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5.2 Szenarios auf der Basis formaler Modelle

ner, 1987; Thalmaier, 1979). Die semantische Einkleidung wird dabei im Interesse
einer präziseren Gestaltung der Aufgabenumgebung (task environment) der for-
malen Struktur nachgeordnet. Insofern ähnelt dieses Vorgehen durchaus demjeni-
gen, was bei einfachen Problemen gemacht wird.

Konkret bedeutet dies für die Systemkonstruktion: Zunächst wird eine formale
Struktur festgelegt, für die dann im nächsten Schritt eine passende Semantik
gesucht wird (oder auch nicht: In diesem Ansatz wird den Versuchspersonen
oftmals die Künstlichkeit des zu explorierenden Systems explizit mitgeteilt). Im
Fall der bereits oben beschriebenen Forschung mit realitätsnahen Szenarios ist der
Weg genau umgekehrt: Zunächst wird ein möglichst interessanter Realitätsbereich
ausgewählt, dem dann später eine formale Modellierung unterlegt wird. Diese
versucht, die wichtigen Eigenschaften des Realitätsbereichs abzubilden, was aber
keinesfalls immer gut gelingt - tatsächlich wurden artifizielle Systeme (Pro-
gramme) geschaffen, die unter dem Deckmantel der Realitätsnähe kuriose Ergeb-
nisse produzierten. So ist es etwa beim ursprünglichen Schneiderwerkstatt -
Szenario möglich, durch einen exorbitanten Einsatz von Lieferwagen, an den der
Programmierer wohl nicht gedacht hatte, die Nachfrage exorbitant zu steigern.
Solche »Fehler« bei der Abbildung eines Realitätsbereichs können beim formalen
Ansatz nicht auftreten.

Aus heutiger Sicht haben sich zwei Formalismen bewährt, die zwei der wichtig-
sten Anforderungsdimensionen eines komplexen Problems (Vernetztheit und Dy-
namik) realisieren helfen: zum einen der Ansatz linearer Strukturgleichungen für
Systeme mit kontinuierlichen Variablen (vgl. Funke, 1985, 1993a), zum anderen
die Theorie finiter Automaten für Systeme mit diskreten Variablen (vgl. Buchner &
Funke, 1993; Funke & Buchner, 1992). Beide Ansätze werden nachfolgend ge-
nauer vorgestellt.

Die beiden Paradigmen »lineare Strukturgleichungen« und »finite Automaten«
sind generell (nicht nur in diesem Kontext) hilfreich bei der Modellierung von
Zusammenhängen zwischen mehreren Variablen und deren Auswirkungen über
die Zeit hinweg. Während man es bei den linearen Strukturgleichungen mit Vari-
ablen zu tun hat, die Intervallskalenniveau aufweisen müssen, fordern die finiten
Automaten lediglich Nominalskalenniveau und können somit qualitative Aspekte
abbilden, die in diskreten Abstufungen vorkommen (auch Ordinaldaten lassen sich
darin abbilden). Wir beginnen zunächst mit der Darstellung der Strukturglei-
chungssysteme und gehen dann auf finite Automaten ein.

5.2.1 Lineare Strukturgleichungsmodelle - DYNAMis-Ansatz

Eine Reihe alltäglicher Aktivitäten (z. B. Radfahren, Autofahren) wie auch Tätig-
keiten am Arbeitsplatz (Anlagensteuerung bei Kraftwerken, Steuern von CAD-
Maschinen, Lenken von Fahrzeugen) enthalten Steuer- und Regelungsprozesse, bei
denen es vor allem auf die quantitative Abstufung bestimmter Eingriffe ankommt.
Nicht nur technische, sondern auch ökologische Systeme machen es erforderlich,
zunächst die Funktionsweise des fraglichen Systems oder Systemausschnitts ken-
nen zu lernen, bevor dann zielführend eingegriffen werden kann. Einen der in
vielen Wissenschaften erfolgreichen Wege zur Abbildung von Systemen mit quan-
titativen Variablen und zur Untersuchung von deren Eigenschaften stellt das all-
gemeine lineare Modell dar (siehe z. B. Werner, 1997). Zunächst wird das formale

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