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1 Einführung

Problemlösen könnte so einfach sein: Nimm den gegebenen Ausgangszustand, lege
den gewünschten Zielzustand fest und finde die Operatoren, die den Ausgangs- in
den Zielzustand überführen. Wo ist also das Problem? Tatsächlich haben alle drei
erwähnten Elemente (Ausgangszustand, Zielzustand, Operatoren) ihre Tücken
und machen Probleme zu dem, was sie sind.

Der Ausgangszustand: Nur in den seltensten Fällen ist der Ausgangszustand eng
umgrenzt beschreibbar - eben nur in den Fällen geschlossener Probleme, bei denen
alles gut überschaubar ist.

Beispiel (Bsp): Wie kann man die Additionsaufgabe SEND+MORE=MONEY so auflösen,
dass jedem Buchstaben eine Zahl korrespondiert (als Starthilfe: E=5), sodass die zwei
vierstelligen Zahlen summiert eine fünfstellige Zahl ergeben?1

Überschaubar ist dieser Ausgangszustand, weil den 8 vorkommenden Buchstaben
genau 8 Ziffern aus dem Gesamtrepertoire aller 10 Ziffern zugeordnet werden
müssen und zudem die Zuordnung so gestaltet sein muss, dass eine sinnvolle
Addition erfolgt. Kleine, überschaubare und abgeschlossene Ausgangszustände
wie diese sog. »kryptarithmetische« Aufgabe kommen leider nur selten vor (meist
in denkpsychologischen Eaboratorien), komplexe Probleme sind dagegen durch
offene Ausgangszustände gekennzeichnet.

Bsp: Wie will man den Ausgangszustand beschreiben, der durch das Ereignis des 11.
September 2001 - den fürchterlichen Terroranschlag auf das World Trade Center in
New York - charakterisiert ist und ein Problem nicht nur für die unmittelbar Be-
troffenen darstellte? Wo kann man eine Grenze ziehen, die diesen Ausgangszustand
hinreichend kennzeichnet? Wie weit muss man ausholen, wie weit in die Geschichte
zurückgehen?

Das Problem des Ausgangszustands ist eng verwandt mit der Frage, welche Vor-
aussetzungen in einer gegebenen Situation stillschweigend als erfüllt angesehen
werden dürfen - ein enormes Problem für jede Art von künstlicher Intelligenz,
deren Weltwissen meist extrem beschränkt ist. Searle (1992, Chap. 8) gibt für
dieses Problem des Ausgangszustands (er nennt es »the Background«) als Beispiel
die Situation eines Kunden in einem Restaurant an, der beim Kellner ein »Steak mit
Fritten« bestellt. Was mit diesen drei Worten an impliziten Voraussetzungen ver-
bunden ist, macht man sich selten klar; ein paar verborgene Annahmen sollen zur
Illustration genannt sein: In der Küche wird eine des Bratens von Fleisch kundige
Person erwartet; beim Steak handelt es sich um eine vorbehandelte Form von
Fleisch; es wird eine handelsübliche Portion und nicht zwei Kilogramm gebracht;
die Fritten kommen gebraten und nicht tiefgefroren; der Plural bei »Fritten«
bedeutet: durchaus mehr als zwei, aber sicher nicht 10.000; das Essen wird in
vertretbarer Zeit auf einem Teller an den Tisch gebracht und nicht hingeworfen
zum Verzehr mit der bloßen Hand; das Gericht darf vom Gast verspeist und nicht
nur angeschaut werden; während des Essens kann der Gast ungestört an einem
Tisch sitzen und muss das Steak nicht auf der Toilette im Stehen essen usw. Dies ist
nur ein Bruchteil all dessen, was wir an »Weltwissen« in Situationen hineintragen -
was alles gehört davon zum Ausgangszustand eines Problems?

1 Weitere Anregung zum Nachdenken: M muss wegen des Übertrags schon mal 1 sein;
wenn M + S und ein eventueller Übertrag 0 ergibt, muss S 8 oder 9 betragen; usw.

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