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war die Aufgabe, die ortygischen Mysterien zu feiern und die Rolle der dämonischen Kureten bei
der jährlichen Wiederholung des Geburtsdramas zu spielen, dessen Regie nunmehr offenbar der
Prytane jeweils übernahm. Damit hatte man der Artemis die schuldige Reverenz erwiesen und
gleichzeitig einen wichtigen Teil ihres Kultes „in die Stadt geholt“, während das Artemision, auf
den gerechten Status quo ante reduziert, im übrigen jedoch ungeschmälert, außerhalb ihrer
Mauern seine Sonderexistenz lebte. Die enge Verbindung der nunmehr im Prytaneion „beheimate-
ten“ Kureten47 mit dem kultischen Zentrum der Stadt machte diese naturgemäß auch zu Helfern
des Prytanen bei der Durchführung der zahlreichen Opferhandlungen, deren Umfang in demselben
Maße zunahm, in dem im Laufe des 2. Jh.s zum Kult Hestias und des heiligen Feuers noch weitere
Prytaneionkulte hinzukamen48. Aufschlußreich ist hierfür ein in seiner vorliegenden Form etwa
aus dem letzten Viertel des 2. Jh.s stammendes, im großen und ganzen aber wohl um einige Gene-
rationen älteres Opfergesetz (D 1), das in zwei Kapiteln — der Text war sicherlich wesentlich
länger — über die Aufgaben des Prytanen berichtet. Der mit einer Reihe von bisher unbekannten
Fachausdrücken des Opferwesens bekannt machende und uns die wichtige Rolle der Kult-
diener als direkte „Opferassistenten“ des Prytanen vorführende Text unterscheidet im einzelnen,
doch ohne genauere oder detailliertere Angaben Rauch- und Tieropfer, παιανες anläßlich gleich-
falls nicht näher bezeichneter -θ-υσίαί, ferner πομπαί und παννυχίδες und schließlich Gebete für
das Wohlergehen des römischen Volkes, Senates und des Demos der Ephesier49. Alles in allem
gewährt die Inschrift einen interessanten Einblick in die vielfältigen kultischen Agenden des
Prytanen, als dessen unmittelbare Helfer die Kultdiener der Kureten erscheinen, während die
Rolle der Kureten selbst durch den Abbruch des Textes leider unklar bleibt; wir dürfen annehmen,
daß sie gleichsam den „Stab“ des jeweiligen Prytanen gebildet haben und neben ihrer Funktion
in Ortygia auch in hervorragendem Maße am kultischen Geschehen in der Stadt beteiligt waren.
Die Zusammensetzung des Kultdienerapparates in D 1 zeigt50, daß wir damit auf dem Höhepunkt
einer Entwicklung stehen, die im beginnenden 3. Jh. ein rasches Ende gefunden hat, als die Kureten
vor dem Hintergrund tiefgreifender und vielfältig miteinander verflochtener geistiger und mate-
rieller Umwälzungen von der Bühne des Prytaneions abgetreten sind51. Davor aber liegen zwei
Jahrhunderte einer glanzvollen Zeit, in der die Kureten als angesehener Kultverein weitgehend
das kultische und gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmt haben.
1. Der Kultdienerapparat als Spiegel der Entwicklung des kaiserzeitlichen Kuretenkollegiums
Wichtigste Voraussetzung für eine Darstellung der Entwicklung des Kuretensynedrions in den
ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit — wobei diese Epoche nach oben und unten nicht
genau eingrenzbar ist — ist eine chronologische Reihung der kuretischen Jahreslisten dieses Zeit-
raumes (Typus „B“). Hierfür bieten sich, da nur zwei Listen52 durch die Prytanen datierbar sind,
die den Kuretenverzeichnissen beigefügten Kultdienerkataloge an, deren funktionelle und per-
sonelle Zusammensetzung eine über mehrere Stufen verlaufene Progression deutlich werden läßt.
Das nächstliegende Ziel muß also sein, an Hand zweier Hauptkriterien, nämlich der funktionellen
und personellen Fluktuation, zu einer möglichst befriedigenden Reihung zu gelangen, die zunächst
nur eine relativ-chronologische sein kann; erst ein weiterer Schritt wird dann sein, diese relativ-
chronologische Reihung an die zur Verfügung stehenden absolut-chronologischen Fixpunkte
47 Vgl. S. 96ff.
48 Vgl. S. 101 ff.
49 Das Fehlen einer entsprechenden Formel für die Divi Imperatores und den lebenden Kaiser zeigt, daß
der Kaiserkult nicht im Prytaneion, sondern vielmehr in den Kaisertempeln der Stadt und in den Kaisersälen
ihrer Gymnasien beheimatet gewesen ist; zum Kaiserkult in Asien vgl. J. Deininger, Die Provinziallandtage
der römischen Kaiserzeit, Vestigia 6, 1965 S. 36ff.
50 Vgl. S. 88, Anm. 129.
51 Vgl. S. 91 f.
62 B 12 und B 21, vgl. S. 93.
 
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