbürgen dauert
diese Mckwärtsbewegung des Feindes an. Denn
auch das Tal der oberen Alt ist bereits dem linken
Flügel der Nordarmee entriffen worden. Eänzlich
aus Siebenbürgen oertrieben ist die 2. Armee.
Sie hat oorläufig in den Erenzstellungen Aufnahme
gefunden. Jhr Weg ist nnt Munition und Eewehren
wie besät. Jn den letzten beiden Tagen hat sie 18
Offiziere, 639 Mann, 1 Eeschütz und 5 Maschinen-
gewehre in den HLnden ihrer Verfolger gelaffen.
Was die Rumänen an Eeschützen oerlieren, wird
zur Berstärkung der Artillcrie der Bulgaren ver-
wendet, die uMer Mackensen an der Donau und
in der Dobrudscha den Eegner in Schach halten.
llnweit der Erenzlinie, die Falkenhayns Armee
südlich von Kronstadt erreicht hat, liegt hinter einem
Eisenbahntunnel von 857 m Länge der rumänische
Grenzort Predeal, 15 km wetter Sinaja mit dem
Königsschloffe Peiesch. Von Predeal erstreckt sich
das Eebirge noch 60 km weit bis zur walachischen
Tiefebene. Ebenso weit entfernt lieqen geraden
Weges am SLdrande des Gebirges die bekanitten
Petroleumquellen bei Plojeschtt, Tergooiste und an
anderen Orten. Von Predeal bis nach Bukareft
find nur 125 km (Lustlinie) zurückzulegen! Um die
rumänischen Mihersolge möglichst vollständig zu
machen, find auch an der Südwestgrenze Sieben-
bürgens rumänische Angriffe auf die Höhen zu
beiden Seiten des Vulkanpaffes gescheitcrt. Sechs
Wochen dauert erst Rumäniens Tellnahme an dem
Weltkriege, und schon find seine Armeen überall
da, wo sie auf den Plan traten, geschlagen. Auf
175000 Mann veranschlagt das kaiserliche und
königliche Kttegspreffequartier die Verluste des
Feindes, das ist mehr, als ein Heer von 4—500000
und ein Volk von 7'/- Mill. «ttragen kann.

Fli-gerüberfall a«f SSddeutschland.

Der im heutigen Heeresbettcht erwähnte feind-
liche Geschwaderflug Lber Süddeutschland ist nach
vervollständigten amüichen Feststellungen folgender-
mahen vettaufen: Am 12.10. zwischen 3 und 5 Uhr
nachmittags sttehen mehrere feindliche Flugzeugae-
schwader, im ganzen 40 bis 50 Flugzeuge, m unser
jüddeutsches Heimatsgebiet vor. Die auf Donau-
eschingen, Mmenshosen, Lfingen, Efchweller bei Reu-
stadt, Haslach im Kinzigtal und Rottwell abgewor-
fenen Bomben richteten keinerlei mllttättschen Sach-
jchaden an. Sie beschädigten in gettngem llmsange
privates Eigentum, vettetzten einige Ziollpersonen
leicht. Zn Tübingen fiel I Bombe aus ein Reserve-
lazarett, wobei 2 Kinder in einem benachbarten
Karten erjchlagen wurden. Außer den Kindern
fielen dem Angriff in Tübingen und Oberndorf zu-
jammen noch 7 Personen zum Opfer. Die Zahl
der Verletzten bekägt im ganzen 26. Von den
angreifenden Flugzeugen find 9, darunter 1 eng-
lisches, durch unsere Flieger und Abwehrfeuer zum
Absturz gebracht wordcn. Der Feind hat michin
bei seinem erneuten Angttff auf friedliche deutsche
Ortschasten seinen milttättsch belanglosen Erfolg mtt
einem recht empfindlichen eigenen Vettust bezahlen
müffen. _ WTB.

Ar»s den Kindertagen der K.-R.-A.

Staats- und Kttegsminister Wild von Hohenborn
hat die „Kttegs-Rohstoff-Abtellung" eine „unent-
behttiche Einttchtung für die Heeresoerwaltung"
genannt. Dah dieses eben erst 2jähttge Kind heute
als etwas ganz Ausgewachsenes neben dem Kttegs-
minifterium und dem Eisenbahnministettum steht,
verdankt es seinem Vater Wallher Rathenau, der
soeben mtt Eenehmigung des preuhischen Kttegs-
minffteriums ein Buch „Deutschlands Rohstoffver-
sorgung" (s. Fischer, Vettag, Berlin) veröffenllicht.
Als Rathenau am Sonntag vormtttag des 9. August
1914 von Herrn v. Falkenhayn empfangen wurde,
ahnte er wohl selbst nicht, mü welch Riesenschrttten
sein Plan wachjen wiirde, wie oon ihm erften und
letzten Endes die Durchführung eines längeren
Ktteges für Deutschland, das plötzlich eine oon
allen Seiten belagette Festung zu sein schien, ob-
hing. Mit 4 Zimmern im Kttegsministettum fing
man an: „vor meinem Fenster brettete ein wunder-
voller Ahorn seine Äste aus und überschüttete das
Dach", wird Rathenau in der Ettnnerung lyttsch.
Heute hat die Abtellung eine ganze Stragenfront

