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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0034
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Michelangelo und Savonarola
pathetische Begeisterung, Bibelstellen, Nutzanwendungen überraschender Art, aber immer
für das handgreifliche Verständnis ausgearbeitet, stehen ihm in drängender Fülle zu Gebote.
Er war die Seele der Stadt. Wie eine gut geschriebene Zeitung heute ihrer Partei die Gedanken
zufließen läßt, die sie bedarf und verlangt, so übernahm Savonarola, die tägliche Gedanken-
zehrung der Florentiner zu befriedigen, und seine Vorräte schienen unerschöpflich. Er sprach
in kurzen Sätzen. Ohne schmückende Beiwörter, rasch und praktisch, wie man auf der Straße
redet, aber zu hinreißendem Zuge verbindet er die Gedanken. Und da es nur einige wenige
Punkte sind, auf die er stets zurückkommt, wie er sie von Anfang an gepredigt hat, so sagt
er den Leuten nichts Neues, was sie erst frisch aufzufassen und zu bedenken hätten, sondern
wiederholt nur mit immer neuer Kraft ihre eigenen alten Überzeugungen. Mitten unter den
Prophezeiungen und den Erklärungen der höchsten Dinge erteilt er Befehle über Kleidung,
Sitte und Betragen und gibt politische Verhaltungsregeln für die nächsten Tage, wie sie gerade
von der Lage der Dinge erfordert werden. Savonarola besaß den alten Takt der Männer des
Volkes, die mit den Massen umzugehen wissen und mitten in der Begeisterung nie die all-
gemeine Deutlichkeit verlieren. Nur daß bei ihm endlich die Begeisterung zum Fanatismus
wurde.
In solche Zustände trat Michelangelo ein als er von Bologna zurückkam. Sie waren trübe
und drückend, aber es wurde noch von Künstlern gearbeitet und von reichen Leuten gekauft.
Er richtete sich sogleich eine Werkstätte ein. Auch fand sich ein Beschützer für seinen Genius,
und sogar ein Medici war es, der sich seiner annahm.
Michelangelos Lorenzo nahm sich Michelangelos an und gab ihm Arbeit. Er ließ einen heiligen Johannes
Giovannino jn kindlichem Alter, einen San Giovannino von ihm ausführen, und es hat sich neuerdings auch
eine Statue gefunden, welche Anspruch erheben durfte, als dieser Giovannino anerkannt zu
werden. In einem vornehmen Hause in Pisa auftauchend, ist sie in das Berliner Museum gelangt
und hat sowohl durch ihre Schönheit, als durch offenbare Zeichen, welche ihre Herkunft zu
bestätigen scheinen, Aufsehen erregt. Johannes, eine zarte Knabengestalt, steht so unschuldig
da, die Ähnlichkeit mit anderen Werken Michelangelos ist so offenbar, daß man sich fast
genötigt sieht, auch dieses ihm zuzusprechen. Dennoch kann ich mich nicht für völlig überzeugt
erklären, da etwas im Ausdrucke des Antlitzes wie in der Flächenbehandlung des Marmors
gegen die Urheberschaft Michelangelos redet. Müßte sie, wenn sie sein Werk ist, nicht später
in Rom erst entstanden sein?
Neben diesem Auftrage begann Michelangelo auf eigene Rechnung einen Kupido in Marmor
zu hauen, den er im Schlafe liegend als sechs- bis siebenjähriges Kind darstellte. Man hat das
Werk wieder entdecken wollen, aber es bleibt verschollen.
Während des Winters 1495 auf 96, in dem er an diesen beiden Stücken tätig war, traten
jetzt aber Ereignisse in der Stadt ein, zu denen die bisherigen nur ein sanfteres Vorspiel waren.
Nach allen Seiten hin hatten die Dinge noch in der Schwebe gelegen. Das Verfahren der Ver-
bündeten, Florenz zu gewinnen, hielt stets an der sicheren Aussicht fest, daß die Bemühungen,
die Stadt zum Abfall von Frankreich zu bringen, Erfolg haben würden. Die Parteien flossen
noch immer einigermaßen durcheinander; Savonarola hielt, so heftig er sprach, doch ein
gewisses Maß inne, und wenn man von Rom aus hätte einlenken wollen, es wäre möglich
gewesen.
Savonarolas Die Fasten folgten. Diesmal eine wirkliche Zeit der Buße und Zerknirschung. Tag für Tag
Fanatismus sausten die Predigten Savonarolas durch das Volk und fachten die glühende Schwärmerei zu
frischen Flammen an. Zweimal bereits hatte der Papst ihm das Predigen untersagt, die Re-


 
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