1 Einführung
Das Problem des undeutlichen Ausgangszustands macht der Forschung zur Künst-
lichen Intelligenz (KI) schwer zu schaffen: »Verstehende Systeme« verfügen bis
heute nicht über die Fähigkeit, das in einem bestimmten Kontext benötigte Welt-
wissen passend abzurufen. Allenfalls bei überschaubaren, geschlossenen Prob-
lemräumen wie z. B. Terminverhandlungen oder Hotelzimmer-Reservierungen
(vgl. Wahlster, 2000) können Kl-Systeme mit menschlichen Systemen konkurrieren
(und auch das nur auf der Ebene abstrakter Informationen - ob das reservierte
Zimmer »schön« ist oder im Winter über eine herrliche Aussicht verfügt, gehört
schon nicht mehr dazu).
Der Zielzustand: Hier verschärft sich das eben beschriebene Problem nochmals
- wenn schon der Ausgangszustand keine »scharfen Ränder« hat, wie kann dann
ein präziser Zielzustand beschrieben werden? Allenfalls auf einer abstrakten Be-
schreibungsebene können amerikanische Truppen etwa die Zielvorgabe »Fangt
Osama bin Laden!« erhalten. Auch wenn dieses Ziel noch vergleichsweise konkret
erscheinen mag, ist das wichtigere Ziel »Bekämpft den internationalen Terroris-
mus!« derartig unscharf beschrieben, dass man binnen kurzem darüber in Streit
geraten kann, ob etwa die Beschränkung grundgesetzlicher Garantien dafür in
Kauf genommen werden muss.
Damit befinden wir uns schon mitten in einer Diskussion über die Mittel (die
Operatoren), die zum Erreichen eines Ziels verwendet werden sollen. Mittel und
Ziele hängen wechselseitig voneinander ab: Hat man bestimmte Mittel zur Verfü-
gung, sind bestimmte Ziele leichter denkbar (zur Bestimmung des Blutdrucks
brauche ich ein entsprechendes Messgerät - solange es dieses noch nicht gab,
war das Ziel Blutdruckmessung unsinnig), umgekehrt geht man von Zielen aus
und sucht nach passenden Mitteln (Wie kann eine Strahlentherapie bei Krebs so
durchgeführt werden, dass gesundes Gewebe nicht geschädigt wird?).
Sowohl bei Mitteln als auch bei Zielen spielen Werte eine wichtige Rolle, und
nicht jeder folgt dem Satz, wonach der Zweck die Mittel heilige. Ob der Bomben-
einsatz in Afghanistan dadurch gerechtfertigt wird, dass er gegen einen menschen-
verachtenden Feind eingesetzt wird, ist eine moralische Frage - auch ein Tyrannen-
mord bleibt ein Mord. Für übergeordnete Ziele (»Ideologien«) haben in der
Geschichte der Menschheit viele ihr Leben lassen müssen, ohne dass die Welt
dadurch besser geworden wäre. Das Gegenstück zu den Zielfanatikern, die zur
Erreichung ihres Ziels jedes Mittel einsetzen würden, sind die Mittelfetischisten,
die ein einziges Instrumentarium für unterschiedlichste Ziele empfehlen (Beispiel:
Irisdiagnostik als alleiniges Instrument zur Zustandsbestimmung aller Körperor-
gane und -Systeme).
Bei komplexen Problemen - so werden wir später hören - spricht Dörner von
einer »dialektischen Barriere« zwischen Ausgangs- und Zielzustand, um den
Entwicklungsprozess zu benennen, der Ziele und Mittel aufeinander abstimmt:
Mit bestimmten Mitteln werden einzelne Ziele überhaupt erst erreichbar, umge-
kehrt wird erst durch bestimmte Ziele die Suche nach entsprechenden Mitteln
angestoßen. Dialektische Barrieren erfordern in besonderer Weise eine Bewer-
tungsfunktion, anhand derer die Zielnähe bestimmt werden kann. Hussy (1983)
nimmt hierfür sogar eine separate Komponente in sein Struktur- und Prozess-
modell der Informationsverarbeitung (SPIV-Modell) auf, die er »evaluative Struk-
tur« nennt.
