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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Editor]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Weixlgärtner, Arpad: Paralipomena zum Thema: Goethe und Delacroix
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0154
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ARPAD WEIXLGÄRTNER / PARALIPOMENA ZUM THEMA: GOETHE

UND DELACROIX

Wenn hier nochmals zu der bereits des öfteren1 besprochenen Pariser Faust-Ausgabe vom
Jahre 1828, die die Lithographien von Delacroix enthält, das Wort ergriffen wird, so möge
das darin seine Entschuldigung finden, daß einiges bisher halb oder ganz Übersehene mit-
geteilt werden kann.

Fast immer wird nur von den siebzehn Lithographien von Delacroix gesprochen, die Szenen
aus der Tragödie darstellen. Daß dem Bande außerdem ein lithographisches Porträt Goethes
von Delacroix' Hand (Abb. 1) beigegeben ist, scheint, wenn schon nicht vergessen, so doch,
und zwar mit Unrecht, übergangen zu werden. Beispielsweise findet sich dieses Bildnis in
dem Bande der Propyläen-Ausgabe von Goethes Werken, der des Dichters Porträten gewid-
met ist und eine Menge herzlich unbedeutender Dinge bringt, wohl im Text erwähnt, aber
nicht abgebildet. Schließlich ist, sollte man meinen, eine Porträtlithographie von Delacroix,
die Goethe darstellt, selbst dann nicht zu verachten, wenn es sich auch nur, wie das hier der
Fall ist, um eine Arbeit aus zweiter Hand handelt. Der Lithographie des Pariser Künstlers
liegt eine Zeichnung von Goethes „Hofmaler" Johann Joseph Schindler zugrunde. Goethes
Tagebuch vom 13. Dezember 1826 notiert: „Schmeller fängt an, mein Porträt [das Ölbild
in Lebensgröße, das er am 22. September begonnen hatte] für Paris ins Kleine zu zeichnen",
am 28. Dezember heißt es: „Schmeller zeichnete". Diese Zeichnung selbst ist verschollen.
Wie sie ausgesehen hat, verrät uns aber eine ziemlich hart und trocken wirkende, aber offen-
bar Schindlers Vorbild getreu wiedergebende Lithographie, die der Verleger der Faust-
Ausgabe, Charles Motte, 1827 in Paris durch Jean-Baptiste Mauzaisse (1784—1845) anfer-
tigen ließ (abgebildet in dem genannten Propyläen-Band „Die Bildnisse Goethes" auf
Tafel 146). Dieses Blatt zeigt uns vor allem, daß Delacroix auf seiner Lithographie den ver-
schnürten Pelz, den Goethe hier anhat, frei erfunden hat. Er hatte dazu seinen guten Grund.
Bei Mauzaisse-Schmeller wirkt das Gewand, besonders der schmale, hohe Bockkragen mit
seinen kleinlichen schwalbenschwanzförmigen Einschnitten ungemein steif und hölzern, wäh-
rend bei Delacroix die gelockerte Dunkelheit des breiten, weichen Pelzkragens und die zu
ihr kontrastierenden Helligkeiten des Antlitzes und der weißen Halsbinde der Gesamtwirkung
eine angenehme Gelöstheit verleihen und das malerische Moment Stärkstens betonen. Dem-
selben Zweck dienen das sehr schön gezeichnete aufgelockerte Haar, dem das perückenartige
Aussehen, das es bei Mauzaisse-Schmeller hat, gänzlich genommen ist, und das delikat be-
handelte enge Gefältel des weichen Halstuches. Sehr schön sind die Augen, deren Glanzlichter
Delacroix etwas nach rechts verschoben hat, namentlich das rechte, und der feine Mund.
Die verknüllte Stelle neben dem rechten Mundwinkel bei Mauzaisse, die ersichtlich auf eine
Unklarheit dieses Fleckchens auf Schindlers Vorlage zurückgeht, kehrt bei Delacroix als
kleine Verlegenheitsdunkelheit wieder. Alles in allem aber ist es ein bedeutender, anziehen-
der Kopf, der auf Delacroix' Blatt dem Betrachter entgegenblickt, was von vielen deutschen
Goethebildnissen leider nicht gesagt werden kann. Wieso Schulte-S trathaus, der Herausgeber des
Propyläen-Bandes, von einem „wilden Ausdruck" auf Delacroix' Lithographie sprechen kann, ist

1 Vgl., abgesehen von der von Hans Vollmer in seinem Artikel über Delacroix in Thieme-Beckers Künstler-
Lexikon angegebenen Literatur über des Künstlers graphische Arbeiten: Alexander Tille, Goethes Faust in der
französischen Kunst, in Velhagen & Klasings Monatsheften (1899/1900); die Insel-Ausgabe des I. Teiles von
Goethes Faust, mit 17 Lichtdrucken nach Delacroix' Lithographien; A. F. Seligmann in der Neuen Freien Presse
(Wien) vom 6. Juni 1913; Vollmer, Eugene Delacroix als Illustrator, in den Graphischen Künsten (1914); Franz
Neubert, Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust (1932).

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