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den kaiserlichen Palast in Aachen aus Ravenna herbeigeschafft.
Aber auch Theodorich verschwand. Zuletzt hören wir von ihm
im Jahre 1197. Da soll er auf einem schwarzen Rosse gesehen
sein, wie er über die Mosel ritt.

An ganz anderer Stelle aber taucht er nun wieder aus.
Jm Nibelungenliede, als bei den letzten Kämpfen nur Hagen
noch unbesiegbar dasteht, bedurfte der Dichter eines Helden,
dessen Hand er die Unterwerfung dieses letzten Tapfersten über-
geben durfte ohne dessen Ehre zu nahe zu treten, und er läßt
Dietrich von Bern erscheinen. Dietrich von Bern ist Theodorich
von Verona. Noch im vorigen Jahrhundert war dieser Name
sprichwörtlich in Deutschland, um einen starken Helden anzudeuten,
heute aber scheinen auch diese letzten Spuren verschwunden.

Die wenigen bereits, welche genannt sind, lassen eine Eigen-
schaft dieser im Gedächtnisse des Volkes hausenden Geftalten
hervortreten, die, wenn ich ganze Reihen vorführen wollte, sich
bei jeder bestätigt finden würde: daß jede ihre eigene Ge-
schichte habe. Jch will einen Namen nun nennen, der gewiß
sofort das Gefühl von der Nühe eines Wesens hervorruft, mit
dem wir das edelste, reinste, im höchsten Sinne liebenswürdige
in Verbindung bringen: Jphigenie. Wer möchte sich sagen, nur
em schöner Schatten, dessen Urbild niemals lebte, trete uns in
ihr entgegen? Und dennoch, aus welchen Quellen sog diese Ge-
stalt in uns selber die Kraft, uns vor der Seele zu stehen, als
lebte sie, und uns zu rühren als sei sie uns verwandt?

Von Aeschylos und Sophokles können wir uns ihr Bild
nicht mehr zeigen lassen, denn aus ihren Tragödien, die das
Schicksal Jphigeniens zum Jnhalte hatten, sind nur wenige Verse
noch erhalten. Aber auch Euripides' Tragödie wird nur Ein-
zelnen bekannt sein. Für viele von uns heute ist er es, der
Jphigeniens Vater gleichsam genannt werden könnte, und auch
im Äterthume scheint seine Darstellung am meisten gerührt zu
haben. Für die heutige Welt aber ist das vorüber; die Bild-

H. Grimm. Zehn Effays. L. Auil. 1g
 
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