in der vettängetten Hedemannstrahe. Zuerst 5
MSnner an der Arbett, heute sind es längst wett
Lber 500 im Hause, drauhen oiele Tausende von
Angestellten der einzelnen Rohstoffgesellschaften und
ihrer Zweiganstalten. Heute ist man zu der Er-
keimtnis gekommen, dah die Rohstoffabtellung auch
im Ftteden wetterbestehen muh als Kern eines
wittschastlichen Eeneralstabes. Rathenau schlägt
hierfür den Namen „Kttegswittschafts-Abtellung"
vor. Der Kreis der Rohstoffe, die zwangsläufig
werden muhten, erschien anfangs klein. Bald aber
stellte es sich heraus, dah „solche Stoffe, die der
Landesverteidigung dienen und die nicht dauernd
oder ausreichend im Inlande gewonnen werden
können" — dies ist die amüiche Erllärung — mehr
und mehr eigenem Willen und eigener Willkür
entzogen werden muhten. Ein reichliches Hundett
von Stoffen war es schliehlich, das geschaffen
werden muhte: durch Beschlagnahme, durch Fabtt-
kation in neu zu bauenden Fabriken, durch Ersatz-
inittel. Das gewalttge Unternehmen gelang in ein
paar Monaten, die deutsche Industtte war auf den
Ktteg umgestellt. Am 1. Apttl 1915 konnte Rathe-
nau die Abteilung dem Kttegsministerium als ein-
gearbeitetes, fettiges Werk abgeben und von seinem
Ehrenamt zurücktteten. Sein Nachfolger ist Major
Koeth geworden, der die Organisation weiter aus-
baute, behördlich oervollkommnete.

Die Zeichnungsergebnisse.

Nach den letzten vorliegenden genaueren An-
gaben der Zeichnungs- und Vermittlungsstellen
hat sich das Eesamtergebnis der 5. Kriegsan-
leche auf 10651726200 Mk. erhöht, in welcher
Summe jedoch die Feldzeichnungen und tlber-
seezeichnungen noch nicht voll enthalten sind,
so dah noch ein weiteres Anwachsen zu er-
warten ist. Von den Zeichnungen entfallen auf
Reichsanleihestücke 7 397,7 Mill.

Schuldbucheintragungen 2180,8 „

Reichsschatzanweisungen 1073,2 „

Zusammen 10 651,7 „

Bei den einzelnen Zeichnungs- und Vermitte-
lungsstellen wurden folgende Beträge gezeichnet:
Bei der Reichsbank und ihren

Zweiganstalten 684,9 Mill.

Bei den Banken und Bankiers 6 081,5 „

Bei den Sparkaffen 2 567,5 „

Vei den Lebensverficherungs-

gesellschaften 337,4 „

BeidenKreditgenoffenschaften 846,6 „

Vei den Postanstalten 133,8 „

Zusammen 10 651,7 „

_ WTB.

Laubenkolonie und Kriegsbalkon.

Es muh Abschied genommen werden, von der
Laubenkolonie und von derhäuslichen Laubenkolonie,
dem Kttegsbalkon. Der nahende Winter will es.
Er schickt oen Herbst zum arohen Sturmangttff oor.
Wette Blätter wirbeln, schon stehen Blumen »nd
Sttäucher in ftierender Nackthett da.

Berlin ist durch den Krieg eine grohe Eemeinde
von Eärtnern geworden. Zwar auch schon im Ftte-
den kam man nie ohne Erün aus. Man spielte
aern zwischen Schöneberg und Wllmersdorf und
Schmargendorf den lleinen Erohgrundbesitzer, man
baute seinen eigenen Kohl — der böse Nachbar
ftellich behauptete, dah hier mehr „Kohl gequasselt"
würde —, seine eigenen Kattoffeln drauhen bei
Treptow, wobei man so gar ketnen Wett auf die
Erühe legte. Man genoh die Sonntagnachmittage
mtt Hacken, Iäten, Misten, Weihbierllppen, Ernten.
Dösen, Erammophon-Zuhören. Man ging im Ftte-
den auf, bläulich umwöltt von der Sonntagszigarre.
Früher. In den beiden letzten Iahren waren es
auher den Frauen und Kindern. die jede fteie Stunde
der ländlichen Arbett widmeten, Erohoäter und
jüngere D-ll-Väter, biswellen auch Söhne und
Vettern in Feldgrau, die es fich nicht nehmen liehen,
chre praktischen KennMiffe vom monatelangen Schan-
zen und Schippen her der geliebten Fainilie zum
Nutzen des Erderttages leibhastig vorzuführen.
„Eraben ist eia adelig Eeschäft", um mtt Ettllparzer
zu sprechen. Die Kttegsnöte der Küche konnte auch
die lleinste Laubenkolonie angenehm mlldern, in
einer Zeit, da auch das Kleinste ein Grohes ist.

Nun hat man die Ernte längst hinter sich. Was
man sttiher festlich mtt Lampions, Papiergirlanden,
Kinderreigen, Tanz zur Knautschkommode und zum
Mundhobel, mtt ciner Bole beging, ettedigte sich
dieses Jahr in voller Stille lediglich aus dcm Be-
wuhtsein heraus: „Wer hat, hat!" Zwischen den
umgegrabenen Schollen, die noch vor zwei Iahren
ödes Bauland waren, welken die Astern.
 
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