Antoine Watteau.
Das stolze Pathos des „großen" Königes — Ludwig's XIV. — hatte sich gelegt. Früher, als
man es geahnt, war ihm der Ueberdruß am Genüsse gekommen, und hatte ihn das Glück verlassen.
Die Frau von Maintenon gewann maßgebenden Einfluß, und die Frömmigkeit kam in Mode. Es
war eine traurige Zeit. Ein langjähriger unglücklicher Krieg zerrüttete das Land, während der
König dem Grabe zualterte. Die größten Geister, welche der Epoche des großen Königes Glan;
verliehen hatten, waren einer nach dem anderen dahingegangen, oder der frömmelnde Monarch hatte
ihnen die Sonne seiner Gunst entzogen; und selbst bei den bedeutendsten Ingenien Frankreichs war
die Eitelkeit so sehr die Triebfeder ihres Schaffens, daß sie durch Entziehung des Beifalles lahm
gelegt werden konnten. Auch die Kunst fühlte wie Mehlthau dies Fluidum der Zeitstimmung auf
ihre Blätter fallen und welkte dahin. Der künstlerische Generalstab aus der Schule Lebrun's um-
stand noch — des Winkes gewärtig — den Herrscher mit der Allongeperrücke, aber der Niedergang
machte sich fühlbar, im Mangel großer Unternehmungen, im Mangel dominirender Geister, im
Mangel einer regsamen Schule.
Unter dieser Asche glühte ein neues Leben; leider durch den zeitweiligen Widerstand nicht zu
stolzerem Wogenschlag ermuntert, aber wenigstens nicht mit dem Brandmale der Heuchelei gekenn- !
zeichnet. Ungeduldig, nicht aus Thatendrang und Schaffenslust, sondern aus dem Bedürfnisse, sich
in seinen Neigungen ungehindert und ungenirt gehen lassen zu dürfen, wartete es auf den Moment
der Erlösung, der äußerlich erst mit dem Tode Ludwig's — 1715 — eintreten konnte, innerlich
aber längst sich vorbereitet hatte. Der Jubel, welcher ganz Frankreich durchtoste, als endlich —
endlich der große Perrückenkönig die Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, entfesselte den
frischen Windhauch, welcher die junge Saat von der dumpf lastenden Hülle befreite.
Vom Hofe des Herzoges von Orleans, des Regenten, verbreitete sich wieder ein Zug der
Lebenslust über die französische Gesellschaft. Er selbst, ein Lebemann von angenehmem Aeußeren
und gewinnenden Manieren, verhalf der Freude und Liebe wieder — man kann nicht sagen: zu
ihrem Rechte; es war mehr als das. Auch der Kunst zeigte er sich geneigt, wie er denn selbst in
der Musik und in der Malerei als Dilettant sich versucht hatte. Wie aber naturgemäß die Gesel-
ligkeit ausgelassen die Schranken des Anstandes und der guten Sitte übersprang, so mißverstand
auch die Kunst die Befreiung vom akademischen Zwange, und sehr bald artete sie aus bis in jene !
oft und leicht angefeindete, aber in ihrer coquetten Grazie nie nachzuahmende und selten verstan-
dene Manier, welcher man nachsagt, daß ihr Bestes — „das Meisterstück des schlechten Geschmackes"
sei. Ernst und Tiefe wurden aufgegeben; Anmuth und Zierlichkeit wurden die Losung. Orga-
nischer Zusammenhang verschwand aus den Kunstwerken, aber das loseste Spiel der Phantasie
weiß über seine innere Unwahrheit, oft Unmöglichkeit, manchmal Ungeheuerlichkeit gefällig hinweg-
zutäuschen.
Die vollständige Auflösung sowohl in gesellschaftlicher wie in künstlerischer Hinsicht erfolgte
indessen nicht allsobald; und der Anfang der lustigen und glänzenden Verfallsepoche, die in den
Umsturz der Revolution verlief, bot hinreichenden Raum für die Entwickelung einer für die Zeit
durchaus bezeichnenden, aber noch in sich abgerundeten, fast möchte man sagen: mit dem Nimbus
der Classicität umgebenen Erscheinung: der Schöpfer des künstlerischen Typus süc die Gesell-
Das stolze Pathos des „großen" Königes — Ludwig's XIV. — hatte sich gelegt. Früher, als
man es geahnt, war ihm der Ueberdruß am Genüsse gekommen, und hatte ihn das Glück verlassen.
