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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 2.1920

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Gesammelte Worte über grosse Meister
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Hausenstein, Wilhelm: Daumier
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https://doi.org/10.11588/diglit.44996#0026
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D a u m i e r
von
Wilhelm Hausenstein
Der allgemeinste Eindruck von seinem Werk ist verschwende-
rischer Reichtum. Im Lauf von vierzig Jahren dreitausend Litho-
graphien allein für den Charivari. Neunhundert Zeichnungen
für den Holzschnitt. Im Hintergrund ein Oeuvre erstaunlicher
Malereien und eine durch das Verhängnis wohl sehr verminderte
Zahl plastischer Improvisationen, deren beste automatisch neben
das Werk Rodins treten. Der Reichtum Daumiers wuchert aber
nicht nur in der ungeheuren Produktivität seines Naturells, die
wie die Erde der Narbonne, der er entstieg, Frucht und Wein
bis zu einem Gleichnis üppiger Tropen breit und rund empor-
treibt. Nein: denn diese Fruchtbarkeit wäre ein äußerliches Maß,
entspräche ihr nicht die rasende Vergeudung, die aus dem Stil
seiner ganzen Kunst, ja aus jedem einzelnen Strich seiner litho-
graphischen Kreide, seines Bleistifts, seines aquarellierenden und
tuschenden Pinsels hervorströmt. Darauf vor allem kommt es
an. Auf diese phantastische Ernteflut nicht nur der Oeuvre-
ziffer, sondern auch der künstlerischen Wesenheit. Auf den
Überfluß im Stil, nicht allein in der Werkmasse. Ein ewiger
Juli flammt wie provencalische Sonne vergoldend und versengend
aus seiner Hand; zuckt mit Blitzfeuer und rauschenden Gewitter-
güssen aus seinem Auge. Die Weltidee des Heraklit verwirklicht
sich: närra öei.
Allein der Grund des Alls, das fließt, ist zuletzt das Feuer.
Daumiers Seele gehört zu denen, die dem ephesischen Philoso-
phen als die köstlichsten erscheinen, weil sie lodern wie bren-

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