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Deutung

mit dem Grün des Blattwerks und den fröhlichen Farben der Blumen und Sträucher,
den Tulpen, Chrysanthemen, dem gefüllten Mohn, den Astern, und Schneeballen prächtig
zusammengeht.

Eigentümlicherweise überlebt ein Motiv den Lauf der Jahrhunderte; vom Beginn
der Renaissance an bis zum Erlöschen der Teppichwirkerei finden wir den tunnel-
artigen Höhlengang. Schon die Tafelbilder Patinirs und seiner Schule zeigen die steilen,
seltsam überhängenden Bergrücken mit den weiten Durchblicken. Die Lösung wird
in erster Linie verwertet, um die perspektivische Tiefenwirkung des Hintergrundes
zu steigern. In dem Teppich mit der Begegnung Jakobs und Esaus findet sich die
Bergdurchsicht in der linken oberen Ecke; die Herden Jakobs mit den Kameltreibern
und Dienern wandern als winzige Gestalten hinter dem Höhlengange vorbei (Abb. 161).
Ein später Aubussonteppich, aus dem Besitze der Berliner Kunsthandlung J. Klausner
& Sohn, mit zahlreichen chinesischen Motiven verwendet den gleichen Bergdurchblick,
allerdings ohne die Figurenwirkung mit heranzuziehen (Abb. 459).

Bei der zeitlichen Zuweisung von Wandteppichen an Hand der wiedergegebenen
Gartenanlagen ist zu berücksichtigen, daß die Wirkerei in der Regel zehn und mehr
Jahre später wie das entsprechende Gartenmotiv entstanden ist.

Der Karton dient, schon aus rein wirtschaftlichen Gründen, mindestens vier- bis
sechsmal zur Wiederholung ein und derselben Folge; bei gängigen Reihen erhöht sich
die Zahl noch erheblich. Ändert sich der Geschmack, so wird die teure Vorlage
vielfach nicht ohne weiteres bei Seite gelegt, sondern den modernen Ansprüchen und
Anschauungen entsprechend geändert und ergänzt. Großmanufakturen, wie Brüssel,
Antwerpen und Anbusson, halten auf weniger starke Auswertung der Patronen; ihre
Produkte fallen zeitlich einigermaßen mit den dargestellten Gartenmotiven zusammen.
Kleinateliers oder zu stark kaufmännisch betonte Betriebe, wie die zu Oudenaarde
und Felletin, bringen durch allzu lange Benutzung der Kartons bisweilen einen geradezu
archaistischen Zug in ihre Erzeugnisse. Es kommt natürlich auch in diesen Fällen auf
die persönliche Tüchtigkeit und Regsamkeit des betreffenden Atelierleiters an. Werniers
in Lille oder Alexander Baert in Amsterdam sorgten stets rechtzeitig für Vorlagen, die
den modernen Ansprüchen genügten. Bei allen Ansiedlungsverhandlungen spielt das
Vorhandensein ausreichender, neuzeitlicher Patronen eine nicht unwesentliche Rolle;
es Avirkt vielfach ausschlaggebend auf die Höhe der von der Stadt zu gewährenden
jährlichen Beihilfe.

Von verhältnismäßig geringem Einflüsse auf die Teppichwirkerei ist der englische
oder Landschaftsgarten. Erst um 1750 macht sich die neue Auffassung, die das Ideal
in der freien, von Menschenhänden unveränderten Natur erblickt, in Frankreich und
den Niederlanden bemerkbar. Die Anlage wird durch verschnörkelte, willkürliche,
angeblich natürliche Wege aufgeteilt; das Ausrotten der architektonisch-höfischen Gärten
beginnt. Die Grundzüge des sogenannten Landschaftsgartens sind genügend be-
kannt, um des näheren einer Erläuterung zu bedürfen.

Die flämischen Manufakturen werden von den neuen Motiven kaum noch berührt;
anders liegen die Verhältnisse bei Bauvais und Aubusson. Der Naturgarten, notabene
mit chinesischem Anstrich, wird „grande mode"; die Liebesspielereien der schönen
Marie Antoinette, das Reifen- und Blindekuhspiel und anderer empfindsamer Firlefanz
füllt die französischen Wirkereien des ausgehenden 18. Säkulums.

Der Einfluß der Gartenmotive auf die Wappenteppiche des 16. und 17. Jahrhunderts
ist nicht zu unterschätzen. Die Zeit hat leider mit diesen, einst zahlreichen Wirkereien
schnell und gründlich aufgeräumt, Wohl kein dekoratives Element war rascher der
Abnutzung ausgesetzt, wie gerade die Wappentapisserie, die nicht nur an festlichen
Tagen zum Schmucke diente, sondern in der Regel die dauernde Ausstattung bildete.
Der Wappenteppich zeigte nur selten Figurendarstellungen in größerem Umfange, er
besaß den Vorzug der Wohlfeilheit, sein Ersatz war nicht mit sonderlichen Kosten
verknüpft, Das Material bestand bei den einfacheren Arten aus Wolle unter geringer
Verwendung von Seide. Wert auf Luxus, d. h. auf Einfügung von Metallfäden, legte

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