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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0296
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D9

rahmungen eines Schlüffelloches oder eines kleinen Porzellanrahmens paffen könnten.
Gruppen von Amorinen, kofende Turteltauben, allerlei Attribute und Blumengehänge
beleben diefe Formen. Die Bewegungen diefer Windungen find jedoch ftets zu
einem harmonifchen Gleichgewicht contraftirender Linien und Biegungen ausgebildet
und zeigen in diefer Eigenfchaft eine bewildernde Meifterfchaft.
Francois de Cuvillies (der Vater) hat gleichfalls folche Portale gefchaffen, hinter
denen er auch noch die Strahlen eines Sonnenunterganges inmitten eines Wolken-
himmels hervorbrechen läfft. Hier muffen die Linien der Wolken den verdrehten
Windungen eines von Fontänen gekrönten Viaductes aus »Lattenwerk« zum Gleich-
gewicht verhelfen. Dies heifst denn auch ganz richtig ein »Morceau de caprice«.576).
Man fieht, dafs während der ftrengen Zeit Ludwig XIV. die gebundene Phantafie
Zeit gehabt hatte, reiche Schätze für die nächfte Generation anzufammeln, und
letztere entfchädigt fich denn auch rückhaltslos und wahrhaftig nach Herzensluft.
Es ift mir nicht gelungen, irgend ein ausgeführtes franzöfifches Bauwerk zu
finden, das wirklich der Bezeichnung und dem Begriffe des Rococo, wie er im Vor-
ftehenden aufgeftellt wurde, entfpräche.
Anders verhält es fich mit Deutfchland. Wie für die RocailleLAoAet finden
wir hier für den Rococo ausgeführte Beifpiele, die den Begriff diefer Stilform beffer
zu verliehen helfen. Selbft dann, wenn man diefen Begriff Rococo ftreng auf Werke
begrenzt, die aus der Entwickelung einer der Richtungen des franzöfifchen Louis XV.-
Stils hervorgehen, nicht aber, wie der Zwinger in Dresden, aus der directen Ent-
wickelung des italienifchen Barocco, laßen fich in Deutfchland eine Anzahl echter
Rococo-Werke aufzählen.
Der Gnadenaltar zu Vierzehnheiligen bei Lichtenfels in Franken (begonnen 1743) ift ganz in den
Formen jener phantaftifchen Gebilde Babel's und Anderer gebildet, die grofse Gartenportale in Geftalt
eines riefigen Schlüffellochbleches aufbauen 577). Hier ift die Bezeichnung »Rococo« vollkommen am Platze.
Die Uebertragung der Formen der Innendecoration des franzöfifchen Salon-
ftils Ludwig XV. auf die Detailbildung einer Aufsenarchitektur mag ebenfalls als
eines der Charaktere eines wirklichen Rococobaues gelten. In Würzburg bietet der
Hof »Zum Falken« mit feiner reizenden Fagade ein folches Beifpiel. In Spanien hat
der Palaft des Marquis de Dos Aguas zu Valencia ebenfalls eine wirkliche Rococo-
Fagade.
i) Meifter von 1590 bis etwa 1750.
1) Meifter des Zeitalters Heinrich IV.
Die in Art. 210 (S. 197) hervorgehobene Vernachläffigung des Studiums des
Zeitalters Heinrich IV. erftreckt fich auch auf die Kenntnifs der Architekten jener
Zeit 578).
Aus denfelben Gründen, welche uns bewogen, gerade diefe Phafe in das
möglichft richtige Licht zu ftellen, wollen wir uns bemühen, das Gleiche für die
Architekten diefer Zeit zu thun.
Es ift fchwer zu fagen, ob der Mangel an guten Architekten, über den der
Herzog von Mayenne 1590 klagt 579), in dem Mafse vorhanden war, wie aus feinen
5re) Abgebildet ebendaf., PI. 63.
577) Abgebildet von R. Dohme in: Zeitfchr. f. bild. Kund 1878, S. 288.
578) »Die Architekten der Zeit Heinrich I7.,< fagt Lemonnier, »nehmen zwilchen ihren Vorgängern und Nachfolgern
eine verwifchte Stellung ein; keiner gelangte zu einem vollftändigen Ruhme.«
579) Am 26. Auguft 1590, bei der Ernennung eines Nachfolgers von Baptijle Du Cerceau, fagt Mayenne: ». . . confiderant
le peu de perjbnnes qui Je trouvent d prejent capables Jour exercer ledict eftat et office a caufe de la inifer e du temps, et

372-
Deutfche
Beifpiele.

373-
Ueberficht.
 
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