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DER NIEDERLÄNDISCHE EINFLUSS
Der entscheidende Wandel, der sich um das Jahr 1460 an vielen Stellen
zugleich innerhalb der deutschen Malerei vollzog, wird nicht verständlich
aus den Voraussetzungen allein, die in dem Werke der vorangehenden Gene-
ration gegeben waren. Es fehlen die Zwischenglieder einer vermittelnden Stil-
phase, die vielleicht einen ähnlichen Weg vorbereitet hätten, wenn nicht ein
entscheidender Eindruck von außen für die Richtung der deutschen Kunst be-
stimmend geworden wäre. Das Werk des Meisters von Flemalle hat nicht so
sehr schulbildend als beispielhaft auf die gleiche Wege suchende Entwicklung
in Deutschland gewirkt. In dem Werke seines Schülers Rogier van der Weyden
wurde der Einfluß niederländischer Malerei maßgebend für das Schicksal der
deutschen Kunst, da es auf deutschem Boden eine neue Auffassung vom
Wesen malerischen Ausdrucks zeugte. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß der Antrieb zu der Neubildung, die in deutschen Landen unvermittelt
nach der Jahrhundertmitte einsetzt, in den Niederlanden zu suchen ist. Hier
finden sich die Urbilder nicht nur wichtiger Kompositionstypen der Zeit. Hier
waren auch in einem allgemeinen Sinne die Grundlagen geschaffen worden,
die zum Ausgangspunkt einer Umorientierung wurden, die auf deutschem
Boden allein nur schwer aus inneren Triebkräften zu erklären wäre.
Jetzt erst vollzieht sich die endgültige Scheidung nordländischer und südlicher
Kunst. Während in Italien das Zeitalter der Hochrenaissance sich vorbereitet,
werden die Niederlande zum Schauplatz einer letzten Blüte mittelalterlicher
Malerei, und hierhin wendet sich das Augenmerk der deutschen Meister bis
hinauf in die schwäbischen und fränkischen Lande. Die Alpen bilden von nun
an eine Grenzscheide, die sie vordem nicht gewesen waren. Nur in den Gebirgs-
tälern selbst bleiben alte Beziehungen lebendig. Aber im weiteren Bereich
deutscher Malerei wurde die Formenbildung, der Rogier van der Weyden das
klassische Gepräge gegeben hatte, für lange Zeit vorbildlich. Erst Dürer be-
reitete den neuen Richtungswechsel vor, als er von neuem den Weg bahnte,
der über die Alpen führte.
Trotzdem wäre es falsch, die deutsche Kunst der zweiten Jahrhundert-
hälfte als einen Ausläufer der niederländischen Malerei zu interpretieren.
Es sind oft derbe, aber es sind viele charaktervolle Meister in deutschen
Landen am Werke, die ihre Eigenart nicht preisgeben, wenn sie sich fremder
Lehre fügen, und es entstehen jetzt erst Kunstprovinzen von ausgeprägter
und dauernder Sonderbildung. Den Gesellen, die von der Wanderschaft
zurückkehrten, mag die Sprache der Fremden bald wie heimischer Laut er-
schienen sein. Sie waren sich kaum bewußt, fremdes Kunstgut zu nutzen,
DER NIEDERLÄNDISCHE EINFLUSS
Der entscheidende Wandel, der sich um das Jahr 1460 an vielen Stellen
zugleich innerhalb der deutschen Malerei vollzog, wird nicht verständlich
aus den Voraussetzungen allein, die in dem Werke der vorangehenden Gene-
ration gegeben waren. Es fehlen die Zwischenglieder einer vermittelnden Stil-
phase, die vielleicht einen ähnlichen Weg vorbereitet hätten, wenn nicht ein
entscheidender Eindruck von außen für die Richtung der deutschen Kunst be-
stimmend geworden wäre. Das Werk des Meisters von Flemalle hat nicht so
sehr schulbildend als beispielhaft auf die gleiche Wege suchende Entwicklung
in Deutschland gewirkt. In dem Werke seines Schülers Rogier van der Weyden
wurde der Einfluß niederländischer Malerei maßgebend für das Schicksal der
deutschen Kunst, da es auf deutschem Boden eine neue Auffassung vom
Wesen malerischen Ausdrucks zeugte. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß der Antrieb zu der Neubildung, die in deutschen Landen unvermittelt
nach der Jahrhundertmitte einsetzt, in den Niederlanden zu suchen ist. Hier
finden sich die Urbilder nicht nur wichtiger Kompositionstypen der Zeit. Hier
waren auch in einem allgemeinen Sinne die Grundlagen geschaffen worden,
die zum Ausgangspunkt einer Umorientierung wurden, die auf deutschem
Boden allein nur schwer aus inneren Triebkräften zu erklären wäre.
Jetzt erst vollzieht sich die endgültige Scheidung nordländischer und südlicher
Kunst. Während in Italien das Zeitalter der Hochrenaissance sich vorbereitet,
werden die Niederlande zum Schauplatz einer letzten Blüte mittelalterlicher
Malerei, und hierhin wendet sich das Augenmerk der deutschen Meister bis
hinauf in die schwäbischen und fränkischen Lande. Die Alpen bilden von nun
an eine Grenzscheide, die sie vordem nicht gewesen waren. Nur in den Gebirgs-
tälern selbst bleiben alte Beziehungen lebendig. Aber im weiteren Bereich
deutscher Malerei wurde die Formenbildung, der Rogier van der Weyden das
klassische Gepräge gegeben hatte, für lange Zeit vorbildlich. Erst Dürer be-
reitete den neuen Richtungswechsel vor, als er von neuem den Weg bahnte,
der über die Alpen führte.
Trotzdem wäre es falsch, die deutsche Kunst der zweiten Jahrhundert-
hälfte als einen Ausläufer der niederländischen Malerei zu interpretieren.
Es sind oft derbe, aber es sind viele charaktervolle Meister in deutschen
Landen am Werke, die ihre Eigenart nicht preisgeben, wenn sie sich fremder
Lehre fügen, und es entstehen jetzt erst Kunstprovinzen von ausgeprägter
und dauernder Sonderbildung. Den Gesellen, die von der Wanderschaft
zurückkehrten, mag die Sprache der Fremden bald wie heimischer Laut er-
schienen sein. Sie waren sich kaum bewußt, fremdes Kunstgut zu nutzen,