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Das Problem des undeutlichen Ausgangszustands macht der Forschung zur Künst-
lichen Intelligenz (KI) schwer zu schaffen: »Verstehende Systeme« verfügen bis
heute nicht über die Fähigkeit, das in einem bestimmten Kontext benötigte Welt-
wissen passend abzurufen. Allenfalls bei überschaubaren, geschlossenen Prob-
lemräumen wie z. B. Terminverhandlungen oder Hotelzimmer-Reservierungen
(vgl. Wahlster, 2000) können Kl-Systeme mit menschlichen Systemen konkurrieren
(und auch das nur auf der Ebene abstrakter Informationen - ob das reservierte
Zimmer »schön« ist oder im Winter über eine herrliche Aussicht verfügt, gehört
schon nicht mehr dazu).
Der Zielzustand: Hier verschärft sich das eben beschriebene Problem nochmals
- wenn schon der Ausgangszustand keine »scharfen Ränder« hat, wie kann dann
ein präziser Zielzustand beschrieben werden? Allenfalls auf einer abstrakten Be-
schreibungsebene können amerikanische Truppen etwa die Zielvorgabe »Fangt
Osama bin Laden!« erhalten. Auch wenn dieses Ziel noch vergleichsweise konkret
erscheinen mag, ist das wichtigere Ziel »Bekämpft den internationalen Terroris-
mus!« derartig unscharf beschrieben, dass man binnen kurzem darüber in Streit
geraten kann, ob etwa die Beschränkung grundgesetzlicher Garantien dafür in
Kauf genommen werden muss.
Damit befinden wir uns schon mitten in einer Diskussion über die Mittel (die
Operatoren), die zum Erreichen eines Ziels verwendet werden sollen. Mittel und
Ziele hängen wechselseitig voneinander ab: Hat man bestimmte Mittel zur Verfü-
gung, sind bestimmte Ziele leichter denkbar (zur Bestimmung des Blutdrucks
brauche ich ein entsprechendes Messgerät - solange es dieses noch nicht gab,
war das Ziel Blutdruckmessung unsinnig), umgekehrt geht man von Zielen aus
und sucht nach passenden Mitteln (Wie kann eine Strahlentherapie bei Krebs so
durchgeführt werden, dass gesundes Gewebe nicht geschädigt wird?).
Sowohl bei Mitteln als auch bei Zielen spielen Werte eine wichtige Rolle, und
nicht jeder folgt dem Satz, wonach der Zweck die Mittel heilige. Ob der Bomben-
einsatz in Afghanistan dadurch gerechtfertigt wird, dass er gegen einen menschen-
verachtenden Feind eingesetzt wird, ist eine moralische Frage - auch ein Tyrannen-
mord bleibt ein Mord. Für übergeordnete Ziele (»Ideologien«) haben in der
Geschichte der Menschheit viele ihr Leben lassen müssen, ohne dass die Welt
dadurch besser geworden wäre. Das Gegenstück zu den Zielfanatikern, die zur
Erreichung ihres Ziels jedes Mittel einsetzen würden, sind die Mittelfetischisten,
die ein einziges Instrumentarium für unterschiedlichste Ziele empfehlen (Beispiel:
Irisdiagnostik als alleiniges Instrument zur Zustandsbestimmung aller Körperor-
gane und -Systeme).
Bei komplexen Problemen - so werden wir später hören - spricht Dörner von
einer »dialektischen Barriere« zwischen Ausgangs- und Zielzustand, um den
Entwicklungsprozess zu benennen, der Ziele und Mittel aufeinander abstimmt:
Mit bestimmten Mitteln werden einzelne Ziele überhaupt erst erreichbar, umge-
kehrt wird erst durch bestimmte Ziele die Suche nach entsprechenden Mitteln
angestoßen. Dialektische Barrieren erfordern in besonderer Weise eine Bewer-
tungsfunktion, anhand derer die Zielnähe bestimmt werden kann. Hussy (1983)
nimmt hierfür sogar eine separate Komponente in sein Struktur- und Prozess-
modell der Informationsverarbeitung (SPIV-Modell) auf, die er »evaluative Struk-
tur« nennt.
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