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Auf dem Stigmatisationsbild des hl. Franz im Louvre (Abb. 141) sieht man durch die Türöffnung der
Kapelle auf ein Querbalkenende des Tafelkreuzes, das sich über dem Altar befindet und durch die Ein-
gangswand des kleinen Gebäudes überschnitten wird.
Eine analoge Art der Aufstellung überliefert die Tafel von Giovanni del Biondo in der Capp. S. Silvestro
in S. Croce zu Florenz, auf der die Legende des hl. Giovanni Gualberto dargestellt ist (Abb. 92), der vor
einem sich ihm zuneigenden Tafelkreuz dem Mörder seines Bruders vergibt. Während es sich in Assisi
um den Schmuck eines Hauptaltars handelt, ist in Florenz eine seitliche „Cappella del Crocifisso“
wiedergegeben, in der das Tafelkreuz als Andachtsbild hinter dem Altar angebracht ist. Für ein um die
Mitte des 13. Jhs. auf legendäre Weise nach S. Miniato al Tedesco gelangtes vollplastisches Kruzifix wurde
gegen 1290 ein eigenes Oratorium errichtet, das sich im Palazzo del Popolo befand. Heute wird das
Kreuz in einem selbständigen, am Anfang des 18. Jhs. geschaffenen Sanktuarium auf bewahrt.
Als eine für die Aufstellung über Altären eigens hergerichtete Kreuzform hält Garrison35 die Tafel-
kruzifixe mit seitlichen Szenen, da diese ,,... with their small figures would be totally illegible if the cross
were hung high in the choir wellnigh if so on the iconostasis“. Um die These zu stützen, weist er auf
das oben genannte, für den Michaelsaltar der Kathedrale von Pistoia in Auftrag gegebene Kreuz hin,
das jedoch, wie aus der Auftragsurkunde hervorgeht, zur Anordnung auf einen Balken bestimmt war
(,,... et etiam unum crucifissum cum una trabe super altare Sancti Michaelis dicte ecclesie et etiam una
sepoltura sancti Michaelis ...“) und außerdem höchstwahrscheinlich nicht mit dem von Szenen beglei-
teten Kruzifix Salernos zu identifizieren ist (vgl. Vorunters., Kap. 3). Zudem scheint das Argument der
bequemen Lesbarkeit der Szenen durch den Betrachter gerade in mittelalterlicher Zeit nicht genug
Gewicht zu besitzen, um einen für diese Aufstellung spezifisch zugerichteten Crocetyp voraussetzen zu
dürfen. Um die untergeordnete Bedeutung des Erkennbarkeitsmomentes deutlich zu machen, genügt
es, auf die Glasmalereien und die häufig dem Blick der Gläubigen nur schwer zugängliche Bauplastik
hinzuweisen. Bei beiden treten die Details vor der Gesamtwirkung zurück, deren geheimnisvoller
Charakter gerade dadurch erhöht wird, daß die Einzelheiten nicht sofort überschaubar sind, sondern
eine der Erschließung der Glaubensinhalte parallele Vertiefung erfordern*). Aber selbst wenn man unter-
stellt, daß die Auftraggeber in der Toskana, in Ermangelung von umfangreichen Wandzyklen, aus
didaktischen Gründen besonderen Wert auf eine möglichst gute Sicht des szenischen Apparates legten,
läßt sich gegen die Meinung Garrisons die Tatsache ins Feld führen, daß die meist nicht unbeträchtliche
Distanz zwischen dem Hochaltar und dem Publikum gerade zur Anbringung auf der den Gläubigen
näheren und meist nicht sehr hohen Schranken hätte Veranlassung geben können.
Die zur Annahme eines Retabelkreuztypus gegebene technische Begründung, daß das Vorhandensein
eines etwa 30 cm langen, unbemalten Fußstücks, wie es Garrison36 beim Sarzana-Kreuz beobachtet und
zum Einführen in eine schlitzartig sich öffnende Basis dient, als Kriterium für die Aufstellung hinter
einem freistehenden Altar zu betrachten sei (während das Kreuz über dem Nebenaltar ,,... was fixed to
the wall in some männer ...“), überzeugt nicht, denn die gleiche Möglichkeit der Befestigung ist ebenso
gut auf der Ikonostase denkbar oder in ähnlicher Form gerade an Wänden praktikabel, um die Neigung
zu erzielen, die bei allen in der Aufstellung überlieferten Beispielen anzutreffen ist.
Es bestehen deshalb in keiner Weise ausreichende Beweismomente, um die Vermutung zu rechtfertigen,
daß die Betabeifunktion einen Einfluß auf die Entwicklung des Tafelkreuzes ausgeübt hat. Trotz seines
Vorschlages kommt auch Garrison37 zu dem Schluß, daß „...in view of the scarcity of conclusive
evidence, no rigid schematisation of original uses can be sought“.
Etwas anders ist jedoch die Sachlage bei den Tafelkreuzen, die gleich den lazenischen Marien- und
Salvatorikonen in Prozessionen mitgeführt wurden. Für diesen Zweck ließ man kleinere, meist doppel-
seitig bemalte Stücke anfertigen. Eines der ersten ist das sehr schmale pisanische Kreuzchen (Garr. 447,
um 1240-1250), bei dem auf der Vorderseite der triumphierende Heiland dem leidenden Christus der
Rückfront gegenübergestellt ist. Das gleiche begegnet bei dem ebenfalls giuntesken Tafelkreuz im Museo
Civico zu Pisa (Garr. 577; um 1260-1270).
In Umbrien wird bei den Prozessionskreuzen, die dort erst nach etwa 1260 erhalten sind (Garr. 485,
1260-1270; Garr. 536, 1265-1275; Garr. 480, 1270-1280; Garr. 448, Anfang 14. Jh.), auf beiden Seiten
*) Wollte man dem Vorschlag Garrisons folgen, dann müßte man annehmen, daß die zwischen 1138 und 1260 entstandenen
luccesischen Kreuze, da sie Szenen zeigen, in ihrer überwiegenden Mehrheit als Retabel gedient haben, während die späteren
Stücke mit ornamentiertem Grunde für eine solche Verwendung weniger in Frage kommen.

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