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Marées-Gesellschaft [Editor]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 2.1920

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Die Kunst nach dem Weltkrieg
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Meier-Graefe, Julius: Die Möglichkeiten Wiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.44996#0176
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Die Möglich ke i t e n Wi e ii s

Wo halten wir, was leisten wir, was bedeuten wir außerhalb
unserer Grenzpfähle ?
Für die Beantwortung dieser Frage ist der gegenwärtige Zeit-
punkt nach fünf Katastrophenjahren und einer vorhergehenden
Periode geistiger Versumpfung nicht allzu günstig.
Was wir außerhalb unserer Grenzpfähle heute bedeuten?
„Lasset die Kleinen zu mir kommen'1, sie hungern. — Unsere
physische Kraft ist unterernährt, wer frägt da nach der geistigen?
Ich bin Optimist, ich will daher die Gegenwart nur insoweit
berühren, als sie uns einen Blick in die Zukunft offen läßt, und
ich will diese Zukunft aus der Vergangenheit aufzubauen suchen.
Deutschland — und Wien ist deutsch — hatte im vorigen
Jahrhundert vier sogenannte Zentren auf dem Gebiete der bil-
denden Kunst: München, Düsseldorf, Berlin und Wien. Mün-
chen ward zur Kunststadt von Herrschers Gnaden erhoben; der
Verkehrsknotenpunkt, der Fremdenverkehr hat es lange auf der
Höhe eines Kunstmarktes gehalten. Berlins Kunst war urwüch-
siger zur Zeit Rauchs, Schadows, Menzels. Mit Menzel hört das
Bodenständige nahezu auf. Die Berliner Kunst wurde vom
Museum einerseits, vom Kunsthandel andererseits emporgetragen.
Der Aufschwung war bedeutend, vollzog sich aber fast ganz
unter französischem Einflüsse. Berlin wurde nicht von Napo-
leon III., aber von Manet und seinen Truppen erobert. Zur
Zeit Friedrich II. war es der Hof, der die französische Kunst
nach Berlin zog; unter Wilhelm II. kommt sie als Opposition

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