Die Frau von Maintenon gewann maßgebenden Einfluß, und die Frömmigkeit kam in Mode. Es
war eine traurige Zeit. Ein langjähriger unglücklicher Krieg zerrüttete das Land, während der
König dem Grabe zualterte. Die größten Geister, welche der Epoche des großen Königes Glan;
verliehen hatten, waren einer nach dem anderen dahingegangen, oder der frömmelnde Monarch hatte
ihnen die Sonne seiner Gunst entzogen; und selbst bei den bedeutendsten Ingenien Frankreichs war
die Eitelkeit so sehr die Triebfeder ihres Schaffens, daß sie durch Entziehung des Beifalles lahm
gelegt werden konnten. Auch die Kunst fühlte wie Mehlthau dies Fluidum der Zeitstimmung auf
ihre Blätter fallen und welkte dahin. Der künstlerische Generalstab aus der Schule Lebrun's um-
stand noch — des Winkes gewärtig — den Herrscher mit der Allongeperrücke, aber der Niedergang
machte sich fühlbar, im Mangel großer Unternehmungen, im Mangel dominirender Geister, im
Mangel einer regsamen Schule.
Unter dieser Asche glühte ein neues Leben; leider durch den zeitweiligen Widerstand nicht zu
stolzerem Wogenschlag ermuntert, aber wenigstens nicht mit dem Brandmale der Heuchelei gekenn- !
zeichnet. Ungeduldig, nicht aus Thatendrang und Schaffenslust, sondern aus dem Bedürfnisse, sich
in seinen Neigungen ungehindert und ungenirt gehen lassen zu dürfen, wartete es auf den Moment
der Erlösung, der äußerlich erst mit dem Tode Ludwig's — 1715 — eintreten konnte, innerlich
aber längst sich vorbereitet hatte. Der Jubel, welcher ganz Frankreich durchtoste, als endlich —
endlich der große Perrückenkönig die Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, entfesselte den
frischen Windhauch, welcher die junge Saat von der dumpf lastenden Hülle befreite.
Vom Hofe des Herzoges von Orleans, des Regenten, verbreitete sich wieder ein Zug der
Lebenslust über die französische Gesellschaft. Er selbst, ein Lebemann von angenehmem Aeußeren
und gewinnenden Manieren, verhalf der Freude und Liebe wieder — man kann nicht sagen: zu
ihrem Rechte; es war mehr als das. Auch der Kunst zeigte er sich geneigt, wie er denn selbst in
der Musik und in der Malerei als Dilettant sich versucht hatte. Wie aber naturgemäß die Gesel-
ligkeit ausgelassen die Schranken des Anstandes und der guten Sitte übersprang, so mißverstand
auch die Kunst die Befreiung vom akademischen Zwange, und sehr bald artete sie aus bis in jene !
oft und leicht angefeindete, aber in ihrer coquetten Grazie nie nachzuahmende und selten verstan-
dene Manier, welcher man nachsagt, daß ihr Bestes — „das Meisterstück des schlechten Geschmackes"
sei. Ernst und Tiefe wurden aufgegeben; Anmuth und Zierlichkeit wurden die Losung. Orga-
nischer Zusammenhang verschwand aus den Kunstwerken, aber das loseste Spiel der Phantasie
weiß über seine innere Unwahrheit, oft Unmöglichkeit, manchmal Ungeheuerlichkeit gefällig hinweg-
zutäuschen.
Die vollständige Auflösung sowohl in gesellschaftlicher wie in künstlerischer Hinsicht erfolgte
indessen nicht allsobald; und der Anfang der lustigen und glänzenden Verfallsepoche, die in den
Umsturz der Revolution verlief, bot hinreichenden Raum für die Entwickelung einer für die Zeit
durchaus bezeichnenden, aber noch in sich abgerundeten, fast möchte man sagen: mit dem Nimbus
der Classicität umgebenen Erscheinung: der Schöpfer des künstlerischen Typus süc die Gesell-