n.
Mariä Himmeifahrt von Lhian.
1861.
Der Unterschied der heutigen Kunst von der, die vor
einigen hundert Jahren betrieben ward, liegt in ihrer Noth-
wendigkeit damals und in der gänzlich verschiedenen Stellung,
welche sie heute dem Volke gegenüber einnimmt. Die alten
italienischen Meister waren nur Werkzeuge. Bilder verlangte
man; die Jdeale, welche das Volk im Herzen trug, erblickte es
am schönsten wenn es sie in bunten Gestalten vor sich sah.
Undenkbar war den Leuten damals eine christliche Kirche ohne
bildliche Darstellung der Personen, zu denen sie beteten. Man
bedurste des Anblicks der heiligen Jungfrau mit verklärtem Ge-
sicht, rothem Gewande und blauem Mantel. Man wollte die
Apostel vor sich haben: Paulus und Petrus als starke, bärtige
Männer, Johannes als frauenhaft reizenden Jüngling. Gott-
vater mußte herniederblicken mit hoher Stirn und gewaltigen
Locken um Haupt und Lippen, Christus mußte seine Augen auf
uns richten als ernstes, himmlisches Kind oder als reines männ-
liches Antlitz, und die Engel auf zitternd schwebenden Gewölken,
die Heiligen in wallenden Kleidern: eine unendliche den
Himmel bewohnende Bevölkerung, die den Seelen der Menschen
ferner gewesen wäre, hätten sie nicht die reinen Gestalten, die
Falten der Gewänder, das heranlockende Lächeln, den ewig.ii
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Mariä Himmeifahrt von Lhian.
1861.
Der Unterschied der heutigen Kunst von der, die vor
einigen hundert Jahren betrieben ward, liegt in ihrer Noth-
wendigkeit damals und in der gänzlich verschiedenen Stellung,
welche sie heute dem Volke gegenüber einnimmt. Die alten
italienischen Meister waren nur Werkzeuge. Bilder verlangte
man; die Jdeale, welche das Volk im Herzen trug, erblickte es
am schönsten wenn es sie in bunten Gestalten vor sich sah.
Undenkbar war den Leuten damals eine christliche Kirche ohne
bildliche Darstellung der Personen, zu denen sie beteten. Man
bedurste des Anblicks der heiligen Jungfrau mit verklärtem Ge-
sicht, rothem Gewande und blauem Mantel. Man wollte die
Apostel vor sich haben: Paulus und Petrus als starke, bärtige
Männer, Johannes als frauenhaft reizenden Jüngling. Gott-
vater mußte herniederblicken mit hoher Stirn und gewaltigen
Locken um Haupt und Lippen, Christus mußte seine Augen auf
uns richten als ernstes, himmlisches Kind oder als reines männ-
liches Antlitz, und die Engel auf zitternd schwebenden Gewölken,
die Heiligen in wallenden Kleidern: eine unendliche den
Himmel bewohnende Bevölkerung, die den Seelen der Menschen
ferner gewesen wäre, hätten sie nicht die reinen Gestalten, die
Falten der Gewänder, das heranlockende Lächeln, den ewig.ii
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