Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 3) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62336#0075
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
46 Deutschlands Kunstschätze.
Bisher hatten die Leiden Damen die weiten, schwarzen Tücher über den Kopf geschlagen und
nnr von Zeit zu Zeit die Masken gelüftet, aus denen ihre dunklen Augen hervorblitzten. Wer sie
so niedergebückt auf der Gondelbank sitzen gesehen hatte, mußte zunächst auf den Gedanken gerathen,
daß dies ein Paar Schwestern vom barmherzigen San Giovanni sei, welche sich um Gotteswillen zu
irgend einem armen Kranken fahren ließen.
Jetzt schlugen Beide die Tücher zurück und nahmen die Masken von den Gesichtern. Es war nicht
hell genug, um jeden feinen Zug der beiden Köpfe aufzufassen; aber dennoch machte sich die Schönheit der
kühnen Freundinnen siegreich geltend. Lavinia war zierlich, von fast üppig gerundeten Formen; mit
einem Gesicht, das durch seine Form und durch die Lebensfreudigkeit des Ausdrucks an die Kindlichkeit
erinnern konnte, wenn nicht die glühenden, leidenschaftlichen Augen die liebebedürftige, sehnende Jung-
frau gekennzeichnet hätten. Lavinia's Haar entsprach den südlichen Augen durchaus nicht, denn dasselbe
war goldbräunlich, wie es schien und schimmerte im Mondlichte mit seinen tausend kleinen Locken
wie ein Heller Kranz um das frische Gesicht. — Violante besaß ebenfalls sehr dunkle Augen; aber
das Gesicht erschien wie ein feines Oval; ernst, selbstbewußt und doch außerordentlich sanft mit
dem fast weizenblonden Haar, das schlicht von Stirn und Nacken niederfloß, um tief unter den
Schultern sich in große Wellen zu legen.
Da Beide zur Stadt blicken wollten, ob der Gondel Cola's nicht vielleicht eine andere folge,
so hatten sich die Schönen mit dem Antlitz nach der Camera gewandt, hinter deren grünen Vor-
hängen die beiden Freunde wie in einen Fieber saßen, das von dem Gepeinigten einen entzückenden
Traum heraufführt.
Die Mädchen unterhielten sich, ohne sich an den schwer arbeitenden Cola zu kehren, mit lauter
Stimme völlig ungezwungen.
„Wir sind vom Canal grande gewiß eine Meile entfernt, theuerste Lavinia", sagte Violante
mit einer wundervollen Altstimme.
„O, weiter, viel weiter", fiel Lavinia mit einem klingenden Sopran ein. „Aber desto besser
— es ist eine wunderbare.Nacht und nie habe ich geahnt, was die Lagunen sind, als heute, wo
ich mich ihnen in die Arme geworfen habe . . ."
„Ja, es ist ein seltsamer Reiz in dieser Fahrt", antwortete Violante. „Und doch schaudere
ich vor Furcht und sterbe fast vor Gewissensbissen, daß wir unsere edlen Väter mit vollster Ge-
flissenheit betrügen!"
„Die Sünde ist nicht groß, Violante! Ob wir den Gesang der Divina Commedia stndiren, in
welchem anstatt unsers Cola Tonni der pferdemähnige Pfleghas sein Boot über den Pfuhl der
Verdammten treibt, oder selbst eine gar nicht auf Sünde abzielende Fahrt auf die Höhe der Lagu-
nen machen, das, dächte ich, wäre selbst vor dem Pater Cipriano von den Karmelitern einerlei,
obwohl der an Strenge seines Gleichen nicht hat."
„Ist er wirklich strenge, dann hüte Dich ja, in nächster Zeit ihm zu beichten; denn an einer
Pönitenz für unser heutiges Abenteuer würde Dir es nicht fehlen . . ."
„Aber es geht hier ja schlechterdings gar nichts vor, als daß wir das Ruder rauschen hören,
in den Nebel starren und zu frieren anfangen", sagte Lavinia, sich in ihr Tuch einhüllend. „Siehst
Du gar nichts drüben?"
„Nichts!"
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen