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der Patienstyp verwendet. Von besonderem ikonographischem Interesse ist das nordumbrische Kreuz
der Galleria Nazionale dell’Umbria zu Perugia (Garr. 481, Anfang 14. Jh.), das auf der Rückseite die
Szene der Geißelung trägt. Eine Situation aus der Passion Christi wird hier herausgelöst und zum
Andachtsbildmotiv verselbständigt, deren Darstellung hier der gleichen Intention ihr Dasein verdankt,
wie sie dem Typus des „Schmerzensmannes“ zugrundeliegt, „der die Schmerzen der gesamten Passion
an sich verdeutlicht und so Inbegriff des Heilsgeschehens ist“38. Dieses Beispiel stellt ein Gegenstück des
Schmerzensmannbildes dar, das seit dem Anfang des 14. Jhs.39 in Venedig bei den kleinformatigen
Diptychen (an Stelle der in der Toskana üblichen Kreuzigung) dem Marienbild zugeordnet wird. In
Mittelitalien kommt dagegen das Thema des Schmerzensmannes etwa zur gleichen Zeit als Mittelstück
toskanischer Predellenkompositionen des Polyptychontypus auf (Abb. 163)40.
Das zwei Meter hohe pisanische Kreuz im Museo Civico zu Pisa (Garr. 574, 1250-1260), das auf der
Rückseite wieder den Patienstyp dem Christus triumphans der Vorderfront gegenüberstellt, könnte unter
Umständen, trotz seiner Größe, auch als Prozessionskruzifix gedient haben. Wahrscheinlicher aber ist
seine Anbringung an einer Stelle, wo es beiderseits sichtbar war, z. B. hinter einem Altar, wie Garrison41
es für solche Fälle vorschlägt, oder über der Mitte einer Ikonostase. Die sonst übliche Neigung ist hier
jedoch wegen der doppelseitigen Bemalung ausgeschlossen.
Hiermit sind die wesentlichen Verwendungsmöglichkeiten beschrieben, die für das Tafelkreuz in einer
dreifachen Form bestehen. Neben der bis in die Endstufe der Entwicklung im 14. Jh. hinein primären
Funktion als Triumphkruzifix mit verschiedenen Befestigungs- und Aufstellungsarten, beginnt am
Anfang des 13. Jhs. die Befestigung als „Retabel“ nachweisbar zu werden, die in einer, dem Triumph-
kreuz analogen Weise auf dem altare maggiore oder als Andachtsbild in einer Seitenkapelle erfolgen
kann. Im Hinblick auf die Genealogie der croci dipinte dürfte der zuerst genannten Retabelverwendung
die zeitliche Priorität zukommen, im Gegensatz zu den Marien-Andachtsikonen, die von den Seiten-
altären zum altare principale hindrängen. Eine Nebenfunktion ist die Verwendung als Prozessionsbild,
für die etwa 0,50-1,00 m hohe Stücke in Frage kommen. Anders als die Altarkreuze, werden sie eigens für
den besonderen Zweck angefertigt, dem sie durch die beiderseitige Bemalung entsprechen, die es
ermöglicht, beide Formen des Christusbildes darzustellen. Hierauf wird jedoch mit dem Vordringen des
Patienstypus verzichtet und etwa nach 1260 die jetzt modern gewordene Bildform auch für die Rückseite
vorgezogen.
Halbfigurige Marienikonen
Nach den croci dipinte sind die halbfigurigen Marienikonen die ältesten Tafelbilder, die in der Toskana
erhalten sind. Wie bei den Tafelkreuzen ist das früheste Beispiel ein Erzeugnis der luccesischen Schule
(Abb. 100; Garr. 84; Florenz, Casa Horne; 2. H. 12. Jh.). Es stammt aus einer Zeit, in der auch in Rom die
Marienikonen wieder häufiger aufzutreten beginnen. In der Stilstufe entspricht der Tafel der Casa Horne
dort die ungefähr gleichzeitige Madonna aus einer römischen Privatsammlung (Garr. 88)42. Beide ver-
bindet die freilich in Lucca noch stärker gestreckte Form des Gesichts mit den weit geöffneten Augen,
die in der „Lukasikone“ von S. Maria Maggiore ihr Vorbild hat (Abb. 46). Gemeinsam ist ihnen ferner
der für Rom in der 2. Hälfte des 12. Jhs. kennzeichnende, vom Prototyp abweichende, waagerechte Ver-
lauf des Brauenkonturs. Handelt es sich bei dem letzteren Merkmal aber nur um ein vorübergehend die
Ikonenmalerei beeinflussendes Detail des römischen Zeitstils, so bleibt die schmale Gesichtsstruktur,
wie sie die Tafel der Horne Foundation in fast übertriebener Form zeigt, für das Marienbild in Rom und
seiner Umgebung bis weit in das 13. Jh. hinein charakteristisch (Abb. 57, 174)43. Im Gegensatz zu der
Ikone in Florenz, die sich als ein der römischen Entwicklung verpflichtetes, wenn auch in der etwas
vergröbernden Umprägung sicher autochthon toskanisches Werk zu erkennen gibt, unterliegen bereits
die nächstfolgenden Stücke Berlinghieros und seiner Schule der Einwirkung der maniera bizantina, die
als Grundkomponente die gesamte Tafelmalerei des Dugento bestimmt und sich unter den luccesischen
Marienbildern wohl am reinsten auf der Tafel der Sammlung Strauss manifestiert (Garr. 96, 1230-40;
Abb. 102). Ihre Zahl ist ziemlich beschränkt und verteilt sich fast gleichmäßig auf die Zeit bis um 1270.
Ist bis zum Ende der dreißiger Jahre der Hodegetriatyp vorherrschend, so wird nun die stärker das
menschliche Verhältnis der Mutter zu ihrem Kinde betonende Form der Glykophilousa bevorzugt. Um

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