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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0203
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i86

*93-
Beurtheilung.

*94-
Religions-
kriege.

italo-antiken Architektur durchdrungen wurde, eben fo entftand die »Spät-Renaiffance
des XVI. Jahrhundertes«, die freiere und zum Theile willkürlichere Phafe der
Renaiffance oder auch die Periode des theilweifen und zeitweifen Verfalles. Alle
diefe Bezeichnungen find richtig; denn nunmehr wurde die Hoch-Renaiffance von
einer überwiegend »freien Auffaffung der Kunft« , wie fie an der Schule von Fon-
tainebleau zu beobachten war und welche im Vorftehenden die freie oder diejenige
der Innendecoration genannt worden ift, immer mehr und mehr durchdrungen. Mehr-
fach wird man an den Charakter der Mailänder Werke von Galeazzo Aleffi erinnert.
Bei der Beurtheilung der freieren fpäten Phafe einer Kunftepoche fleht man
einer doppelten Gefahr gegenüber: zunächft derjenigen, dafs man im Namen der
Gefetzmäfsigkeit Aeufserungen der künftlerifchen Freiheit verdammt, die nicht nur
vollkommen berechtigt find, fondern auch thatfächlich fchöne Kunftwerke gefchaffen
haben; fürs zweite der Gefahr, dafs man vom Standpunkt der koftbarften Gabe der
künftlerifchen Freiheit aus Gedanken, Gefühle, Löfungen und Formen zu recht-
fertigen verfocht, die nur von künftlerifcher Ohnmacht, von Unvermögen, fchlechtem
Gefchmack, moralifcher und künftlerifcher Verirrung zeugen. Mit einem Worte,
man verwechfelt nur zu leicht Freiheit und Verfall; man bricht leicht zu fchnell
den Stab über neue Elemente, welche das Pfand und die Vorboten einer neuen,
wenn auch verfchiedenartigen Blüthe der Kunft fein können.
Auch in diefer neuen Phafe ift die franzöfifche Architektur, zum mindeften in
einzelnen ihrer Erfcheinungen, ein getreuer Spiegel des politifchen und Sittenlebens
der damaligen Zeit. Ein kurzer Blick auf die Gefchichte der letzteren fei defshalb
geftattet.
i) Gefchichtlicher Ueberblick.
Die Spät-Renaiffance oder die letzte Phafe der erften Entwickelungsperiode in
der franzöfifchen Kunft ift die Zeit der Religionskriege. Letztere begannen im
Jahre 1562 mit dem Maffacre de VaJJy und waren 1594 mit der Einnahme von
Paris kaum zu Ende. Auch mit dem Vorbilde eines mehr als dreifsigjährigen
Krieges ging nunmehr Frankreich Deutschland voran. Lieber den Verlauf derfelben
Sollen einige kurze Mittheilungen nach franzöfifchen Schriftstellern, vor Allem nach
Henri Martin416), gegeben werden.
»Der Charakter der letzten Valois und ihrer Mutter,« fchreibt Martin, »war
der einer regen Thätigkeit des Geiftes und der Einbildungskraft inmitten der Ruine
eines jeden Princips und aller Moralität, wie in Italien zu Zeiten des Verfalles . . .
Katharina hatte alle Eigenfchaften des Geiftes, verbunden mit allen Laftern des
Herzens.« Katharina, faft fiebenzigjährig, ftarb am 5.Januar 1589 zu Blois, wenige
Tage nach dem Mord der Guifen.
So lange Katharina lebte, blieb die Kunft der Renaiffance auf einer gewiffen
Höhe, und von ihrem Antheil am Bau der Tuilerien wird Später noch die Rede
fein. Ihr Sohn Carl IX. befafs von Geburt aus die glänzendften Gaben des Geiftes
und der Phantafie und war zum Lafter weniger geneigt, als die Meiften feiner
Familie. Er hatte eine lebhafte Vorliebe für die bildenden Künfte, eben fo für Mufik
und Poefie; feine eigenen Gedichte zeigen mehr Gefchmack und Natürlichkeit, als
diejenigen Ronfardl. Die geradezu entfetzliche Erziehung hatte fein ganzes Sittlich-
keitsgefühl zu Grunde gerichtet, und »er erlag den höllifchen Einflüffen feiner Mutter«.

416) Martin, H. Hifioire de France etc. 4. Ausg. Bd. IX u. X. Paris 1856—60.
 
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