V.
Goethe's Verhältmß ;ur -itden-en Kuntt.
1871.
Es ist gesagt worden, neben dem griechischen Volke habe
ein Volk von Statuen in Griechenland gewohnt. Die fast zahl-
lose Menge dieser Bilder von Erz und Stein und die innige
Wechselbeziehung zwischen ihrem Tasein und dem des Volkes,
in dessen Getriebe sie als unbewegliche Träger einflußreicher
Gedankeu hineingestellt waren, ließen sie wie eine höhere Gemein-
schaft unter sich verbundener Wesen erscheinen. Das Erz und
^Gold, aus dem Phidias seine Pallas Athene auf der Akropolis
von Atheu formte, hatte etwas von Fleisch und Blut an sich
und war uicht mehr das todte Metall von ehedem. Die Gestalt
der Göttin, nachdem sich die Hände ihres Meisters von ihr
abgethan, gewann, ihre eigene segenbringende Persönlichkeit.
Dies Volk über den Völkern stnden wir jedoch nicht bei
den Griechen allein. Ueber jedem Volke lebt ein zweites von
Unsterblichen, deren Existenz unentbehrlich ist. Wir würden uns
unerträglich arm und beraubt dünken, stiegen nicht die Gestalten
derer, die wir verloren haben: unseres Vaters, unserer Mutter,
— unserer Freunde, in unsere Seele hernieder; ständen uicht die
großen Männer der Geschichte so vor uns, die wir mit eigenen
Augen niemals sahen; sähen wir nicht die scheinbar aus dem
Nichts gesckmffenen Gestalten, welche unsere Tichter und bildenden
Goethe's Verhältmß ;ur -itden-en Kuntt.
1871.
Es ist gesagt worden, neben dem griechischen Volke habe
ein Volk von Statuen in Griechenland gewohnt. Die fast zahl-
lose Menge dieser Bilder von Erz und Stein und die innige
Wechselbeziehung zwischen ihrem Tasein und dem des Volkes,
in dessen Getriebe sie als unbewegliche Träger einflußreicher
Gedankeu hineingestellt waren, ließen sie wie eine höhere Gemein-
schaft unter sich verbundener Wesen erscheinen. Das Erz und
^Gold, aus dem Phidias seine Pallas Athene auf der Akropolis
von Atheu formte, hatte etwas von Fleisch und Blut an sich
und war uicht mehr das todte Metall von ehedem. Die Gestalt
der Göttin, nachdem sich die Hände ihres Meisters von ihr
abgethan, gewann, ihre eigene segenbringende Persönlichkeit.
Dies Volk über den Völkern stnden wir jedoch nicht bei
den Griechen allein. Ueber jedem Volke lebt ein zweites von
Unsterblichen, deren Existenz unentbehrlich ist. Wir würden uns
unerträglich arm und beraubt dünken, stiegen nicht die Gestalten
derer, die wir verloren haben: unseres Vaters, unserer Mutter,
— unserer Freunde, in unsere Seele hernieder; ständen uicht die
großen Männer der Geschichte so vor uns, die wir mit eigenen
Augen niemals sahen; sähen wir nicht die scheinbar aus dem
Nichts gesckmffenen Gestalten, welche unsere Tichter und bildenden