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nach Süden. Sein brechendes Auge umfängt die ganze
Welt, ihr Hoffnung und neues Leben spendend4.

Auf ein hölzernes Kreuz, dessen vier Enden sich zu
Rechtecken erweitern, sind Reliefs und Silberplatten
auf der Vorderseite und nach der Tiefe hin aufgenagelt.
Die Rückseite zeigt das reine Holz. Mit weit aus-
einandergespannten Armen, die Hände geöffnet, die
Füße nebeneinander auf ein rundes Subpedaneum ge-
stellt, strafft sich der Körper des Gekreuzigten, drei-
viertelrund aus Silberblech getrieben und vergoldet.
Eine leichte Schwingung läuft durch den Körper vom
geneigten Haupt über die linke Brustseite zum schwach
vorstehenden rechten Knie. Trotz mancher Beschädi-
gungen - der Oberkörper ist leicht verbeult, die Füße
sind eine nicht sehr glückliche Ergänzung aus späterer
Zeit - empfindet man noch die hervorragende Qualität
des ursprünglichen Bildwerks und erlebt den Sinn des
Goldschmiedes für die Schönheit und den Adel einer
beseelten Leiblichkeit, die in staufischer Zeit erstrebt
wurde. Die gespannte Haltung des Körpers wird ver-
edelt durch die Neigung des Kopfes und das in feinen
Falten dicht über den Körper gezogene Tuch. Offene
Augen blicken aus dem stillen, ernsten Antlitz. Bart-
strähne rahmen das schmale Kinn unter dem lebendig
geformten, schönen Mund. Der Schädel ist unbearbei-
tet und nicht vergoldet. Erst von den Schläfen ab fallen
die Haare in einzelnen Locken herab und schmiegen
sich an die Schultern. Hierdurch wird deutlich, daß
eine Krone das Haupt des Gekreuzigten zierte. Daher
auch der Adel in der Haltung und die verhaltene Rea-
listik in der Wiedergabe des Körpers. Fest spannt sich
die Haut über die Muskulatur, leicht treten die Rippen
am Brustkorb vor. Die weitgebreiteten Arme mit den
geöffneten Händen scheinen die Welt zu umspannen.
Das an der linken Hüfte geknotete Tuch endet in
straffen Falten über dem Knie. Türkise, Amethyste, ein
Jaspis, zwei karneolfarbene Achate und Bergkristalle
schmücken den Saum. Die Steine zeigen keinen beson-
deren Schliff, sind einfach gerundet und sitzen in
primitiven Krallenfassungen. Gemugelte und polierte
helle Amethyste schließen die Wundmale der Hände.
Ein großer, herzförmig geschliffener Blutjaspis bedeckt
die Seitenwunde.

Zu dem ursprünglichen Bestand gehört der Evangelist,
der das von einem gestanzten Palmettenfries gerahmte
Rechteck zur Rechten Christi füllt (Abb. Titelbild).
Die aus Silber getriebene und vergoldete Figur ist ganz
von vorne gegeben. Sie sitzt auf einer Bank, auf den

Knien liegt das Schreibbrett mit dem Pergament, das
von der Rechten gehalten wird. Die Linke faßt den
Griffel. Eine zügige Faltengebung unterstreicht bewußt
die kraftvolle Körperlichkeit. Der bärtige Kopf, von
Locken umrahmt, stand vor einem Nimbus. Der ge-
sammelte Ausdruck des männlichen Gesichts wird durch
den Blick belebt. Ganz anders ist die Haltung des Evan-
gelisten im gegenüberliegenden Rechteck des waage-
rechten Balkens. Im Profil nach links sitzt er auf einer
Bank vor dem gotischen Pult. Das herausschauende,
offene, bärtige Gesicht wird muschelförmig von Locken
umfangen. In der aufgestützten rechten Hand hält er
den Schreibgriffel, in der linken das Tintenfaß. Unter
dem natürlichen Lauf der Falten regt sich der schmale
Körper. Ein gestanzter Palmettenfries rahmt auch hier
das Bildfeld. Dieses Relief gehört zu der frühesten Er-
neuerung des romanischen Kreuzes und ist wahrschein-
lich in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts in der
Werkstatt des Freiburger Goldschmieds Johannes ge-
fertigt worden. Sehr ähnliche Darstellungen der Evange-
listen finden sich häufig auf Kultgeräten, die dem Mei-
ster zugeschrieben werden5. Von der gleichen Hand
stammt auch die Scheibe mit dem Agnus Dei zu Füßen
des Gekreuzigten, die vor dem mit Rauten verzierten
Grund des Balkens steht. Das Lamm mit der Kreuz-
fahne ist in einen getriebenen Sechspaß gesetzt. Ein
schmaler Rand mit Efeuranken umgibt das Rund, von
einem Pcrlstab umzogen.

Am oberen Kreuzbalken, über der Inschrifttafel, sind
heute zwei silbergetriebene Reliefs angebracht, deren
Figuren vergoldet sind (Abb. 19). Bei einer Unter-
suchung der Rückseite des Kreuzes, wo in dem Holz
zahlreiche Nagelspuren zu sehen sind, fanden sich solche,
die genau mit denen des Reliefs übereinstimmen.
Werner Noack und der Restaurator Paul Hübner
erbrachten hierdurch den Beweis, daß die Himmelfahrt
Christi - sie wird auf dem Relief dargestellt - ursprüng-
lich hier am oberen Kreuzbalken angebracht war. Dies
besagt aber auch, daß die gesamte Rückseite ehemals
mit figürlichen Darstellungen der Heilsgeschichtc be-
deckt war, ähnlich dem heute leider verlorenen Kreuz-
reliquiar aus dem Kloster Niedermünster i. E. Wann die
Änderung vorgenommen, d. h., wann das Himmel-
fahrtsrelief auf die Vorderseite genagelt wurde, kann
bis zur Stunde nur vermutet werden. Daß dies bei der
ersten gründlichen Erneuerung des Kreuzes um 1280
geschah, ist nicht anzunehmen. Eher wohl in der Zeit,
als das große Triumphkreuz, seinem Zweck entfremdet,

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