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vni. ANHANG

1. Die Aufzeichnung der Kuretenlisten und sonstigen Prytaneioninschriften
Möchte man zunächst vermuten, daß das örtliche Verhältnis der Kuretenlisten zueinander
auf den Architekturteilen des Prytaneions ihrer zeitlichen Abfolge entspricht, so zeigt die Aus-
wertung des Materials und die daraus resultierende relative Chronologie, daß diese Annahme nicht
zutrifft. Man hat, um es vorwegzunehmen, dort geschrieben, wo sich ein geeigneter Platz zu bieten
schien, wobei man mit den Säulen der dorischen Vorhalle des Hestiasaales begonnen hat, auf denen
sich die ältesten Listen finden. Die Beschriftung begann offenbar bereits, als der Bau noch nicht
ganz fertig und die mächtigen Säulen noch unkanneliert waren. Sie sind es — wohl zum Zwecke
der Aufnahme von Inschriften — geblieben, obwohl, wie der kannelierte Säulenansatz des einzigen
erhaltenen Kapitells zeigt, die Absicht sie glatt zu lassen, ursprünglich nicht bestanden hat.
Als der Platz allmählich knapp zu werden begann — so nehmen die Listen des 1. Jh.s (Grup-
pen B 1 und B II) infolge ihrer großen Buchstabenhöhen, Zeilenabstände und Zeilenbreite relativ
viel Raum ein —, zog man auch die übrigen Bauglieder, wie Architrav, Metopen und sogar die durch
ihre Kurvatur zu Beschriftung wenig geeigneten Kapitelle225, heran und wich in den freien oder
besser in den noch freien Raum auf den Säulen rechts und links bereits bestehender, älterer In-
schriften aus. Man schrieb jetzt (kleiner) so, daß die Listen zwar schmäler, dafür aber wesentlich
länger sind, letzteres natürlich auch infolge der Zunahme des Kultpersonales oder längerer Namens-
formulare226. Allerdings hat man es bewußt vermieden, die Säulen gänzlich zu füllen, sei es um
Raum für etwaige andere öffentlich aufgezeichnete Urkunden zu reservieren, sei es aus ästhetischen
Gründen. Dies beweisen freigebliebene Flächen ebenso wie eine bereits ins 5. Jh. gehörige In-
schrift, die wohl erst geschrieben worden ist, als die Säulen bereits zu Baugliedern der Scholastikia-
therme geworden waren, womit ab dem 3. Viertel des 4. Jh.s n. Chr. zu rechnen ist227. Statt
dessen zog man auch die Rückwand der dorischen Vorhalle228 sowie (die Wandverkleidungs-)
platten229 des Hestiasaales und eigens zur Aufnahme von Kuretenlisten angefertigte Stelen230
heran, um zwischendurch gelegentlich immer wieder auf die Säulen zurückzugreifen, vor allem in
der spätesten Zeit des beginnenden 3. Jh.s, als man offenbar kein Geld mehr hatte, eigene teure
Inschriftenträger zu bezahlen231.
Was die heutige Situation der Kureteninschriften betrifft, so befindet sich der Großteil der
Kuretenlisten und Prytanendanksagungstexte232 auf der im Jahre 1961 errichteten Architektur-

225 Metope: B 30; Kapitell: B 52; Architrav: BIO, eine an auffällig bevorzugtem Platz angebrachte
Kuretenliste mit enormen Buchstabenhöhen. Es war offenkundig nicht gleichgültig, wo man als Prytane „seine“
Liste placierte.
226 Ein besonders typisches Beispiel ist B 40.
227 Vgl. Miltner a. S. 105, Anm. 223 a. O., und Knibbe, ÖJh 49, 1968—1971, Sp. 5f.
228 Vgl. B 13, B 18, B 22, B 23, B 24, B 51, vgl. S. 189 Beilage II.
229 Vgl. B 17, B 19, B 25, B 41, B 43, B 44, D 3, E 1; ob es sich in allen Fällen um Wandverkleidungs-
platten handelt, bleibt dahingestellt, vgl. Miltner a. S. 105, Anm. 223, a. O. Sp. 366.
230 Vg| ß 26, B 54, D 1 (ursprünglich wohl aus dem Prytaneion).
231 Vgl. S. 91.
232 Vgl. S. 91 und 104f.
 
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