Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
I e c Ii n i k

jedenfalls verfügt die Regentin unter dem 4 März 1538/39: «Dans toutes les villes de
votre province oü on use du stil de tapissier, que dorenavant ils ne s'avancent ac-
coutrer, parer, farder ou ayder leurs tapisseries de quelques couleurs ou substances
de peintures que ce soit et n'y couleurent chose qui ne soit tissue et ouvree au fond
de la tapisserie, fors (ausgenommen) aux visages et autres membres nus, et ce par
substance permise, sous paine de confiscation des pieces faites contre cette notre ordon-
nance et de punition arbitraire" (31).

Die Fassung beweist unzweideutig, daß von der Schärfe des Erlasses von 1525 nicht
allzuviel übriggeblieben ist. Das Edikt Kaiser Karl V. vom Jahre 1544 bringt keine
wesentliche Besserung. Die Verordnung betreffs der einheitlichen Durchführung der
Körperteile steht zum guten Teil lediglich auf dem Papier; die weitgehenden Erleich-
terungen, die der Kunst des «Lustrierens" eingeräumt werden, machen eine strikte Durch-
führung illusorisch.

Die Tätigkeit der Affsetter, bisweilen werden sie auch «Verlichters" genannt, ist
noch wenig geklärt (32). Es ist unrichtig, die Affsetter von vornherein als Fälscher zu
betrachten; das Verfahren — immer vorausgesetzt, daß es den Bestimmungen entsprechend
gehandhabt wurde — sollte im Gegenteil dazu dienen, daß die «tapitserie en nyet
soude verärgert oft vervalscht werden" (33).

Nicht ohne Grund beschäftigt sich der Erlaß Karls V. von 1544 besonders ausführ-
lich mit diesem eigenartigen Kunstzweig. Das Affsetten sollte keinesfalls die schwierige
Schraffentechnik der Köpfe, das feine mit Organsinseide eingeschlagene Rot der Ge-
sichtszüge, ersetzen. Die Vorschriften gehen von durchaus idealen Gesichtspunkten aus,
die in der Praxis allerdings allzuoft mißbraucht werden.

Zur Ehre Brüssels muß festgestellt werden, daß seine Erzeugnisse nur in seltenen
Fällen die Hand ungesetzlicher Affsetter verraten. Die scharfe Kontrolle der Innungs-
geschworenen, der Brotneid der Meister untereinander, schob einem Mißbrauch kräftige
Riegel vor. Anders liegen die Verhältnisse bei den rein kommerziell eingestellten Manu-
fakturen, bei Oudenaarde, Enghien und den zahllosen Kleinateliers. Nur die wirk-
lichen Qualitätsarbeiter führen die Gesichtsschraffen mit der notwendigen Sorgfalt durch,
die große Masse der Behänge wurde den Affsettern anvertraut, die gegen die Vor-
schriften der kaiserlichen Verordnung sich die weitestgehenden Verfälschungen erlaubten.
Wenn in manchen Veröffentlichungen der angeblich so harmonische Zusammenklang
der blauen, grünen und braunen Töne mit den elfenbeinernen Gesichtern als Ausfluß
eines primitiven Farbenempfindens gerühmt wird, so verkennen die Autoren, daß tat-
sächlich diese Wirkung nie angestrebt war. Wir finden nur wenige alte Lieferungs-
verträge, die nicht ausdrücklich das Verlangen stellen, die in Auftrag gegebene Folge
solle «vande levenste couleuren" sein. Es gibt auch Fälle, in denen den Qualitäts-
ateliers das Auffrischen erlaubt war. In erster Linie wurde das Vorgehen als berechtigt
anerkannt, wenn Wandteppiche übermäßig lang auf den Stühlen verblieben waren,
sei es, daß das betreffende Stück einen abnorm großen Umfang aufwies, sei es, daß
Gründe zivilrechtlicher Art, etwa Streitigkeiten über die Bezahlung, die Ursache der
Verzögerung bildeten. Die Prozedur durfte lediglich in der Werkstatt des Meisters
nach bestimmten Normen vorgenommen werden. «Que personne ne peult donner
lustre, sans estre admis et faire serment" (34) besagt Absatz 50 der kaiserlichen Ver-
ordnung. Auf jeden Fall war die Verwendung flüssiger Farben bis auf «l'encre et la
couleur de foulle graine" verboten. «Laquelle estoffe fresque s'usera seulement pour ayder
ä faire d'ausseurance et Separation des fruictz, verdures, membres et semblables l'un et
l'aultre: s'ilz treuvent que fouvrage et tapisserie le require". Der Absatz ist unschwer
verständlich; man verwandte eine schwarzbraune Farbe, um die Einfassungen des
Blattwerkes und der Figuren aufzufrischen; «foulle graine" (Kermesrot) half den Fleisch-
tönen nach.

Wie alt die Kunst des Affsettens ist, zeigt uns ein Rechnungsvermerk vom Jahre 1428.
Der Hofwirker des Herzogs Karl von Orleans, Simon de la Croix, beschafft sich u. a.
«deux boisseaulx d'une grainne nommee nerprum". Gemeint ist der Extrakt aus den

26
 
Annotationen