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DAS FEHLEN DER AUE DIE GERMANEN ZURUCK-
ZUFUHRENDEN ELEMENTE RELIGIÖSER WIRKUNG.
Es iß mir durchaus unmöglich, die Anhcht derjenigen zu
teilen, die annehmen, es hätten die Germanen zur Zeit ihres
Einbruchs in das Römerreich, irgendwelches architektonifche
Können mitgebracht. Namentlich wage ich nicht mehr wie
früher, die SehnTucht als eine der herrlichften urgerma-
nifchen Eigenlchaften zu betrachten. Sie dürfte (ich bei dielen
Völkern erft als eine Folge der Annahme des Chriftentums
entwickelt haben.
Ich glaube, daß man Elemente der Kultur bei den nör-
dlichen Völkern überhaupt erft feit dem Eindringen des Chriften-
tums annehmen darf.
Die Freude an der männlichen Kraft mag wohl die einzige
nationale Eigenrehaft gewefen fein, welche die Goten mitbrachten;
ein Beifpiel dafür darf vielleicht in der Gröfje der monolithen
Kuppel des Grabmals des Theoderich in Ravenna gefunden
werden. Eine zweite Eigenfchaft offenbaren alle übrigen dekora-
tiven Zutaten: den Wunfch nämlich, von den Römern zu lernen.
Es bewerten dies die antiken Details in ihren ungefchickten
Modifikationen. Diele Modifikationen rühren von rein mecha-
nifchen Bewegungen der Hand her, verbunden mit etwas Ord-
nungshnn, aber ohne Gefühl oder Gedanken, wie wir es noch
bei ungefchickten Kindern und allen wilden Völkern finden

’) Siehe z. B. W. Liibke, Gefchichte der Architektur. Leipzig 1670. Die altchriftliche
Baukuntl bei den Germanen. S. 260 ff. Liibke offenbart eine viel richtigere Auffaffung der
Dinge, als wir fie bei manchen modernen Gelehrten treffen, die durch nationalifierende
Theorien verblendet auf Abwege geraten find

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