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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 2.1920

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Gesammelte Worte über grosse Meister
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Pannwitz, Rudolf: Die Seele des Werkes von Marées
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https://doi.org/10.11588/diglit.44996#0072
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Die Seele des Werkes von
M a r e e s
von
Rudolf Pannwitz
1
Es ist Natur und Schicksal des Geistigen, daß er aus seinen und
seines Zeitalters Schwächen seine Kräfte erzieht. So ist bei Marees
an der Stelle jedes Mankos ein Zentrum der schöpferischen Aus-
strahlung. Nun ist ohnedies die moderne Kunst darauf gewiesen,
aus einer gewissen Kulturunfähigkeit oder doch Unbereitschaft
zur Kunst deren Grundlagen zu erschüttern und neuzufassen,
deren Grenzen aufzuheben und auszuweiten. Die geschloßne
Augen- und Gebildwelt, beruhend auf dem sozialen Glauben an
normative, durch Konturen ausdrückbare Wirklichkeit-Komplexe,
ist zusammengebrochen, und frisch aufgestiegen ist eine noch
formlose innere und geistige Welt, die als Mythos um jeden Preis
sich selbst darstellen und damit ausbilden will. Der Verlust ist
ungeheuer, der Gewinn unermeßlich, die Aufgabe tragisch, die
wahre Bahn heroisch. Marees aber bat das Alte nicht drangeben
wollen und auf das Neue nicht verzichten können, er ist auf viele
Weise älter und neuer als die andern. Wäre es möglich, ihn
und seinen äußersten Gegenweltler van Gogh und einen dritten,
der noch erscheinen muß — einen physikos, ja physikotatos —
zusammenzuschmelzen in Ein fabelhaftes Wesen, so wäre der neue
Leonardo da und mit ihm der alte überstiegen. Marees allein
kann es nicht sein, doch er ist der einzige, der es sein will und
der mit Bewußtheit als ein Konradin das Kaisertum sich auf-
lädt oder aber als ein Erstling eine ganze Welt vorweggreift, die

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